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S14 Pflegereform korrigieren, Zukunft sichern

31.03.2023

Die angestoßene sog. Pflegereform von Gesundheitsminister Jens Spahn erfüllt nicht unsere Erwartungen an die Pflege der Zukunft. Zwar ist die Stoßrichtung – bessere Vergütung für Mitarbeiter*innen in der Pflege und planbare Kosten für Bewohner*innen und deren Familien – zu begrüßen, allerdings bleiben die gewählten Instrumente wenig wirkungsvoll und versprechen keine Lösung für die offenen Fragen.

Statt der Initiative von Bundesarbeitsminister Heil zum Branchentarifvertrag wurden schlussendlich nur „tarifähnliche“ und „ortsübliche“ Konditionen im Gesetz verankert. Hierin sehen wir deutlich zu viel Spielraum, um verlässlich gute Konditionen und beste Bedingungen für die Beschäftigten zu garantieren.

Außerdem wurde versäumt, den Heimkosten eine solide Grenze zu setzen. Mit der schrittweisen Reduzierung der Pflege-Kosten bei stationärer Pflege rechnet der Gesetzgeber bewusst mit den kürzer werdenden Aufenthaltszeiten in den Einrichtungen, den Fiskus zu schonen. Außerdem steigen die Kosten in den Bereichen Unterkunft, Verpflegung und Investition ungebremst weiter.

Finanzielle Planungssicherheit für Pflegebedürftige und deren Angehörige kann so nicht erreicht werden. Unser Anspruch bleibt weiterhin die vollständige Deckelung der Eigenanteile bei stationärer Pflege als erster Schritt und perspektivisch die Umgestaltung der Pflegeversicherung zu Vollversicherung.

Wir fordern unsere gewählten Vertreter*innen der SPD in Bund und Ländern in den kommenden Jahren auf, das Thema weiter dezidiert zu verfolgen und den Missständen wirkungsvoll zu begegnen. Gute Pflege braucht klare Regeln. Die guten Löhne für Beschäftigte und die planbaren Kosten für Pflegebedürftige und deren Familien dürfen nicht sich nicht weiter entgegenstehen, sondern gemeinsam das Fundament für eine zukunftsfähige Pflege bilden.

 

S13 Pflege für Alle. Alle(s) für die Pflege

31.03.2023

Pflege für Alle. Alle(s) für die Pflege.

Die Bundesrepublik sieht sich im Jahr 2019 mit 3,4 Millionen Pflegebedürftigen konfrontiert, die Zahl wird erwartungsgemäß in den nächsten Jahren steigen und wird für 2060 mit einer Zahl von 4,6 Millionen prognostiziert. Dem gegenüber stehen aktuell rund 1,1 Millionen Beschäftigte in der Pflegebranche, hauptsächlich Frauen und größtenteils in Teilzeit beschäftigt. Der Durchschnittsverdienst dieser Berufsgruppe liegt aktuell bei Vollzeit ca. bei 2.600 € brutto, variiert aber abhängig von Bundesland und Region gravierend. Während für die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen die finanziellen Eigenanteile bei stationärer Pflege stetig steigen – selbst im ländlich geprägten Niederbayern abseits der größeren Städte sind über 2000€ monatlich keine Seltenheit – ist die deutsche Pflegelandschaft eine beliebte Spielwiese für in- und ausländische Investor:innen zur Maximierung ihrer Rendite. Gleichzeitig ruhen 5,17 Milliarden Euro im Pflegevorsorgefond und warten bedächtig auf die eigene Wertminderung, statt das jährliche Defizit der sozialen Pflegeversicherung (2018: ca. 3 Milliarden Euro) zu begleichen. Dem häufig deklarierten „Pflegenotstand“ und dem Personalengpass in der Branche wird mit politischem Stückwerk wie dem Pflegepersonalstärkungsgesetz begegnet, welches obendrein dann nur träge umgesetzt wird und durch verspätete Zustellung von Bescheiden Einrichtungen und Träger:innen finanzielle Schwierigkeiten bereitet, statt Personalprobleme zu beheben. Durch die Einführung der generalistischen Ausbildung steigt die Unsicherheit im Bereich der Ausbildung, also der zentralen Strategie gegen den Fachkräftemangel, die Anwerbung ausländischer Fachkräfte ist durch komplizierte und langwierige Anerkennungsverfahren aufwändig und mit der Umstellung auf Prüfungen mittels dem indikatorengestützten Qualitätssystem werden Mitarbeiter:innen vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.

Gerade um den skizzierten Missständen konsequent zu begegnen und zukunftsgewandte Konzepte entgegenzustellen, ist eine klare Positionierung der Sozialdemokratie unerlässlich. In einem klassischen Feld der Sozialpolitik in dem die Interessen von Beschäftigten, Angehörigen und Pflegebedürftigen gegen Gewinnmaximierung und die freie Kraft des Marktes zu verteidigen sind, kann die SPD nicht zuletzt auch ihr eigenes Profil schärfen und verlässliche Partnerin von Bürger:innen sein.

Zur Umsetzung sind einige zentrale Weichenstellungen nötig:

