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B8 Wiedereinführung der Grund- und Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe

14.12.2018

Die BayernSPD fordert die Wiedereinführung der Grund- und Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe des wieder eingeführten neunjährigen Gymnasium (G9).

I7 „Personalisierte Verhältniswahl“ für den Bundestag

14.12.2018

Die SPD-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich in Regierungsverantwortung und Bundestag dafür einzusetzen, dass bei bei den Bundestagswahlen ein personalisiertes Verhältniswahlrecht eingeführt wird.

Dieses personalisierte Verhältniswahlrecht sollte in der Art und Weise gestaltet werden wie es im Freistaat Bayern bereits für die Landtagswahlen organisiert ist.

 

E4 Verschärfte Rüstungsexportkontrolle

11.12.2018
  1. Die Beschränkungen in den Paragraphen 49/50 AWV (Außenwirtschaftsverordnung) auf technische Hilfe bei ABC-Waffen, Überwachungstechnik und Embargoländer werden aufgehoben, so dass technische Unterstützung bei der Entwicklung/Produktion/Vermarktung von Rüstungsgütern jedweder Art technologie- und embargounabhängig genehmigungspflichtig werden müssen.
  2. Die Fusionskontrolle- und Anteilserwerbsverbote, welche die §§ 55ff. AWV bei Bedrohungen (z.B. der öffentlichen Sicherheit durch den Anteilerwerb ausländischer Investoren bzw. Unternehmen an inländischen Firmen müssen auch für den Anteilserwerb, Fusionen und Unternehmensgründungen deutscher Unternehmen an/mit ausländischen Unternehmen, die  im Ausland Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter entwickeln, herstellen, vermarkten gelten.

A6 Der Weg zu einer solidarischeren Gesellschaft - Hartz IV abschaffen und Armut bekämpfen.

6.12.2018

Unser Sozialstaat steht in unserem Land für Viele nicht mehr dafür, dass sie sich bei akutem Bedarf auf Solidarität und kollektive Absicherung verlassen können. Seit der Neoliberalismus und die seine Thesen mehr oder weniger vertretenden Parteien den Sozialstaat als Wachstumshindernis deklariert hatten und als zu teuer und zu ineffizient bezeichnet wurde, wurde von unten nach oben umverteilt und breite Bevölkerungsschichten durch massive Einschnitte in unsere sozialen Sicherungssysteme abgedrängt.

Private Vorsorge wurde immer stärker propagiert, sogar aus Gewerkschaftskreisen. Viele Jahre der Kürzungen und Einschnitte, die dann in der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün unter „Fordern und Fördern“ zusammengefasst wurden, zeigen gesellschaftspolitische Folgen: Zunahme und Verfestigung von Armut in unserem Land, Vererbung von „Hartz IV Karrieren“, Konzentration von immer mehr Reichtum, Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Politik und hier insbesondere der SPD, Einzug der AfD in den Bundestag.

Mit der Agenda 2010 Politik wurde die SPD zum Ausverkäufer des Sozialstaates. Dabei ist kein anderes Thema so sehr zum Symbolthema für den gesellschaftlichen Abstieg geworden wie Harz IV. Neben dem Verlust an Glaubwürdigkeit für die SPD als Partei für soziale Gerechtigkeit hat die Regelung zum Arbeitslosengeld I (ALG I) und Arbeitslosengeld II (ALG II) eine Entsolidarisierung innerhalb unseres Sozialversicherungssystems gebracht: Die Abstiegstreppe wurde steiler, wer fiel, fiel schneller und kam kaum wieder hoch.

Um diesen Abschied vom Sozialstaat wieder umzukehren, muss die SPD gerade im Bereich der Sozialpolitik wieder klare Grundsätze verkörpern:

  • Der Staat muss seine Bürger*innen schützen und sich um seine Bürger*innen kümmern.
  • Soziale Sicherheit heißt nicht Kampf gegeneinander, sondern solidarisches Miteinander.
  • Profitinteresse hat in den Bereichen der sozialen Sicherheit wie Rente, Pflege, Gesundheit, Bildung nichts zu suchen.
  • Diese Sozialpolitik setzt gerechte Verteilungspolitik voraus.

 

Konkret bedeutet dies für uns eine gerechte und solidarische Sozialpolitik auf dem Weg zu einem solidarischen Grundeinkommen in folgenden Stufen

  1. Korrektur von Hartz IV durchAbbau der Hürden für den Arbeitslosengeldbezug durch Erleichterung des Zugangs zur Arbeitslosenversicherung durch Verlängerung der Rahmenfrist von zwei auf wieder drei Jahre, d.h. dass innerhalb von drei statt zwei Jahren wieder zwölf Monate gearbeitet werden muss, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Erhöhung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I in Abhängigkeit von vorherigen Beschäftigungszeiten und dem Alter auf bis zu 36 Monate.Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes, das oberhalb des Grundsicherungsniveaus für Alleinlebende liegt.Erhöhung und Neuberechnung der Regelsätze.Abschaffung der Sanktionen.Anpassung der Zumutbarkeitsregelungen bei ALG II an ALG I.Erhöhung der Zuverdienstmöglichkeiten ohne Stufen und Deckel, d.h. nach dem Freibetrag von 100 Euro kann immer 20 % des Zuverdienstes pro Monat behalten werden und der Deckel von 1200 Euro pro Monat entfällt. Das betrifft insbesondere Saisonarbeiter*innen wie Erntehelfer und z.B. Menschen, die wie Schauspieler oder Grafikdesigner, die von Aufträgen leben.
  2. Einführung einer Kindergrundsicherung für alle Kinder ohne Vorbedingungen, damit endlich die die meiste Unterstützung bekommen, die am wenigsten haben. Die Höhe der Kindergrundsicherung soll dem verfassungsrechtlichen Existenzminimum (derzeit 619 Euro) entsprechen und mit steigendem Einkommen auf einen Mindestbetrag (derzeit 300 Euro) abschmelzen. Dieser Mindestbetrag soll der maximalen Entlastung durch die steuerlichen Kinderfreibeträge entsprechen
    In einem ersten Schritt darf das Kindergeld nicht mehr auf die Arbeitslosenleistungen angerechnet werden.
  3. Auflegen eines Programms für mindestens 150 000 langzeitarbeitslose Menschen zur Gewährung eines solidarischen Grundeinkommens, das an keine Bedingungen geknüpft ist, um erforschen zu können, ob ein Grundeinkommen die Bereitschaft insbesondere zur Annahme von Arbeit erhöht.
  4. Vergabe von Forschungsprojekten zur generellen Einführung eines solidarischen Grundeinkommens und seiner Finanzierung aus Steuermitteln, die insbesondere auch den Wandel durch die Digitalisierung der Arbeitswelt berücksichtigen und das Grundeinkommen nicht als neoliberales Konzept sieht, sondern als soziales, solidarisches Absicherungskonzept der gesamten Bevölkerung.

 

A5 Maßnahmen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit

6.12.2018

Monat für Monat werden neue Rekorde bei den Arbeitslosenzahlen vermeldet. Selbst bei der Gruppe der  Langzeitarbeitslosen ist neuerdings ein Rückgang zu verzeichnen. Waren es bis 2015 noch um die eine Millionen Langzeitarbeitslose, sind es im Juni 2017 nur noch knapp über 900.000 gewesen. Doch auch hier gilt, dass ein detaillierterer Blick in die Arbeitslosenstatistik auf immer noch vorliegende Probleme bei der  Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen hinweist. Grund für das Sinken der Langzeitarbeitslosigkeit ist hier nämlich nicht die erhöhte Integration von Langzeitarbeitslosen in den primären Arbeitsmarkt, sondern die Tatsache, dass immer mehr Kurzzeitarbeitslose innerhalb von 12 Monaten (also bevor sie statistisch gesehen als Langzeitarbeitslos gelten) in einen Job vermittelt werden. Im Jahr 2015 gab es noch 736.000 Neueintritte in die Langzeitarbeitslosigkeit, im Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017 waren das nur noch 655.000. Der Rückgang dieser Übertritte erklärt sich vor allem durch eine verstärkte Förderung von Arbeitslosen bevor sie Langzeitarbeitslos werden. Die absoluten Zahlen der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den primären Arbeitsmarkt hat sich indes verschlechtert. Waren es im Jahre 2014 noch 199.000 Langzeitarbeitslose bei denen eine Integration 21 in den primären Arbeitsmarkt gelungen ist, waren das vom Juli 2016 bis zum Juni 2017 nur noch 178.000. 22 Von je 1.000 Langzeitarbeitslosen können im Folgemonat nur eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Bei den Kurzzeitarbeitslosen sind das 102. Mit ein Grund für diese Diskrepanz ist, dass Hartz-IV-Empfänger:innen deutlich weniger gefördert werden als Arbeitslose, die noch in der Arbeitslosenversicherung stecken. Rein rechnerisch gesehen werden für ALG-II-Bezieher:innen rund 1.800 Euro ausgegeben, bei Bezieher:innen  von ALG I 3.640 Euro. Maßnahmen der beruflichen Bildung bzw. die zu einem Abschluss führen werden für erstere kaum angeboten.

Wer ist von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen?

Im Jahresschnitt waren 2016 473.000 der damals insgesamt 993.000 Langzeitarbeitslosen zwischen einem und zwei Jahren arbeitslos, 199.000 zwischen zwei und drei, 120.000 zwischen drei und vier und 236.000 suchen schon seit mehr als vier Jahren nach einer Erwerbstätigkeit.

Von Arbeitslosigkeit sind Frauen etwas stärker betroffen als Männer. Vor allem aber Geringqualifizierte und  ältere Menschen haben ein deutlich höheres Risiko langzeitarbeitslos zu werden. So ist die Anzahl der Langzeitarbeitslosen über 55 konstant geblieben, die der Geringqualifizierten sogar gestiegen.

Was sind die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit?

Erstmal bleibt festzuhalten, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein Folgeproblem der Massenarbeitslosigkeit ist, die wenn man die Zahl der Unterbeschäftigten nimmt (die die tatsächliche Zahl der Arbeitslosigkeit trifft als die offizielle Arbeitslosenzahl der BA) momentan bei etwa 3,4 Millionen liegt. Dem gegenüber stehen aber nicht einmal 900.000 offene Stellen. In der Konkurrenz um diese freien Stellen werden Langzeitarbeitslose in der Regel den Kürzeren ziehen, zumal die Qualifikationsanforderungen der offenen Stellen und den Qualifikationen der Langzeitarbeitslosen eine große Diskrepanz aufweisen. Hinzu kommt, dass nur die Hälfte der Langzeitarbeitslosen eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen kann, wohingegen nur 20% der offenen Stellen keinen Berufsabschluss als Einstellungsvoraussetzung vorweisen.

Strukturschwache Regionen sind besonders stark von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ist auch die Anzahl der Langzeitarbeitslosen deutlich höher. Selbst mit Berufsabschluss gestaltet sich das Finden einer Stelle in strukturschwachen Regionen deutlich schwieriger dar als in den strukturstarken.

Sozialer Arbeitsmarkt als Mittel zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit

Schon seit mehreren Jahren gibt es diverse vom Bund und Europäischen Sozialfonds geförderte Programme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Eines davon ist das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, das noch bis zum Ende des Jahres läuft. Gefördert werden seit 2015 über 20.000 Langzeitarbeitslose, die seit mindestens 4 Jahren im SGB-II-Bezug, älter als 35 und alleinerziehend bzw. gesundheitlich eingeschränkt sind. Gefördert werden Arbeitsverhältnisse, die mindestens mit Mindestlohn vergütet werden. Die Maßnahmen sind auf drei bzw. zwei Jahren beschränkt.