  1. Gesetzliche Maßnahmen im Pflegebereich müssen umgehend und strukturiert umgesetzt werden. Die Kritik am PpSG ist vielerorts berechtigt, so bleibt fraglich woher die zusätzlichen Pflegekräfte kommen sollen und ob durch die Reform nicht eher Beschäftigte mit Mehrarbeitsstunden beladen werden, statt neue Kolleg:innen begrüßen zu können. Vor allem ist aber anzumerken, dass bei einer geplanten finanziellen Entlastung von Träger:innen und Einrichtungen die Hilfe auch umgehend erfolgen muss. Wenn tatsächlich neues Personal eingestellt und bezahlt wird, die Rückvergütung aber über mehrere Monate stockt, bringt man die Betroffenen in eine missliche Lage und lastet unnötigerweise finanzielles Risiko auf die Stützen des Systems. Wenn die Bundesregierung wirksame oder zumindest mildernde Maßnahmen erlässt, müssen diese auch die Nutznießer:innen im angekündigten Zeitrahmen erreichen. Dafür zu streiten, ist ehrenhafte Aufgabe der SPD.
  2. Solidarische Finanzierung: Die Kostensteigerung des Eigenanteils bei stationärer Pflege muss gestoppt werden und eine Deckelung des Betrags erfolgen. Nur so wird die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen und Angehörigen vermieden, Unsicherheiten beseitigt und Angespartes verteidigt. In der aktuellen Situation werden bei Einzug in eine Pflegeeinrichtung die mühsam erwirtschafteten Geldbeträge der Pflegebedürftigen abgebaut, bis die betroffenen Personen in die Sozialhilfe rutschen und somit die kommunalen Gebietskörperschaften belasten. Perspektivisch soll die Pflegeversicherung freilich zur Bürger:innenversicherung umgestaltet werden, sodass alle in denselben Topf einzahlen und alle Einkommensarten berücksichtigt werden. Im Zuge dessen ist die Pflegeversicherung zur Vollversicherung umzugestalten, um den Zugang zu adäquater Pflege schlicht für Alle zu ermöglichen.
  3. Kommunale Pflege-Infrastruktur: Die Kommunen müssen sukzessive und nachhaltig bei der Schaffung von Pflegeinfrastruktur unterstützt werden. Dazu gehört die Gewährleistung von Beratungsangeboten genauso, wie die Förderung eigener Pflegestützpunkte. Zur Finanzierung soll der Pflegevorsorgefond aufgelöst werden und die Beitragsgelder zweckgebunden an die Kommunen ausgegeben werden. Das Geld wird dann dafür eingesetzt, wofür es gedacht ist: Fu r die Sicherstellung eines flächendeckenden Pflegeangebots.
  4. Tarifvertrag für Alle: Wir brauchen dringend einen flächendeckenden Tarifvertrag für die Pflegebranche, der für alle Beschäftigten in der stationären und ambulanten Pflege gilt. Dieser Tarifvertrag muss gleichermaßen regionale Lohnunterschiede beheben, Mindeststandards sichern und Ausbeutung verhindern. Außerdem soll eine gesetzliche Personalbemessung in der Altenpflege für zusätzliche Sicherheit sorgen. Durch einen Tarifvertrag soll privaten Anbietern der „Wettbewerbsvorteil“ niedriger Löhne zur Steigerung der Rendite genommen werden und wohlfahrtsverbandliche, kommunale und staatliche Strukturen gefördert werden.
  5. Zur weiteren Stärkung der Rolle der Mitarbeiter:innen in der Pflege ist die Fortschreibung und Ausweitung der „Charta der Rechte von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen“ dringend geboten. Auch die Beschäftigten sollen hier deutlich erfasst und deren Rechtssicherung zusätzlich betont werden. Fu r die Schlagkraft dieser Maßnahme ist freilich die Erklärung der Verbindlichkeit der sog. Pflege-Charta notwendig, nur so kann die Rechtsstellung beider betroffenen Gruppen, der Pflegebedürftigen wie der Beschäftigten, abgesichert werden. Umfassende Aufklärung und Kontrolle sind dafür obligatorisch.
  6. Streichung des Vorrangs von privaten und freigemeinnützigen Trägern aus dem SGB streichen: Der Staat muss dazu berechtigt sein, selbst Pflegeeinrichtungen anzubieten und zu betreiben. Die im SGB XI formulierte Regelung, dass freigemeinnützige und private Träger:innen zu bevorzugen sind, soll gestrichen werden. In einer solidarischen Gesellschaft ist die Sicherstellung von Pflegeinfrastruktur ehrenhafte Aufgabe der Gesellschaft und damit des Staates. In der Entscheidung, dieses Angebot zu schaffen, soll er frei sein und nicht von anderen Akteuren beeinträchtigt werden. Natürlich sind gemeinnützige und wohlfahrtsverbandliche Pflegeeinrichtungen und deren Träger:innen trotzdem entscheidende Stützen unseres Sozialstaates und traditionelle Bündnispartner:innen unserer Sozialdemokratie.
  7. Letztlich braucht es für eine neue Perspektive der Pflege auch einen neuen Blick auf die Situation. Dazu müssen wir gemeinsam für eine positivere Wahrnehmung streiten. Statt anstrengender Schichtarbeit, mäßiger Vergütung und Personalengpässen sollen fortan auch Weiterbildungsmöglichkeiten, hohe Jobsicherheit und der soziale Charakter der Arbeit betont werden. Gegen die unstrittigen Probleme in dem Bereich definieren wir Sozialdemokrat:innen freilich ohne Vorbehalte Lösungsansätze, legen aber gleichermaßen Wert auf die positiven Seiten der Arbeit im Sinne unserer Gesellschaft. Abschließend geben wir den Pflegebedürftigen, den Beschäftigten und den Angehörigen mit Nachdruck das höchste Gut unserer politischen Arbeit, nämlich unsere Solidarität.

 

 

S12 Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren wiederherstellen – Pflichtberatung abschaffen

31.03.2023

 

FLINTA*-Personen in unserer Gesellschaft werden noch immer durch veraltete und rückwärtsgewandte Machtkonstellationen unterdrückt. Eine der effektivsten und perfidesten Formen dieser Unterdrückung ist die Fremdbestimmtheit über den gebährfähigen Körper. Allem voran wird schwangeren Personen die Entscheidungsfähigkeit über ihren eigenen Körper und so auch über ihr eigenes Leben abgesprochen.

Wird eine Person ungewollt schwanger und ist sich diese über das weitere Vorgehen nicht im Klaren, bekommt sie im Idealfall von ihrem*ihrer Gynäkolog*in Hinweise zu Beratungsangeboten. Gerade wenn ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden soll, ist ein Umgehen einer Pflichtberatung unmöglich, da erst nach erfolgtem Gespräch ein Beratungsschein ausgestellt wird. Diese Pflichtberatung muss zwar offiziell neutral und ergebnisoffen geführt werden, davon kann aber keine Rede sein, wenn in §219 (StGB) steht, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient. Also nicht etwa der Entscheidungsfindung der schwangeren Person. Die Beratung soll ebenfalls zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen und Perspektiven für ein Leben mit dem Kind eröffnen. Eine klare moralische Abwertung eines Abbruchs wird schon hier klar. Wie kann also ein Pflichtgespräch, das durch seine bloße Existenz klarmacht, dass Schwangeren keine Entscheidungsfindung ohne Beratung zugetraut wird, keine Belastung darstellen? An dieser Stelle möchten wir klarstellen, wie wichtig es ist, eine freiwillige Beratung in angemessener Nähe zur Verfügung zu haben, deshalb sprechen wir uns auch für die weitere kostendeckende Finanzierung von unabhängigen Beratungsstellen und den Ausbau gerade auch im ländlichen Raum aus. Trotzdem verhindert der Pflichtcharakter des Gesprächs und die Gesetzeslage eine ergebnisoffene Beratung und kann die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen belasten. Auch wenn die schwangere Person sich bereits vor dem Gespräch entschieden hat, macht die Pflichtberatung keinen Sinn, sie zeigt nur, dass hier ein Stück Mündigkeit abgesprochen wird. Die folgende Wartezeit von drei Tagen kann ebenfalls von einigen als belastend wahrgenommen werden, denn das Ziel ist klar, nämlich einen Abbruch zu verhindern. Die Beratung selbst sehen wir als Chance an, die Perspektiven eröffnet, ihr Pflichtcharakter aber ist eine Zumutung. Es soll die bestmögliche Beratung zur richtigen Entscheidung möglich sein und diese richtige Entscheidung ist nicht immer das Fortsetzen der Schwangerschaft.

Wir fordern deshalb:

  • Die Abschaffung von Beratungsscheinen und der stigmatisierenden Pflichtberatung durch die Streichung von §219 StGB. Beratungsstellen sollen trotzdem weiterhin als freiwilliges Angebot finanziert werden, die einen wichtigen Teil zur Aufklärung beitragen.
  • Beratungsstellen müssen auch im ländlichen Raum gut zugänglich und unabhängig von konfessionellen Weisungen sein.
  • Die Aufklärung muss auch durch die durchführenden Ärzt*innen möglich sein.
  • Die komplette Übernahme von Schwangerschaftsabbrüchen und gegebenenfalls die psychotherapeutische Begleitung durch die gesetzlichen Krankenkassen.
  • Besserer Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, denn sie sind Teil der Grundversorgung, die Länder müssen hier ihrem Versorgungsauftrag entgegenkommen.
  • Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, dazu gehört die Aufklärung darüber und über Verhütung in der Schule. Öffentliche Informationsportale, die umfassend über die Möglichkeiten aufklären und die Streichung von §219a, denn auch dieser Paragraf stellt eine Bürde für Schwangere und Ärzt*innen dar. Sexuelle Selbstbestimmung ist nur möglich, wenn frühzeitig informiert und aufgeklärt wird und ein Abbruch frei von der Einflussnahme des Staates und konfessionellen Organen ist und vor der Androhung von Strafe.
  • Die Aufnahme von Abbruchsmöglichkeiten in den Lehrplan des Medizinstudiums.