Ebenfalls erfolgreich und in Baden-Württemberg und Thüringen bereits im größeren Rahmen vollzogen ist der sogenannte Passiv-Aktiv-Tausch. Hierbei werden die Regelleistung, die Kosten der Unterkunft und die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung dafür aufgewendet eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finanzieren. Die Evaluation des Projektes aus dem Jahr 2016 belegt die positiven arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Effekten.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde die Einführung der Förderung von öffentlicher Beschäftigung („Teilhabe am Arbeitsmarkt für Alle“) als Regelinstrument innerhalb des SGBII festgeschrieben. Vorgesehen ist eine Milliarde pro Jahr für 150.000 Arbeitslose. Herunter gerechnet stellt das einer monatlichen Summe von 556 Euro pro Person. Damit würde sie zwar höher liegen als bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs (406 Euro), aber deutlich niedriger als beim Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (1.253 Euro). Die Finanzierung regulärer Arbeitsplätze ist also nur annähernd gewährleistet, wenn dieses Regelinstrument auch mittels Passiv-Aktiv-Tausch finanziert wird. Ob die vorgesehene eine Milliarde Euro pro Jahr auch tatsächlich für die Förderung eines sozialen Arbeitsmarktes ausgegeben werden kann, ist aus heutiger Sicht ebenfalls fragwürdig. Seit der massiven Kürzung der Gelder für die Jobcenter im Jahre 2010 durch schwarz-gelb, werden Mittel für Eingliederungsleistungen dafür zweckentfremdet, um die Personal- und Verwaltungskosten zu decken. Für das Jahr 2016 hat diese Summe 900 Millionen Euro betragen, für dieses Jahr wird es voraussichtlich eine Milliarde sein.

Forderungen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit:

Einbettung eines flexiblen Regelinstrumentariums im SGB II, das auf individuelle Bedürfnisse der  Langzeitarbeitslosen eingeht: Die Absicht der Großen Koalition das Programm „Teilhabe am  Arbeitsmarkt für Alle“ im SGBII zu verankern ist zu begrüßen. Dennoch stellt es erstmal nur einen ersten Schritt dar. Ziel muss es sein, Fördermaßnahmen im SGBII-Recht so zu implementieren, dass Jobcenter vor Ort auf die individuellen Bedürfnisse und Problemlagen der Langzeitarbeitslosen eingehen können. Die Beteiligung an den Angeboten muss dabei freiwillig bleiben. Der Sozialpolitiker Stefan Sell schlägt dabei folgende Formulierung im SGBII vor:

(1) Für Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsgelegenheiten können auch Kosten übernommen werden. Die Arbeitsgelegenheiten sollen in der Regel von vorübergehender Dauer und für eine bessere Eingliederung des Hilfesuchenden in das Arbeitsleben geeignet sein.
(2) Werden für den Hilfesuchenden Arbeitsgelegenheiten geschaffen, kann ihm entweder das übliche Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werden.
(3) Ist es im Einzelfall erforderlich, die Gewöhnung eines Hilfesuchenden an eine berufliche Tätigkeit besonders zu fördern, soll ihm für eine notwendige Dauer eine hierfür geeignete Tätigkeit oder Maßnahme angeboten werden. Während dieser Tätigkeit wird dem Hilfesuchenden eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt.
(4) Soweit es im Einzelfall geboten ist, kann auch durch Zuschüsse an den Arbeitgeber sowie durch sonstige geeignete Maßnahmen darauf hingewirkt werden, dass der Hilfeempfänger Arbeit findet.
(5) Der Träger der Grundsicherung soll Hilfeempfänger zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit bei der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern. Zu diesem Zweck kann dem Hilfeempfänger bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein im Regelfall befristeter Zuschuss gewährt werden.

Da insbesondere Alleinerziehende bzw. Haushalte mit Kindern, in denen beide Elternteile erwerbslos sind besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, soll auf deren Förderung ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Die oben aufgegliederten Langzeitarbeitslosenzahlen zeigen, dass die anvisierten 150.000 geförderten Stellen nicht ausreichend sind und schrittweise auf etwa das doppelte erweitert werden müssen.

Die Erfahrungen insbesondere aus den Optionskommunen zeigen, dass eine individuelle Förderung am besten durch professionelle Beschäftigungsunternehmen, wie die Gesellschaft zur Förderung von Arbeit (GGFA) in Erlangen, realisiert werden. Die Bundesagentur muss deswegen die Kommunen dabei unterstützen entsprechende Strukturen vor Ort aufzubauen.

Jobcenter entlasten und ausreichende Ressourcen bereitstellen: Das Hartz-IV-System muss und kann entlastet werden, um Ressourcen für eine verbesserte Betreuung von Langzeitarbeitslosen
1 Forderungen sowie die obigen Zahlen stammen im Wesentlichen aus „arbeitsmarktaktuell“, Nr. 02/2018: „Langzeitarbeitslose: Aktionsprogramm gegen Perspektivlosigkeit erforderlich“
2 Sell, Stefan: „Hilfe zur Arbeit 2.0 – Pladoyer für eine Wiederbelebung der §§18-20 BSHG (alt) in einem SGBII (neu)“, Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016 freizusetzen. Ein relevanter Teil der Leistungsberechtigten bezieht heute Hartz IV, weil das Erwerbseinkommen oder andere Sozialleistungen nicht reichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Neben Verbesserungen auf der Lohnseite – etwa indem Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können – müssen die dem Hartz-IV-System vorgelagerten Leistungen, vor allem das Wohngeld und das Kindergeld, weiterentwickelt werden. Kein Haushalt mit einem Einkommen aus Vollzeit-Erwerbstätigkeit soll Hartz IV beziehen müssen, nur weil er Kinder hat oder die Wohnkosten zu hoch sind. Um ihre anspruchsvollen Aufgaben bewältigen zu können, benötigen die Jobcenter eine bessere Personalausstattung. Im Bundeshaushalt müssen die notwendigen Mittel für Personal- und Verwaltungskosten bereitgestellt werden. Dies ist heute nicht der Fall. Die Jobcenter sind gezwungen, Finanzmittel zu Lasten der aktiven Förderung (Eingliederungstitel) umzuschichten, um Personal- und Verwaltungskosten finanzieren zu können. Deswegen fordern wir das SGBII-Gesamtbudget für Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten zusätzlich um eine Milliarde Euro zu erhöhen. Zur Förderung öffentliche Beschäftigung können die vorgesehenen eine Milliarde Euro ebenfalls nur ein erster Schritt sein. Wie oben bereits dargelegt können damit nämlich nur sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen werden, falls auch ein Passiv-Aktiv-Tausch vollzogen wird. Dabei liegt es in der Hand der Bundesländer, ob die jeweilige Landesregierung den Kommunen PAT erlaubt oder nicht. Bisher weigert sich zum Beispiel der Freistaat Bayern dieses Instrumentarium einzusetzen.

Stärkung der beruflichen Bildung: Arbeitslose sollen künftig einen Rechtsanspruch auf Beratung zur Weiterbildung erhalten. Die finanziellen Rahmenbedungen für Teilnehmende an einer abschlussbezogenen Weiterbildung müssen verbessert werden. Der Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen muss erleichtert werden. Dazu gehören zu den Fördermaßnahmen passende Angebote der Kinderbetreuung, Weiterbildung in Teilzeit. Insbesondere muss mit besonderen Angeboten auf Menschen mit negativen Bildungserfahrungen eingehen. Ebenso wie im Bereich der Arbeitslosenversicherung muss auch im Hartz-IV-System ein Haushaltstitel für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung geschaffen werden.

Für Ältere ab 50 Jahren muss die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um bis zu sechs Monate verlängert werden, falls eine Integration in den Arbeitsmarkt trotz verbesserter Förderung nicht  früher gelingt. Die Teilnahme an einer Weiterbildung darf zukünftig nicht mehr auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden, das heißt, Zeiten einer Weiterbildung mindern nicht die Anspruchsdauer.

Die Hartz-IV-Regelsätze müssen grundlegend neu hergeleitet und auf ein bedarfsdeckendes Niveau angehoben werden. Die Regelsätze müssen wirksam vor Armut schützen und auch soziale Teilhabe ermöglichen. Die Hartz-IV-Sanktionen müssen abgeschafft werden. Wie der DGB fprdern wir eine Sachverständigenkommission einzusetzen, bestehend aus Wissenschaftler:innen, Vertreter:innen der Tarifparteien, von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie von Betroffenenorganisationen. Diese Kommission soll eine Empfehlung für den Gesetzgeber entwickeln.

A9 Mindesthonorare für Selbstständige

6.12.2018

1. Im Bereich selbstständige Tätigkeit muss eine Vergütung sichergestellt sein, die in ihrem wirtschaftlichen Gegenwert zumindest dem Mindestlohn für Angestellte entspricht, d.h. mindestens 16 EUR.
2. In geeigneten Branchen sollen Honorarordnungen nach dem Beispiel von HOAI, GOÄ, RVG, StBVV, etc. erlassen werden.
3. Soweit die Tätigkeit weder nach Zeitmaß abgegolten wird, noch die Mindestvergütung durch Honorarordnungen geregelt ist, soll gesetzgeberisch klargestellt werden, dass alle vertraglichen Vereinbarungen, die anfänglich vorhersehbar zu einer Erbringung von Leistungen mit einer wirtschaftlichen Vergütung, die geringer liegt als der Mindestlohn für Angestellte sittenwidrig und nichtig sind und der Auftraggeber von Gesetzeswegen ein angemessenes Honorar im Gegenwert des gesetzlichen Mindestlohns schuldet.

W6 Plattformen ordnungspolitisch regulieren

6.12.2018

1. Plattformen für die Vermittlung von Arbeitsleistung, Dienstleistungen und Waren sind unter behördliche Aufsicht zu stellen, da diese eine für das wirtschaften zentrale Rolle spielen und erhebliche Macht entwickeln. Vorbild hierfür können die Bundesanstalt für Bankenaufsicht und die Bundesnetzagentur sein. Der Aufsichtsbehörde sind entsprechende Kontrollbefugnisse einzuräumen.
2. Bei der Behörde sind Spruchkörper zu schnellen Streitschlichtungen nach dem Vorbild der Beschlusskammern der Bundesnetzagentur (§133 ff TKG) zu schaffen.

I6 AGB-Schutz auch für KMUs einführen

6.12.2018
  1. Auch gegenüber Kleinunternehmern verwendete Verträge sollen, auch am Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen zu messen sein.
  2. Hierzu sollen vorläufig die allgemeinen Klauselverbote aus den §§ 308 und 309 BGB anwendbar sein, mittelfristig entsprechende besondere Klauseln für den unternehmerischen Verkehr ins Gesetz eingefügt werden.

W7 Gesamtwirtschaftlich ökologisch ausgerichtete Handlungsmodelle entwickeln

6.12.2018

1. Zeitnahe Durchführung eines Diskussionscamps zur Erarbeitung einer zukunftsfähigen, sozialdemokratischen und ökologisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik in Zeiten der Europakrise. Dazu sollte unter anderem Herr Prof. Dr. Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium eingeladen werden.

2. Mit diesem Thema befasste Wissenschaftler*innen und Fachleute innerhalb der SPD zur Mitarbeit motivieren.

3. Sich ingesamt intensiv mit den Aussagen und Vorschlägen der Wissenschaftler*innen in der Erdsystemforschung befassen.

S11 Schwangerschaftsabbruch raus aus der Tabu-Zone!