 

S11 Verbesserung der wohnortnahen Versorgung von ungewollt Schwangeren und Abschaffung des Paragraphen 219a StGB und Änderung des Paragraphen 218 StGB

31.03.2023

 

Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist eines, von dem unmittelbar nur Frauen betroffen sein können. Betroffene Frauen sind mit Blick auf den zeitlichen Druck, der von Gesetzeswegen vorgegeben ist, in einer äußerst schwierigen Situation. Für uns ist klar: Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Verhütungsmittel, sondern ein medizinischer Eingriff mit gesundheitlichen Risiken. Kein Verhütungsmittel wirkt absolut sicher – das Risiko für eine Schwangerschaft ist im Falle von Geschlechtsverkehr immer gegeben. Frauen, die ungewollt schwanger werden und sich für einen Abbruch entscheiden, müssen in einem medizinisch fortschrittlichen Land wie Deutschland eine bessere Versorgung erhalten. Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss ferner enttabuisiert und die Informationen hierzu verbessert werden. Der in der GroKo erzielte Kompromiss zur Reform des §219a StGB verbessert die Situation von Ärzt*innen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und ungewollt Schwangeren insgesamt nicht. Das Informationsverbot für Ärzt*innen bleibt darin bestehen, wodurch sich zum einen das Auffinden medizinisch sachgemäßer Informationen für Betroffene weiterhin als schwierig gestaltet und zum anderen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bestehen bleibt. Solange Ärzt*innen eine Anklage wegen einer Information auf ihrer Website fürchten müssen, solange werden weiterhin nur wenige von ihnen für diese Eingriffe bereitstehen.

Wir fordern:

  • die freie Wahl der Abbruchmethode muss bei den betroffenen Frauen liegen,
  • Methoden des Schwangerschaftsabbruchs müssen in der medizinischen Ausbildung verpflichtend verankert werden,
  • die Beratungspflicht soll vereinfacht werden und es sind vielfältige und niederschwellige Beratungsangebote zu schaffen
  • die Änderung des § 218 StGB und somit die Entkriminalisierung von Abbrüchen, was mit einer Enttabuisierung dieses Themas in der Gesellschaft einhergehen wird,
  • die Streichung des § 219a StGB, damit Ärztinnen und Ärzte über ihre Abbruchmethode informieren dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.

Neben Verbesserungen im Bereich Schwangerschaftsabbruch setzen wir uns auch für einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln für bedürftige Frauen ein. Viele Frauen in Deutschland können sich die Kosten für Pille, Spirale und Co. schlicht und ergreifend nicht leisten und verhüten deshalb unregelmäßiger, greifen zu weniger zuverlässigen Methoden oder verzichten ganz auf Verhütung. Frauen im Studium, in der Ausbildung, alleinerziehende Frauen in Minijobs oder Teilzeit – nicht nur Bezieherinnen von Sozialleistungen, sondern für viele Frauen darüber hinaus sind Verhütungskosten eine hohe finanzielle Belastung.

Wir fordern ein bundesweites Modell zur Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln alle.

Frauen sind ferner auch besonders häufig Opfer von Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt. Die Frauenhäuser und Frauennotdienste sind seit Jahren unterfinanziert. Um Frauen in dieser Notsituation besser helfen zu können, müssen die staatlichen Fördermittel hier aufgestockt werden.

Wir fordern: Mehr staatliche Finanzmittel für Frauenhäuser und Hilfseinrichtungen für von Gewalt betroffenen Frauen.

 

S10 Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land – auf allen Ebenen!

31.03.2023

 

Das Bestreben, in Stadt und Land gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, zeichnet unsere Partei seit jeher aus. Dies bezieht sich insbesondere auch auf die medizinische Versorgung, die in ländlichen Regionen ebenso gut sein muss wie in größeren Städten.

Leider ist dies in vielen Fällen nicht gegeben. Besonders betrifft dies die gynäkologische Versorgung von Frauen. In einem Umkreis von 200 km um die Stadt Passau herum, sowie in mehreren ländlichen Regionen in ganz Deutschland ist es für Frauen nicht möglich, einen Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregel durchzuführen und dabei von einem*einer zu- und niedergelassenen Arzt*Ärztin betreut zu werden. Betroffene müssen in einer physischen und psychischen Ausnahmesituation oft mehrere Stunden in eine fremde Stadt fahren, um in einem Klinikum oder einer Praxis behandelt zu werden.

Wir fordern die gewählten Vertreter*innen der SPD dazu auf, sich für eine konkrete Verbesserung der gynäkologischen Versorgung hinsichtlich von Schwangerschaftsabbrüchen insbesondere in ländlichen Regionen einzusetzen.

Dabei sind zwei Anmerkungen von besonderer Wichtigkeit: Zum einen geht es hier nicht um die Entscheidung, ob Schwangerschaftsabbrüche moralisch zu vertreten sind oder nicht. Es geht vielmehr darum, geltendes Recht – nämlich die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen – für alle Frauen unabhängig von ihrem Wohnort zugänglich zu machen. Zum anderen geht es darum zu verstehen, dass ungewollt Schwangere auch bei Verboten oder in schlechten medizinischen Versorgungslagen – wie dies etwa in Passau der Fall ist – ihre Schwangerschaften beenden. Dies zeigen Zahlen aus Ländern, in denen dies gänzlich verboten ist. Sie tun dies dann mithilfe unsicherer und teils lebensgefährlicher Methoden und Medikamente. Es geht in der vorliegenden Forderung also auch darum, Letzteres zu verhindern und gleichwertige, rechtssichere Bedingungen zu schaffen.

 

 

S9 Künstliche Befruchtung auch für unverheiratete Paare und verpartnerte Frauen

31.03.2023

 

Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sowie die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundesrates werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die bestehende Ungleichbehandlung zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren/verpartnerten Paaren hinsichtlich der Anwendung des § 27a SGB V (Künstliche Befruchtung) durch eine entsprechende gesetzliche Regelung beseitigt wird.

Begründung:

Denn obwohl die Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften bereits in einigen wichtigen Bereichen abgebaut werden konnte (so z.B. durch das Lebenspartnerschaftsgesetz oder durch diverse Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts), besteht im Bereich der künstlichen Befruchtung für unverheiratete Paare und für verpartnerte Frauen nach wie vor eine große Ungleichbehandlung. So müssen Personen, die Maßnahmen nach § 27a SGB V (Künstliche Befruchtung) in Anspruch nehmen wollen, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen im Normalfall bis zu 50% der Kosten übernehmen, miteinander verheiratet sein. Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) untersagen die Durchführung von fortpflanzungsmedizinischen Behandlungen bei gleichgeschlechtlicher Partnerschaft nach diesem Paragrafen („heterologeInsemination [ist] zurzeit bei Frauen ausgeschlossen, die […] in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft Leben.“, Richtlinie der BÄK zur Durchführung der assistierten Reproduktion, 2006). Begründet wird dies damit, dass für das Kind eine „stabile Beziehung zu beiden Elternteilen zu sichern sei“. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die eingetragene Lebenspartnerschaft die gleiche, auf Dauer übernommene, auch rechtlich verbindliche Verantwortung für den Partner darstellt, wie die Ehe (vgl. BVerfG zur Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung, 1 BvR 1164/07, Rdn. 104f.)

Die Länder Berlin und Hamburg haben zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Kindschaftsrecht bereits eine Entschließung im März 2011 in den Bundesrat eingebracht (Drs. 124/11), die dort jedoch abgelehnt wurde. Mit einem Urteil hatte das Bundessozialgericht in Kassel 2014 grundlegend entschieden, dass die Kassen Paaren ohne Trauschein eine künstliche Befruchtung nicht mitfinanzieren dürfen. Für uns ist allerdings nicht erkennbar, warum Paare ohne Trauschein schlechtere Eltern für ein Kind sein sollen.

 

S8 Blut ist Blut – Egal, ob rot oder bunt!

31.03.2023

 

„Ich bin schwul, darf heiraten, Kinder adoptieren und Organe spenden, aber mein Blut soll zu schmutzig zum Spenden sein?“

Damit muss in unseren Augen Schluss sein!

Trotz der gesellschaftlichen, sehr positiven Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte gibt es immer noch Bereiche, in denen transgeschlechtliche genauso wie homosexuelle Menschen mittelbar oder unmittelbar diskriminiert werden. Hierzu gehört auch die Blut- und Plasmaspende. Bis in das Jahr 2017 war es für Homo-, Bi- und Transsexuelle überhaupt nicht möglich Blut und Blutbestandteile zu spenden. Erst mit der „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie zur Anwendung von Blutprodukten“ (Richtlinie Hämotherapie) aus 2017 ist es Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) erlaubt, ihr Blut zu spenden, falls sie in den letzten 12 Monaten keinen Geschlechtsverkehr hatten. Im September 2021 wurde dies nach massivem Druck aus der Gesellschaft heraus auf vier Monate abgesenkt. Sofern die betroffenen Menschen allerdings nicht abstinent leben, werden sie daher praktisch trotz fehlender Sachgrundlage von der Blutspende ausgeschlossen. Für ein erhöhtes HIV-Risiko ist nämlich nicht die Sexualität entscheidend, sondern das individuelle Sexualverhalten. Diese aktuell geltenden vier Monate sind wissenschaftlich unverhältnismäßig, noch entsprechen sie der Lebensrealität vieler homo-, bi- und transsexueller Menschen. Eine ganze Bevölkerungsgruppe auf Grund von Stigmatisierung unter Generalverdacht zu stellen, ist eine offene Diskriminierung und sollte gesellschaftlich nicht mehr geduldet werden.

Darüber hinaus ist die aktuelle Regelung an einer weiteren Stelle unsinnig: Wieso sollten Menschen erst vier Monate nach einem „Risikokontakt“ spenden dürfen, obwohl jede Blutspende im Labor getestet wird und das HI-Virus nach sechs bis 12 Wochen sehr zuverlässig nachweisbar ist? Dies erweckt den Eindruck, dass der Ursprung des Blutspendeverbots noch bis heute in den antiquierten Ansichten einiger Mediziner:innen und Politiker:innen sehr präsent zu sein scheint: Denn dieses Verbot stammt noch aus Zeiten der AIDS-Krise in den 1980er Jahren und dass deshalb ein Verbot aufgrund der kaum vorhandenen medizinischen Vorkenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten als Vorsichtsmaßnahme geschaffen wurde, ist vollkommen nachvollziehbar. Fast 40 Jahre später steht dies allerdings aufgrund der massiven Fortschritte in der Forschung und Medizin nicht mehr im Verhältnis zueinander und ist gleichzeitig noch weniger zeitgemäß, da wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse eine ganz andere Einschätzung der Situation heute zulassen.

Es ist Konsens, dass eine Blutspende sicher für Spender:innen und Empfänger:innen sein muss, jedoch basiert die aktuelle Richtlinie nicht auf einer Sachgrundlage, sondern auf Vorurteilen. Dies wird auch deutlich an Formulierungen wie „Transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten“, welche Transsexualität direkt mit einem erhöhten HIV-Risiko in Verbindung setzt, wobei doch eigentlich klar sein sollte, dass die persönliche Geschlechtsidentität genauso wenig wie die individuelle Sexualität für oder gegen ein erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion spricht. Auch besteht kein Zusammenhang zwischen einer Transidentität und (risikoreichem) Sexualverhalten, da die Geschlechtsidentität von der Sexualität abzugrenzen ist, so auch in diesem Zusammenhang.

Auch wenn davon ausgegangen wird, dass Männer, die mit Männern Sex haben, statistisch häufiger von HIV betroffen sind, können HIV-Infektionen inzwischen nach 6 Wochen nachgewiesen werden. Dies zeigt, dass ein Wartezeitraum von vier Monaten vollkommen außerhalb jeglicher Proportion formuliert ist.

Es geht bei dieser Diskussion scheinbar auch nicht nur um die allgemeine Diskriminierung nicht Blut spenden zu dürfen, sondern auch um die diskriminierenden Erfahrungen die Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle bei möglichen Blutspenden begegnen. Fragen nach der Sexualität kommen hierbei einem Zwangsouting gleich, das es in dieser Form nicht geben darf. Der Umgang und die Kommunikation der eigenen Sexualität sollte immer noch eine persönliche Entscheidung sein.

Aus diesen Gründen fordern wir als SPD Niederbayern die SPD-Verhandlungsgruppe im Bereich Gesundheit sowie die SPD-Bundestagsfraktion auf, im Laufe der Koalitionsverhandlungen eine komplette Abschaffung dieser diskriminierenden Regelungen für queere Menschen in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen und im Laufe der Legislaturperiode auch zu erwirken. Die Diskriminierung aufgrund der Hämotherapie-Richtlinie muss beendet werden. Dabei soll sie dahingehend geändert werden, dass Spender:innen nur auf Grund ihres individuellen Risikoverhaltens, nicht aber aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität von der Blut- und Plasmaspende ausgeschlossen werden können. Hierbei ist entscheidend, dass nicht nur eine medizinisch sinnvollere Lösung gefunden wird, sondern auch respektvolle und diskriminierungsfreie Formulierungen verwendet werden. Gerade in Zeiten, in denen schlicht und ergreifend etliche Blutspenden fehlen, sollten wir die gesundheitlichen Aspekte vor konstruierten Diskriminierungen stellen und das Blutspendeverbot für Schwule, Bi- und Transsexuelle endlich abschaffen!

 

S7 Queere Schlüsse aus Corona ziehen – Für eine LGBTIQ:-sensible Politik

31.03.2023

Die Corona-Pandemie hat uns allen gezeigt: Sie ist nicht nur eine Gesundheitskrise, sie ist vor allem auch eine Katastrophe für das solidarische Zusammenstehen unserer Gesellschaft. Das vergangene Jahr und die derzeitigen Entwicklungen zeigen auch nochmal deutlich, dass uns das Virus weiterhin begleiten und beeinflussen wird. Durch die zahlreichen Impfungen wurden zwar deutlich mehr Möglichkeiten für die Gesellschaft geschaffen, doch wir alle wissen nicht, ob für alle Menschen überhaupt eine Rückkehr zur Normalität möglich ist.