6.12.2018

Die SchwabenSPD gibt folgende Forderungen an den Landesparteitag und den Bundesparteitag weiter:

  • ein Recht auf Abbruch der Schwangerschaft für jede Frau*
  • Die Kosten für den Abbruch (rund 300-500 Euro) sollen von den Krankenkassen getragen werden und nicht wie bis dato üblich von der Schwangeren selbst
  • Staatlich getragene Beratungsstellen sollen für jede betroffene Frau* in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen
  • das Recht und damit den Anspruch auf eine Schwangerschaftskonfliktberatung und die anschließende Unterstützung sozialgesetzlich zu regeln, unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen einen Abbruch entscheidet. Die Beratung muss ergebnisoffen geführt werden
  • eine ersatzlose Streichung des §219a StGB
  • Aufnahme des Themenbereichs Schwangerschaftsabbruch ins Medizinstudium
  • Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch
  • Schutz der Ärzt*innen, Gynökolog*innen vor Angriffen sog. „Lebensschützer*innen“
  • Entstigmatisierung der Ärzt*innen, Gynökolog*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen
  • Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen
  • Ein ausreichendes Angebot an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche
  • Eine Homepage der Bundesärztekammer mit sachlichen, neutralen Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch
  • Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss thematisch sachlich in der Schule im Biologieunterricht und nicht nur im Religionsunterricht behandelt werden
  • Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss in die Gesellschaft getragen werden
  • das Recht auf psychologische Begleitung nach einem Schwangerschaftsabbruch und ein niederschwelliger Zugang zu Beratungsstellen
  • eine bis zu zwölfwöchige Krankschreibung, die, sofern keine medizinische Indikation besteht, in Einzelfallentscheidungen mit den betroffenen Frauen* im Konsens entschieden wird
  • Beratungsstellen die in zumutbarer Entfernung liegen
  • geschulte Psychotherapeut*innen

·         es muss jederzeit die Möglichkeit gegeben sein, die Leibesfrucht durch die Angehörigen bestatten zu lassen.

Begründung:

Europaweit erstarken rechte und religiös fundamentalistische Gruppierungen. Dies macht sich auch in der sexuellen Selbstbestimmung, für die wir seit Jahrzehnten kämpfen, bemerkbar. Gruppierungen wie die Pro life-Bewegung oder sog. “Märsche für das Leben”, aber auch die Union und AfD möchten die reproduktiven Rechte von Frauen* einschränken und stigmatisieren bzw. kriminalisieren Betroffene und Ärzt*innen.

Recht ist nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Der Rechtsstaat ist nicht unfehlbar und ist wie die Gesellschaft selbst den gesellschaftlichen Anschauungen der Zeit unterworfen. Wie auch der gesellschaftliche Kampf um die sexuelle Selbstbestimmung ist auch das Recht dazu noch zu erkämpfen.

Wir  Jusos/SPD  bekennen  uns  zur  Selbstbestimmung  von  sexuellen  und  reproduktiven  Rechten. Jede*r   soll über  die eigene  reproduktive Gesundheit  selbst  entscheiden  dürfen.  Dies  bedeutet die Wahrung  einer  selbstbestimmten Entscheidung  über  den  Schwangerschaftszeitpunkt  und  die  mögliche Kinderanzahl.  Im Falle einer Schwangerschaft die Entscheidung darüber zu treffen das Kind auszutragen oder die Schwangerschaft abzubrechen, ist aus unserer feministischen Überzeugung das genuine Recht der Frau*.

Schwangerschaftsabbruch ist kein gesellschaftliches Stigma – §§218 f. StGB streichen

Der im Jahre 1872 eingeführte § 218 StGB stellt den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe und ist dem Abschnitt “Straftaten gegen das Leben” neben Mord und Totschlag zugeordnet.  Für die Entscheidung damals war nicht nur die Gesundheit oder der Schutz des ungeborenen Lebens wichtig, sondern auch die Kontrolle weiblicher Reproduktion und der Wert der Frau als eigenständige Person mit ihrer autonomen Entscheidung. Bis in die 1970er Jahre hinein drohte Frauen* bei einer Abtreibung sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu 5 Jahren. „Der Paragraf 218 ist in dem, was er real bewirkte, ein schwer erträglicher Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts” sagte Willy Brandt im Jahr 1974. In diesem Jahr wurde die Reform des § 218 StGB verabschiedet, nach der der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche straffrei bleiben sollte. Dieser umstrittenen Reform machte das Bundesverfassungsgericht jedoch im Jahr 1975 einen Strich durch die Rechnung, indem es folgenden Leitsatz aufstellte: ”Der Lebensschutz der Leibesfrucht [aus  Art. 2 II 1 GG, Art. 1 I GG] genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.” Diesem Leitsatz möchten wir entschieden entgegentreten!

Wir Jusos/SPD sehen die verfassungsrechtliche Schwierigkeit der Abwägung zwischen pränatalem Lebensschutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, jedoch empfinden wir das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Frauenbild als Restbestand sozialer Ungerechtigkeit und der patriarchalen Sichtweise aus der Gesetze geschrieben und Strafrecht definiert wird. Es ist aus unserer Sicht unerträglich, dass das Bundesverfassungsgericht der Ansicht ist, dass “der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein muss (Bestätigung von BVerfGE 39, 1). Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.”. Dies hat zur Folge, dass noch heute Schwangerschaftsabbrüche als rechtswidrig angesehen werden. Sie bleiben lediglich unter bestimmten Bedingungen, wie beispielsweise durch die Teilnahme an einer Beratung und unter Einhaltung bestimmter Fristen, straffrei. Alle Schwangeren, die einen Abbruch planen, werden somit unter Generalverdacht gestellt eine Straftat zu begehen. Dieser Umstand ist nicht hinnehmbar!