Die Pandemie und die zahlreichen Maßnahmen zur Eindämmung hatten massive Auswirkungen auf sämtliche Bereiche unseres Lebens, die in Teilen so gravierend waren, dass viele Menschen in ihrer Existenz bedroht waren und es noch immer sind. So wären viele Unternehmen und insbesondere Gastronom:innen wie auch Kulturschaffende ohne staatliche Hilfen nicht überlebensfähig gewesen.

Aus dem Blick geraten sind allerdings insbesondere auch die Belange von Menschen, die eben in der Gesellschaft eine Minderheit darstellen und im öffentlichen Diskurs unterrepräsentiert sind. Menschen, die ohnehin – auch in einer coronafreien Gesellschaft – gegen ihre Diskriminierung und für eine Repräsentation in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft kämpfen müssen. Diese Menschen wurden auch an vielen Stellen übersehen. Dazu gehört insbesondere auch die Gruppe der queeren Menschen. „Queer“ bezeichnet an dieser Stelle Personen, Handlungen oder Dinge, die durch den Ausdruck einer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität von der gesellschaftlichen Cisgender-Heteronormativität abweichen.

Gerade in Niederbayern und Bayern sind diese queeren Menschen vollkommen aus dem Blick geraten. Sie spielen ohnehin in den Augen der Bayerischen Staatsregierung – angeführt von CSU und Freien Wählen – kaum eine Rolle, denn sie entsprechen nicht dem typisch bayerischen, vermeintlich christlich-sozialen Ideal. Im ländlichen Niederbayern haben diese Menschen sogar gleich noch unfassbar mehr Probleme und sind der tagtäglichen Diskriminierung noch massiver ausgesetzt als in den Städten des Freistaats. Die ohnehin unfassbar hohen Zahlen an queeren Menschen, die aufgrund dieser Tatsache unter psychischen Problemen leiden, haben gerade in Zeiten der Pandemie massiv zugenommen und kaum jemand hat sich nur im Ansatz für diese Problematiken interessiert. Ganz im Gegenteil: Die Bayerische Staatsregierung hat queere Menschen komplett aus dem Blick genommen, sich nicht ausreichend um sie gekümmert und das nicht nur in Bezug auf die zahlreichen Corona-Verordnungen. Queere Menschen waren schlicht nicht mitgedacht und auch nicht mitgemeint! Wir als SPD stellen klar: Das muss sich ändern!

Queere Menschen sind im gesamten Leben und in allen gesellschaftlichen Strukturen präsent: Sie sind arm und reich gleichermaßen, sie leben in der Stadt und auch in besonders ländlichen Regionen wie Niederbayern, sind weiß oder „People of color“, haben die deutsche Staatsbürgerschaft, sind Migrant:innen, haben Kinder oder nicht und sie sprechen sogar bayerisch. Sie sind also nicht im Ansatz eine homogene Gruppe.

Die Pandemie hatte massive Auswirkungen auf queeres Leben gerade in den verschiedenen Bereichen, denn jegliche Entfaltungsmöglichkeiten, Rückzugsräume lagen weitestgehend brach. Die Sichtbarkeit für die Belange queerer Menschen fehlte: Austausch, Hilfe, Beratung oder einfach nur Unterhaltung mit anderen queeren Menschen waren kaum möglich bzw. mussten online stattfinden. Diese Sichtbarkeit ist jedoch mehr als nur notwendig – wenn nicht sogar lebensnotwendig -, damit queeres Leben überhaupt erlebt werden kann und diese Menschen im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden. Auch deshalb sind Christopher Street Days (CSDs) so wichtig und notwendig, da sie dazu dienen, auf die politischen Anliegen queerer Menschen aufmerksam zu machen.

Als das queere Leben während des Lockdowns völlig brachlag, bedeutete dies: Es fanden keine queeren Stammtische, keine Kneipen-Abende, keine Beratungsangebote statt. Es gab keine Möglichkeit, sich in den sogenannten „safe spaces“ (sicher Rückzugsräume) zurückzuziehen, in denen die eigene Identität nicht als Abweichung von gesellschaftlichen Normen verstanden wird. Insbesondere für queere Jugendliche ist und war diese Entwicklung mehr als nur fatal, denn gerade sie brauchen in ihrer Entwicklung Anlaufstellen, in denen sie so sein können, wie sie sind ohne Angst vor Diskriminierung, (häuslicher/psychischer) Gewalt und Angst haben zu müssen. Denn es darf nicht vergessen werden: Queere Menschen sind noch immer häufig von Diskriminierung betroffen: Am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder direkt in der eigenen Familie.

Die Pandemie hat queere Menschen besonders getroffen, wozu inzwischen auch erste Studien und Auswertungen von der Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld zeigen1. In diesem Zusammenhang muss noch einmal erwähnt werden, dass die Gruppe der LSBTIQA: keinesfalls eine homogene Gruppe darstellt. Deshalb sind auch ihre Diskriminierungserfahrungen und damit auch ihr Erleben bzgl. der Pandemie und die Auswirkungen auf ihren Alltag, sehr verschieden.

1 Neue Broschüre: Auswirkungen der Coronapandemie aus LSBTIQA+ (mh-stiftung.de), abgerufen am 24.10.2021. Als SPD in Niederbayern und Bayern sind wir ganz klar davon überzeugt, dass es nun an der Zeit ist, genau diese Problematik umfassend aufzuarbeiten, die Leerstellen aus der Coronapolitik mit Blick auf queere Menschen zu finden und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

 

1) Sichtbarkeit

Die stetigen Anpassungen der Coronaverordnungen haben gezeigt, dass immer wieder Menschen oder Gruppen vergessen worden sind. Besonders bemerkbar wurde dies zum Weihnachtsfest im Jahr 2020, als das Zusammenkommen mit der – so genannten – „Wahlfamilie“ unmöglich war und sich Menschen nicht mit ihren Liebsten, mit denen sie nicht verwandt waren, treffen konnten. Freundschaften sind gerade für queere Menschen als Ersatz- oder Wahlfamilie – insbesondere auch oft aufgrund der Situation in der eigenen Herkunftsfamilie – unfassbar wichtig und überlebensnotwendig. Dass sich die Definitionen von „Familie“ deutschlandweit wieder nur auf Heteronormativität und biologische

Verwandtschaft beschränkten, zeigt das antiquierte Bild und durchaus auch die Ignoranz der Gesellschaft. So gab es bei den Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten in allen Bundesländern außer Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen Ausnahmeregelungen NUR für den engsten Familienkreis und Verwandte der geraden Linie. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V. (LSVD) kritisierte dabei, dass auch die Bayerische Staatsregierung nur leibliche Verwandte als wichtigste Bezugsperson galten und hatte darum gebeten, die Regelung schnellstmöglich zu ändern, da auch Mitglieder von Wahlfamilien nicht alle am selben Ort wohnen und zudem z.B. Konstellationen in Regenbogenfamilien mit dieser Regelung nur unzureichend berücksichtigt wurden. Der LSVD hätte in diesem Zusammenhang eine einfache Formulierung wie „maximal fünf Personen aus beliebig vielen Haushalten plus Kinder unter 14 Jahren zu privaten Zusammenkünften“ begrüßt. Die Intervention beim zuständigen Staatsministerium hatte jedoch damals keinen Erfolg. Mit der erwähnten Formulierung wäre jedoch auch breiteren Regenbogenfamilien-Konstellationen Rechnung getragen worden. Die Schilderung der Problematik der Coronaverordnungen macht deutlich, dass es nicht reicht, queere Menschen ‚mit zu meinen‘, sondern dass sie auch wirklich ‚mitgedacht‘ werden müssen.

Wir als SPD fordern daher:

  • In den künftigen Corona-Verordnungen sollen insbesondere auch die Belange von queeren Menschen unter dem Aspekt der Wahlfamilie zu berücksichtigen. Regelungen in Verordnungen müssen so getroffen werden, dass alle mitgedacht sind. Dazu gehören auch einfache Formulierungen, die alle Menschen gleichermaßen betreffen und die nicht das heteronormative Familienbild einseitig bevorzugen.

 

2) Stärkung der gesellschaftlichen Vielfalt

Unsere Gesellschaft ist eine Vielfaltsgesellschaft. Allerdings sehen wir in den letzten Jahren eine Entwicklung, die unsere Vielfalt auch durchaus zunehmend bedroht: Durch Hass und Hetze von rechts hat sich unser gesamtgesellschaftliches Klima in den letzten Jahren bereits verschlechtert. Die Entwicklungen rund um die Querdenker:innen-Bewegung in der Corona-Pandemie hat sein Übriges getan: In der letzten Zeit manifestiert sich immer mehr eine aggressive und gewalttägige Stimmung gegen queere Menschen, die sich vermehrt in reale Bedrohungsszenarien und gewalttätige Angriffe umschlägt.

Es gilt hierbei Konzepte für die Stärkung der gesellschaftlichen Vielfalt zu entwickeln:

 

  1. a) Schutzbedürftige Geflüchtete

In besonders schwierigen und kritischen psychischen Situationen befinden sich vor allem queere Geflüchtete: Sie haben – sehr oft unter hohem Risiko – ihre Heimat verlassen, um wegen ihrer Sexualität oder Identität nicht weiter verfolgt zu werden und bei uns Asyl zu suchen, aber gerade auch in der Lockdown-Zeit in den Sammelunterkünften wurden sie mehr als nur allein gelassen. Sie haben nicht nur unfassbare Probleme damit offen ihre sexuelle Orientierung in den Sammelunterkünften ausleben zu können, sie hatten auch in keiner Weise Ansprache und Unterstützung von Sozialarbeiter:innen. Es gab in diesem Zusammenhang mehrere Berichte gegenüber dem Netzwerk LSBTTIQ, dass sich queere Geflüchtete gar in ihren Zimmern verbarrikadiert hätten, um nachts überhaupt schlafen zu können, da sie Angst vor Gewalt und Belästigung hatten. Für sie muss dringend ein Mindestmaß an persönlicher Interaktion mit Sozialarbeiter:innen gewährleistet sein:

  • Queere Geflüchtete benötigen in den Asylverfahren eine besondere Beratung, dafür geschultes und für die besonderen Problemlagen sensibilisiertes Personal. Deshalb benötigen wir ein Konzept für die Beratung und Betreuung queerer Geflüchteter, das rechtliche aber auch insbesondere psychologische Unterstützung umfasst.
  • Darüber hinaus erleben queere Geflüchtete häufig vielfältige Formen von Diskriminierungen in Sammelunterkünften. Deshalb fordern wir, dass queere Geflüchtete in Sammelunterkünften für queere Menschen untergebracht werden können, wie dies auch vereinzelt bundesweit in Form von Einzelunterkünften für Frauen und Kinder bzw. besonders Schutzbedürftige auf Initiative der Kommunen praktiziert wird. Hierbei sollten auch queere Menschen berücksichtigt werden.

 

  1. b) Queere Jugendarbeit

Das Problem mit dem bereits erwähnten Familienbild besteht auch weiterhin, weil es vom Sprachgebrauch, also damit auch juristischer Sprache, abhängig ist. Eine Beschränkung auf die heterosexuelle Kernfamilie ignoriert sowohl das Vorkommen häuslicher Gewalt als auch die mitunter schrecklichen Diskriminierungserfahrungen, die queere Menschen in ihren Herkunftsfamilien machen müssen. Freundschaften als Wahl- und Ersatzfamilie sind daher – wie bereits erwähnt – für LGBTIQ: existenziell.

Vielfalt macht unsere Gesellschaft aus. Und dazu gehören insbesondere auch Orte, an denen Vielfalt gelebt wird. Deshalb werden wir die wenigen, vielfältigen Orte innerhalb der Community in Bayern weiter erhalten und stärken. Kulturelle und soziale Angebote der Community sollen deshalb auch unabhängig von der Pandemie noch großzügiger gefördert werden. Viele Angebote der queeren Jugendarbeit sind durch die Pandemie bedroht. Gerade auch der Wegfall von einigen psychosozialen Beratungsangeboten für queere und dabei ganz besonders für trans:-Personen sind und waren schwerwiegend.

Bei trans:-Personen hat sich also die ohnehin schwierige Lage durch die Lockdowns noch einmal dramatisch verschlechtert. So haben viele trans:-Personen auch in Lockdown-Zeiten aufgrund der ökonomischen Lage vielerorts ihre Arbeitsplätze verloren, standen damit vor massiven finanziellen Schieflagen und konnten sich so auch ihre Hormontherapien nicht weiter leisten. Auch das Doppelleben, das trans:-Personen besonders in den ländlichen Regionen führen (in der Arbeit evtl. geoutet, zuhause nehmen sie ihre bisherige Rolle als Vater/Mutter in der Familie wahr), belasten und belasteten diese Personen gerade in der Pandemie besonders stark. Das geht so weit, dass sich ohnehin schon vorhandene psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen nur noch schlimmer wurden. Diese Beobachtungen werden auch durch die Studie „transcarecovid“2 bestätigt.

2 How the COVID-19 pandemic affects transgender health care in upper-middle-income and high-income countries – A worldwide, cross-sectional survey (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.12.23.20248794v1.full), abgerufen am 26.10.2021.

Auch bei queeren Jugendlichen haben die Lockdowns zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer allgemeinen Situation geführt: Gerade affektiv-depressive Störungen sowie Suizidversuche unter Jugendlichen haben gerade in der Corona-Situation zugenommen. Dies liegt – wie bereits mehrfach angesprochen – besonders daran, dass für queere Jugendliche das eigene Zuhause oft kein sicherer Ort war und ist. Und die Orte, an denen sich die Jugendlichen angenommen fühlen, sind aufgrund des Lockdowns oft weggefallen. Natürlich gab es Online-Beratungsangebote, doch die ersetzen in keinem Fall ein persönliches, geheimes Gespräch.