Dem Selbstbestimmungsrecht der Frau muss Rechnung getragen werden. Auch gesundheitliche Aspekte sprechen dafür den Schwangerschaftsabbruch raus aus der strafrechtlichen Illegalität zu führen. So ist festzustellen, dass in Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe steht, dieser meistens erst im 4. oder 5. Monat stattfindet und von medizinisch nicht fachkundigem Personal unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt wird. Dies führt zu erheblichen Komplikationen, die zum Teil zu schwersten Verletzungen oder gar zum Tod führen können. (BeckOK StGB/Eschelbach StGB § 218 Rn. 1)

Die sogenannte Fristenlösung, wie sie bis jetzt im §218a I Nr.3 StGB geregelt ist, dass nur bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis ausnahmsweise der Schwangerschaftsabbruch straffrei erfolgen kann, lehnen wir ab. Die Frist ist, auch im Hinblick darauf, dass der Fötus vor der 22. Woche weder Schmerzempfinden noch ein Bewusstsein hat, willkürlich gesetzt. Zudem treten immer häufiger die Fälle auf, dass Frauen erst nach der zwölften Woche mitbekommen, dass sie schwanger sind. Viele Fälle von Abbrüchen nach der zwölften Woche gehen mit häuslicher Gewalt oder Angst vor Bestrafung von ihren Familien einher. Diese willkürliche Hürde darf nicht sein! So erkannte die Drucksache des Bundestags 12/696 aus dem Jahr 1991 schon richtig: “Die Festlegung einer Frist, nach deren Ablauf eine Abtreibung verboten ist, unterstellt, daß Frauen nicht dazu in der Lage sind, selbständig die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Die Drei-Monats-Frist ist willkürlich und durch nichts zu begründen. Sie erzeugt zudem einen unvertretbaren Zeitdruck: Wenn eine ungewollte Schwangerschaft erst spät entdeckt wird, was gerade bei sehr jungen oder bei älteren Frauen leicht vorkommen kann, ist die Drei-Monats-Frist für eine reifliche Entscheidung zu kurz.”

Andere Länder leben es vor

In anderen Ländern, die bereits die strafrechtliche Regelung für ungültig erklärt oder gestrichen haben, ist die von konservativen Seiten viel prophezeite Abtreibungswelle nicht eingetreten. Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die weit verbreitete Ansicht, nach der die Legalisierung den Abbruch fördert, falsch. Verbote hätten laut ihren Ergebnissen keinen Einfluss auf die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, sondern der Verbreitungsgrad an Verhütungsmitteln.  

Beispielsweise hat das Oberste Gericht Kanadas 1988 das bis dahin geltende Abtreibungsgesetz für ungültig erklärt. Das Gericht begründete ihr Urteil damit, dass eine Frau unter Strafandrohung zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft zu zwingen, außer sie genüge bestimmten Kriterien, die mit ihren eigenen Prioritäten und Lebenszielen nichts zu tun hätten, bedeute eine tiefgreifende Verletzung ihrer körperlichen Integrität.

Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt dort seitdem denselben Bestimmungen wie jeder andere ärztliche Eingriff und ist ansonsten nicht gesetzlich geregelt. Wie vor jedem medizinischen Eingriff sind Ärzt*innen dort gesetzlich verpflichtet, die Patientin umfassend zu informieren und sicherzustellen, dass sie ihre Entscheidung selbstverantwortlich und in voller Kenntnis aller Umstände trifft. Die Abortrate ist in Kanada seitdem leicht gesunken und gleicht der westeuropäischer Länder (2014:  11,6/1000 Frauen in Kanada und 12/1000 Frauen in westeuropäischen Ländern).  92% der Eingriffe werden in Kanada in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten durchgeführt, nur 2% nach der 16. Woche (meist wegen einer schweren Schädigung des Fötus).

Schwangerschaftskonfliktberatungen reformieren

Der § 219 StGB regelt die Beratung von Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage. Die Beratung verfolgt das Ziel, die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu bewegen. Dies wird damit begründet, dass das ungeborene Kind in jedem Entwicklungsstadium ein Recht auf Leben hat. Ein Schwangerschaftsabbruch käme nur dann in Frage, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft für die Frau eine Belastung darstelle, die so schwer und außergewöhnlich sei, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteige. Diese Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stellen den Frauen eine Bescheinigung aus, die rechtlich notwendig ist, um von einer*m Arzt* Ärztin einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen zu können.

Diese Regelungen zur Schwangerschaftskonfliktberatung beinhalten Aspekte, die für uns als Jusos nicht vertretbar sind und die wir darum ändern wollen. Durch den Beratungszwang wird die Selbstbestimmung der Schwangeren massiv eingeschränkt und stellt eine erhebliche Bevormundung dar. Einen Beratungszwang für ungewollt Schwangere lehnen wir daher ab und machen uns stattdessen für einen gesetzlich Anspruch auf Beratung und Unterstützung wie in anderen Bereichen des Sozialrechts stark. Jeder Mensch hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sexuelle Selbstbestimmung kann nur dann gelebt werden, wenn alle Menschen freien Zugang zu Informationen über medizinische Behandlungen haben. Die Beratung sollte die Pro/Contra Seiten einer Abtreibung hinreichend darstellen.  

Weg mit §219a StGB! Den Weg zu Informationen entkriminalisieren

Der in 1933 in Kraft getretene § 219a StGB verbietet, dass Ärzt*innen selber Auskunft darüber geben, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, und über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. Er nimmt Schwangeren gleichzeitig dadurch die Möglichkeit, sich anonym und selbstständig zu informieren. Es kann und darf nicht sein, dass medizinische Informationen für Frauen Ärzt*innen kriminalisieren. Nach § 219a StGB kann die Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen als Werbung verstanden werden und zu einer Verurteilung führen.