Aus diesem Grund fordern wir:

  • Angebote für queere Jugendarbeit müssen Teil der offiziellen Jugendarbeit sein und auch bei der finanziellen Förderung angemessen berücksichtigt werden. Bislang ist dies in Bayern oft Fehlanzeige.
  • Wie bereits in Nordrhein-Westfalen soll queere Jugendarbeit auch bei uns in Bayern zunehmend professionalisiert werden, was ganz konkret bedeutet: Hauptamtliche Mitarbeiter:innen sollen queere Jugendarbeit ermöglichen und auch in dieser direkt tätig sein. Die bislang tätige „LGBTIQ:-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt“, die vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit gefördert wird, reicht nicht im Ansatz auch für diese queere Jugendarbeit aus. Aus diesem Grund fordern wir zudem eine eigene Fachstelle für queere Jugend in Bayern. Analog zur 2014 in NRW eingerichteten „Fachstelle Queere Jugend NRW“. Durch diese sind viele Anlaufstellen gerade für queere Menschen entstanden und vielerorts – auch dezentral -konnten damit hauptamtliche Stellen für pädagogische Fachkräfte etabliert werden.
  • Besonders Niederbayern zeigt: Wir brauchen deutlich mehr Strukturen für Angebote für queere Menschen. Durch die Schaffung einer Fachstelle für queere Jugendarbeit könnten gerade solche Strukturen auch im ländlichen Bereich flächendeckender umgesetzt werden, Vereine wie „Queer in Niederbayern e.V.“ strukturell deutlich besser unterstütz und vor allem auch die Kommunen dazu befähigt werden, vor Ort Beratungsangebote aufzubauen.
  • Bayern braucht dringend einen LGBTIQ:-Aktionsplan, den die Bayerische Staatsregierung bislang aber vollkommen abgelehnt hat.
  • Die Beratung von LGBTIQ:-Personen muss in unseren Augen Bestandteil der allgemeinen psychosozialen Beratung werden. Nur dann können entsprechend geschulte bzw. ausgebildete psychologische Fachkräfte beschäftigt werden.
  • Bei psychosozialen Beratungsangeboten müssen auch deutlich stärker Akzente auf die spezifische Lage von trans:-Personen gelegt werden. Dabei ist es besonders wichtig neutrale und durchaus vielfältige und nicht nur-konfessionelle Beratungsangebote in den Blick zu nehmen und anzubieten. Gerade konfessionelle und teilweise fundamentalistische Beratungsangebote sind in den ländlichen Regionen Bayerns noch immer auf der Tagesordnung.

 

  1. c) Mental Health als queere Querschnittsaufgabe

Im Kontext der Pandemie ist die Gesundheitspolitik in den Fokus gerückt. Wir werden dafür sorgen, dass die Funktionsfähigkeit und Gerechtigkeit unseres Gesundheitssystems umfassend überprüft wird. Ein besonderer Schwerpunkt dabei soll der Bereich der „mental health“ sein. Die prekäre Situation für Menschen mit Bedarf an Beratung im psychosozialen Bereich darf nicht so bleiben wie bisher. Neben einem quantitativen Ausbau des Angebots setzen wir insbesondere auch für eine qualitative Verbesserung der Gesundheitsversorgung ein. Das Angebot der psychischen Gesundheitsversorgung soll die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln. Queere Menschen leiden häufiger unter psychischen Problemen als nicht-queere Menschen, weil sie vielfältigere Formen von Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt sind.

Unsere Forderungen sind deshalb:

     

    S6 Offene Flanken im Bereich der Gleichstellung endlich schließen: Uns reicht´s!

    31.03.2023

    Gleichstellung ist schon längst erreicht? Frauen können heutzutage alles werden, wenn sie es nur wollen?

    Wer einmal erkannt hat, wie tief verwurzelt tradierte Rollenbilder in unserer Gesellschaft sind, der ist sich ihrer Wirkkraft bewusst. Es sind diese Rollenbilder, die Frauen auch heute noch – subtil und subversiv – in bestimmte Richtungen lenken und ihnen das Verständnis regelrecht einpflanzen, was von ihnen in dieser Gesellschaft erwartet wird, was zu ihren vermeintlich „natürlichen“ Aufgaben gehört, was ihre Pflichten sind. Kurz: Was ihre Rolle eben ist.

    Es beginnt bei der häuslichen Arbeit, geht weiter im Bereich der Kinderbetreuung und Erziehung, der Fürsorge für pflegebedürftige Angehörige und umfasst somit im Grunde alle Bereiche, für die es jemanden braucht, der sich ohne Bezahlung darum kümmert. Es sind weitestgehend die Frauen, die hierfür ihre bezahlten Arbeitszeiten reduzieren, jahrelang aus ihrem Beruf ausscheiden, sich zwischen der unbezahlten Arbeit zu Hause und dem Beruf aufreiben. Frauen leiden häufiger als Männer an Angststörungen, an Depressionen, somatoformen Störungen oder Burn-out-Syndrom – also an psychischen Erkrankungen, die unter anderem auf besonders hohe Belastungen im Alltag zurückzuführen sind. Durch jahrelange Teilzeitarbeit oder Elternzeit bedingte Pausen im Berufsleben erreichen Frauen im Durchschnitt eine deutlich niedrigere Rente als Männer. Während sie also bereits im Berufsleben auf Einkommen verzichtet haben, um die Familienfürsorgearbeit zu übernehmen, zieht sich dies im Alter fort.

    Um die familiäre Fürsorgearbeit unter Paaren gleichberechtigter zu verteilen, muss die Politik Anreize schaffen.

    Hierfür fordern wir: Eine Familienarbeitszeit, also ein Recht auf Teilzeit beider Elternteile, in Kombination mit einem Familiengeld, das ausbezahlt wird, wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren.

    Doch auch jenseits der Frage um Arbeitszeitreduzierung werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt immer noch systematisch diskriminiert. 2019 lag in Deutschland der durchschnittliche Bruttostundenlohn der Frauen mit 17,72 Euro 20 Prozent unter dem von Männern mit 22,61 Euro (Quelle: Statistisches Bundesamt). Damit hat Deutschland eine der höchsten Gender Pay Gaps der EU. 2018 hatte der Unterschied 21 Prozent betragen, und 2014 waren es 22 Prozent. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat in einer Studie herausgestellt, dass sich die Lohnlücke in den vergangenen acht Jahren im EU-Durchschnitt lediglich um einen Prozentpunkt geschlossen habe. In Frankreich waren es sogar nur 0,1. Ohne verstärkte politische Anstrengungen zur Überwindung des Gender Pay Gaps wird es somit noch mehr als 80 Jahre dauern, bis Frauen und Männer EU-weit gleiche Löhne erhalten. Der Gender Pay Gap lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen: darauf, dass Frauen durchschnittlich deutlich häufiger in Teilzeit arbeiten, darauf, dass frauendominierte Berufe meist schlechter bezahlt sind als männerdominierte Berufe und schließlich auch darauf, dass Frauen trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit und gleichem Umfang weniger verdienen als Männer.

    Wir fordern: Eine bessere Bezahlung in sog. systemrelevanten Berufen wie etwa in der Pflege, im Bereich Kindertagesstätten, im Einzelhandel.

    Neben Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt trifft Frauen strukturelle Diskriminierung auch in anderen Bereichen. Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist eines, von dem unmittelbar nur Frauen bzw. gebärfähige Menschen betroffen sein können. Ungewollt Schwangere sind mit Blick auf den zeitlichen Druck, der von Gesetzeswegen vorgegeben ist, in einer äußerst schwierigen Situation. Für uns ist klar: Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Verhütungsmittel, sondern ein medizinischer Eingriff mit gesundheitlichen Risiken. Kein Verhütungsmittel wirkt absolut sicher – das Risiko für eine Schwangerschaft ist im Falle von Geschlechtsverkehr immer gegeben. Frauen, die ungewollt schwanger werden und sich für einen Abbruch entscheiden, müssen in einem medizinisch fortschrittlichen Land wie Deutschland eine bessere Versorgung erhalten. Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss ferner enttabuisiert und die Informationen hierzu verbessert werden. Der in der GroKo erzielte Kompromiss zur Reform des §219a StGB verbessert die Situation von Ärzt:innen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und ungewollt Schwangeren insgesamt nicht. Das Informationsverbot für Ärzt:innen bleibt darin bestehen, wodurch sich zum einen das Auffinden medizinisch sachgemäßer Informationen für Betroffene weiterhin als schwierig gestaltet und zum anderen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bestehen bleibt. Solange Ärzt:innen eine Anklage wegen einer Information auf ihrer Website fürchten müssen, solange werden weiterhin nur wenige von ihnen für diese Eingriffe bereitstehen.