Mit dem stark zugenommenen Rechtsruck in unserer Gesellschaft in jüngster Zeit missbrauchen konservative, selbsternannte Lebensschützer*innen diesen Paragraphen im verstärkten Maße, um Ärzt*innen anzuzeigen. So wurde die Ärztin Kristina Händel von so einer Person angezeigt und im vergangenen Jahr zu 6.000 Euro Strafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage angegeben hatte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Im populärsten Strafrechtskommentar “Trödle/Fischer”, der in allen Bücherregalen von Strafrechtler*innen zu finden ist, wird argumentiert, dass § 219 a StGB verhindern solle, „dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“. Auf diesen Satz beziehen sich fast alle Gerichte und Staatsanwälte und zementieren diesen so zur herrschenden Meinung. Die richterliche Auslegung, die so maßgeblich von einem einzigen Strafrechtskommentar geprägt wird, setzt regelmäßig sachliche Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen mit Werbung gleich.

Problematisch ist hierbei, dass der ehemalige Herausgeber dieses Kommentars, Herbert Tröndle (*1919 + 2017), sich selbst gegen Schwangerschaftsabbrüche engagierte und eben diese Kommentierung vornahm. Tröndle schrieb unter anderen für das „Lebensschutzhandbuch“ des katholischen Bonifatiusverlags und engagierte sich an führender Stelle in der Juristen-Vereinigung “Lebensrecht”. 1993 schrieb er in einem Beitrag zu dem Buch “Das zumutbare Kind”, dass schwangere Frauen sich durch die Abtreibung einer natürlichen Aufgabe entledigen würden und einer durch ihr Vorverhalten begründeten rechtlichen Pflicht nicht nachkommen. Die Meinung eines solchen Mannes kann nicht die Rechtsprechung beherrschen!

Dies sieht die Bundesärztekammer ebenso. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, plädiert ebenfalls für eine Abschaffung des Werbeverbots. §219 a StGB kriminalisiere Ärzt*innen in nicht nachvollziehbarer Weise, heißt es in einer Resolution der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Hamburg. Die Berufsordnung der Ärzteschaft regele in ausreichendem Maße die Grenzen zwischen Werbung und Information.

Sexuelle Selbstbestimmung zu verwirklichen heißt, einen schnellen und neutralen Zugang zu Informationen über Sexualität und sexueller Gesundheit zu ermöglichen. Das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen muss als Teil einer flächendeckenden ärztlichen Grundversorgung angesehen werden.

Konsequenz des §§218ff. StGB: Kein Thema während des Medizinstudiums

101.200 Abtreibungen wurden nach dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2017 durchgeführt. Im Berichtsjahr 2016 wurden in Deutschland 98.721 Schwangerschaftsabbrüche an das Statistische Bundesamt gemeldet. 11.291 der Schwangerschaftsabbrüche 2016 waren in Bayern. Der Schwangerschaftsabbruch gehört damit zum häufigsten chirurgischen Eingriff in der Gynäkologie.

Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch wie etwa in den USA, Großbritannien, Kanada oder auch der WHO gibt es in Deutschland keine. Ein Umstand, den Pro Familia bereits 2014 in einem Rundbrief kritisiert hatte. In Deutschland fehle es an „Standards oder Leitlinien zur fachgerechten Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“, heißt es in dem Brief.

So wird auch im Medizinstudium der Schwangerschaftsabbruch kaum besprochen oder gar praktisch geübt. Er taucht lediglich im “Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin” (NKLM) auf, den der medizinische Fakultätentag gemeinsam mit der Gesellschaft für medizinische Ausbildung entwickelt hat, ist aber kein Regelwerk für die Universitätskliniken. So werden beispielsweise an dem größten Universitätsklinikum, der Charité in Berlin, lediglich die rechtlichen und ethischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs gelehrt, nicht aber die Methoden. Hier üben die angehenden Mediziner*innen den Eingriff in ihrer Freizeit an Papayas statt in einer Pflichtveranstaltung, nachdem dort einige Studierende diesen Missstand nicht weiter hinnehmen wollten und deshalb die Initiative „Medical Students For Choice Charité Berlin“ mit dem Ziel, die Lehre über den Schwangerschaftsabbruch zu verbessern, ins Leben gerufen haben. Aus Angst vor dem Strafgesetzbuch und der Stigmatisierung wird an den Universitäten der Eingriff nicht geübt.

Ob angehende Gynäkolog*innen lernen, wie man einen Abbruch vornimmt, hängt davon ab, ob das Krankenhaus, an dem sie ihre Facharztausbildung absolvieren, solche Eingriffe vornimmt. Viele Krankenhäuser, vor allem die in kirchlicher Trägerschaft, führen keine Abbrüche durch. Auch in der Weiterbildung für Gynäkolog*innen ist man bei Schwangerschaftsabbrüchen auf internationale Kongresse angewiesen.

Zu wenig Ärzt*innen

Durch die Kriminalisierung im Strafrecht und das nicht vorhandene Auseinandersetzen im Studium haben dazu geführt, dass immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In ganz Niederbayern gibt es beispielsweise nur noch einen über 70-jährigen Arzt, der noch Abbrüche durchführt, weil es sonst niemand machen will. In einigen Regionen haben Frauen schon jetzt keine Chance mehr, einen Schwangerschaftsabbruch in der näheren Umgebung vornehmen zu lassen. Wer zum Beispiel in Trier wohnt, muss dafür mindestens 100 Kilometer ins Saarland fahren. Und nach dem Eingriff, mit Schmerzen und der psychischen Belastung, wieder zurück.

Bundesweit gibt es der Bundesärztekammer zufolge etwa 18.500 berufstätige Ärzt*innen in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das Statistische Bundesamt gibt an, bundesweit führten derzeit nur etwa 1.200 Ärzt*innen Abbrüche durch, Tendenz leicht abnehmend. Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen, existiert dank §219a StGB nicht.

Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz müssen die Bundesländer ein ausreichendes Angebot an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen. Den Gesundheitsministerien vieler Länder aber liegen keine Zahlen vor. Stattdessen verweisen sie wahlweise auf die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Landesärztekammern, die Berufsverbände der Frauenärzte oder an die Krankenhausgesellschaften. Das bayerische Staatsministerium für Gesundheit erklärt, es gebe 27 Kliniken, die in Bayern Schwangerschaftsabbruch durchführen – 15 davon tun das aber nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation. Mit 96,1 % wurden aber die meisten Eingriffe 2016 nach der Beratungsregelung vorgenommen. Eine medizinische oder kriminologische Indikation war in lediglich 3,9 % der Fälle die Begründung für den Schwangerschaftsabbruch.

Dazu kommen hohe Hürden. Wer als niedergelassene Ärzt*in operative Schwangerschaftsabbrüche durchführen will, muss vor allem ambulant operieren können und über die entsprechenden Räumlichkeiten und das Personal verfügen. Dazu kommen je nach Bundesland weitere Vorgaben – in Bayern etwa müssen Ärzt*innen noch eine Fortbildung nachweisen, in der es neben den medizinischen auch um die ethischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs geht.

Das größte Problem ist aber, dass in Deutschland immer mehr Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, in Rente gehen– und es an Nachwuchskräften fehlt. Diese Ärzt*innen haben überwiegend in den Siebzigerjahren, während der Frauenbewegungen, ihr Studium absolviert und handeln aus einer politischen Überzeugung heraus. Diese ist in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft entpolitisiert und in die sog. Tabuzone gekommen, so dass die nachkommenden Generationen an Ärzt*innen mit diesem Thema nicht vertraut sind und aus oben genannten Gründen nicht in ihrem Studium in Berührung kommen.

Schwangerschaftsabbruch muss zum gesellschaftlichen Thema werden

Weltweit erlebt ungefähr jede dritte Frau in ihrem Leben einmal eine Abtreibung. Zwei von drei ungewollten Schwangerschaften entstehen trotz Verhütung. Keine Frau treibt gerne ab. Und jede Frau stellt sich vor einem Abbruch Fragen, die quälen. Viele Frauen* berichten laut ZEIT ONLINE, die Frauen zu ihren Erfahrungen zu Abbrüchen befragten, nicht von Selbstbestimmung, sondern von Verheimlichung vor der Familie, Beleidigungen im Internet und einsamen Entscheidungen. Psychotherapeut*innen beklagen, dass viele Frauen* noch unter einem Schwangerschaftsabbruch leiden und niemanden haben, mit dem sie darüber reden können.

Der Schwangerschaftsabbruch ist gesellschaftlich immer noch ein Makel, der auf das Individuum, die einzelne Frau, abgewälzt wurde. Doch je weniger wir darüber sprechen und das so wichtige Thema aus der Ecke des Unaussprechbaren holen, desto gesellschaftsfähiger wird die Haltung der Abtreibungsgegner*innen.

Eine ungewollte Schwangerschaft legal und professionell beenden zu können, muss eine “normale” Alternative sein – illegal, unhygienisch und in Hinterzimmern den Ausweg aus einer Notsituation zu finden, wird nämlich nie “normal” sein können. Das bedeutet keinesfalls, dass dieser Eingriff für die Betroffene* “normal” sein könnte.

Es gehört unglaublicher Mut und die große Überwindung dazu, mit solchen Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir sind als Gesellschaft noch weit davon entfernt, eine Sprache für das Erlebte zu finden, Tabuzonen und Scham zu durchbrechen und Strukturen der Stigmatisierung zu verstehen. Darüber zu sprechen, schafft Bewusstsein, nimmt der gesellschaftlichen Struktur an Macht und gibt anderen wiederum den Mut, über ihr Erlebtes sprechen zu können.

Zur sexuellen Selbstbestimmung gehört auch, gesellschaftliche Räume zu schaffen, die den Dialog darüber ermöglichen. Sexualität geht uns alle an.

Mehr Schutz bei Abgängen

Schwangerschaftsabbrüche sind jedoch nicht notwendigerweise die Folge eines gewollt herbei geführten Abbruchs. Der Abgang eines Fetus unter 500g Gewicht wird “Fehlgeburt” genannt, der Abgang von Feten über 500g “Totgeburt”. Es wird angenommen, dass in der Gruppe der 20– bis 29-jährigen Frauen etwa die Hälfte der befruchteten Eizellen spontan zugrunde gehen. Klinisch werden aus den genannten Gründen davon jedoch nur etwa 15 % bis 20 % als Fehlgeburten erkannt, etwa 30 % der Frauen* sind in ihrem Leben von einer oder mehreren Fehlgeburten betroffen. Darüber zu sprechen, ist jedoch ein Tabuthema. Ursachen sind zumeist chromosomale Besonderheiten des Fetus, endokrine Störungen der Mutter* oder Infektionskrankheiten. Erhöht wird das Risiko eines Abgangs durch das Alter der Eltern.

Das Wort “Fehlgeburt” lässt den Schluss zu, der Abgang des Fetus sei auf Fehlverhalten der Schwangeren* zurück zu führen. Dem zu Grunde liegt dieselbe frauenverachtende und patriarchal Gedachte Grundannahme, die Frauen das Recht auf einen Abbruch verweigert: Unmündige Menschen, deren Aufgabe es ist, den Fortbestand der Menschheit durch Gebären von Leben zu sichern und auf eigene Bedürfnisse zu verzichten.  Auch werden Mütter nach “Fehlgeburten” rechtlich allein gelassen: es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf die Schutzfrist nach der Entbindung. Entscheidend ist lediglich das Gewicht des verstorbenen Kindes: unter 500g Gewicht besteht keinerlei Anspruch auf eine Schutzfrist, zwischen 500-2500g handelt es sich um eine Frühgeburt und es ergibt sich ein Anspruch auf die verlängerte Schutzfrist von 12 Wochen und ab 2500g besteht die achtwöchige Schutzfrist. Diese Regelungen negieren das Recht auf individuelle Verarbeitung des Geschehenen.