    Wir fordern:

    Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung gemäß § 13 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten nachkommen und ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen (mindestens an jedem öffentlichen Klinikum) zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregelung (§ 218a Abs. 1 und 4 Strafgesetzbuch – StGB) sicherstellen, um damit den Betroffenen eine flächendeckende qualitative medizinische Versorgung zu bieten.

    Die freie Wahl der Abbruchmethode muss bei den Betroffenen liegen.

    Methoden des Schwangerschaftsabbruchs müssen in der medizinischen Ausbildung verpflichtend verankert werden.

    Die Beratungspflicht soll abgeschafft und vielfältige, niederschwellige, flächendeckende und vor allem plurale Beratungsangebote für alle Betroffenen geschaffen sowie die Finanzierung der Beratungsangebote sichergestellt werden.

    • 218 muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und somit Abbrüche entkriminalisiert werden, was mit einer Enttabuisierung dieses Themas in der Gesellschaft einhergehen wird, stattdessen soll eine Regelung im Sozialgesetzbuch getroffen werden.
    • 219a StGB muss gestrichen werden, damit Ärztinnen und Ärzte über ihre Abbruchmethode informieren dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.

    Neben Verbesserungen im Bereich Schwangerschaftsabbruch setzen wir uns auch für einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln für alle ein. Viele Frauen in Deutschland können sich die Kosten für Pille, Spirale und Co. schlicht und ergreifend nicht leisten und verhüten deshalb unregelmäßiger, greifen zu weniger zuverlässigen Methoden oder verzichten ganz auf Verhütung. Frauen im Studium, in der Ausbildung, alleinerziehende Frauen in Minijobs oder Teilzeit – nicht nur Bezieherinnen von Sozialleistungen, sondern für viele Frauen darüber hinaus sind Verhütungskosten eine hohe finanzielle Belastung.

    Wir fordern ein bundesweites Modell zur Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln für alle.

    Frauen sind ferner auch besonders häufig Opfer von Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt. Die Frauenhäuser und Frauennotdienste sind seit Jahren unterfinanziert. Um Frauen in dieser Notsituation besser helfen zu können, müssen die staatlichen Fördermittel hier aufgestockt werden.

    Wir fordern: Mehr staatliche Finanzmittel für Schutz- und Hilfseinrichtungen für von Gewalt Betroffenen (z.B. Frauenhäuser).

     

    S5 Reform des Bundesfreiwilligendienstes (BFD)

    31.03.2023

    Der Bundesfreiwilligendienst, kurz BFD oder Bufdi, ist mittlerweile über zehn Jahre alt. Gegründet als Nachfolgestruktur des Zivildiensts, der gemeinsam mit dem Aussetzen des Wehrdiensts wegfiel. Im Allgemeinen wird der BFD als Erfolg angesehen, zuletzt (Stand 2021) mit bundesweit über 37.000 Freiwilligen. Anders als ein FSJ/ FÖJ usw. richtet sich der BFD nicht nur an junge Menschen, sondern an Menschen aller Altersgruppen. Trotzdem nehmen diese Möglichkeit vor allem Personen in einem Alter von bis zu 26 Jahren war, etwa 80%. Während der BFD seit seiner Einführung von den Freiwilligen gut angenommen wurde, die Zielmarke von 35.000 Freiwilligen wurde schon 2012 erreicht, hält sich Kritik aber dennoch hartnäckig: von der Schaffung von billigen und unqualifizierten Arbeitskräften, als Alternative zu Ein-Euro-Jobber*innen, über die Unterbezahlung, hin zum Ausnutzen von sozialem Engagement.

    Problematisch ist auch, dass das Wahrnehmen eines solchen Freiwilligendienstes noch immer ein Privileg darstellt. Gerade junge Menschen mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten, die nicht von ihren Eltern oder sonstigen Verwandten und Bekannten bezuschusst werden können, werden hier ausgeschlossen. Denn der BFD stellt als freiwilliges Engagement einen unentgeltlichen Dienst dar, die Freiwilligen bekommen keinen Lohn, sondern eine Aufwandsentschädigung. Diese besteht aus einem monatlichen Taschengeld von bis zu 426€ (Stand 2021) bei einem Vollzeiteinsatz. Dazu kommen, je nach Gutdünken der Einsatzstelle, beitragspflichtige Einnahmen in der Sozialversicherung dazu: Geld für Verpflegung (bis zu 236€, Stand 2021) und Unterkunft (höchstens 223€, Stand 2021). Ob neben dem Taschengeld weitere Leistungen angeboten oder bezahlt werden, entscheidet die Einsatzstelle, genau, wie über die Höhe des Taschengeldes. Leider verzichten viele Einsatzstellen darauf, diese Leistungen anzubieten, die Freiwilligen werden weder direkt mit Verpflegung und Unterkunft versorgt, noch indirekt durch finanzielle Leistungen. Das kann auch kaum verwundern, denn während der Bund einen Teil, oder die Gesamthöhe des Taschengeldes trägt, müssen jegliche Zusatzleistungen von der Einsatzstelle selbst übernommen werden. Wie die Einsatzstellen mit der konkreten Nachfrage nach den Zusatzleistungen umgehen unterscheidet sich stark, während die einen ihren Freiwilligen ein Engagement ermöglichen wollen und ihnen finanziell entgegenkommen, reagieren andere irritiert, schließlich ist das Ziel des BFDs doch nicht die Bezahlung, sondern die Erfahrung und Unterstützung anderer. Dass der Einsatz aber für viele gerade Junge Menschen, die selbst für ihren Unterhalt aufkommen müssen zum „Draufzahlgeschäft“ wird, wird dabei geflissentlich übersehen.

    Auch die Fahrtkosten werden nur in manchen Fällen freiwillig von der Einsatzstelle übernommen, während also beispielsweise Soldat*innen kostenlos den ÖPNV nutzen dürfen, geht bei manchen Freiwilligen ein Viertel ihrer Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten drauf.

    Gerade wenn zeitlicher Aufwand und finanzielle Entschädigung nebeneinander gestellt werden zeigt sich eine große Diskrepanz und es wird klar, warum die Durchführung eines

    Freiwilligendienstes vor allem eine Frage der eigenen Finanzkraft ist. Bis zum Alter von 27 müssen die Freiwilligen Vollzeit (40 Stunden pro Woche) arbeiten, ab 27 Jahren besteht die Möglichkeit einen Dienst in Teilzeit mit 20 Stunden durchzuführen. Bei einem maximalen Taschengeld wären das weniger als 2,50€ pro Stunde, weit entfernt vom aktuellen Niveau des Mindestlohns. Da sich der BFD aber eben auch an Menschen über 27 Jahren richtet, kommt das Konzept dem Ein-Euro-Job gleich. Hartz-IV-Empfänger*innen dürfen nur einen Bruchteil der Aufwandsentschädigung behalten, während sie zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche arbeiten. Was als Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder Dienst an der Gesellschaft dargestellt wird, zeigt für seine Freiwilligen nur wenig Wertschätzung und hat noch weniger Potenzial zu motivieren. Für viele von ihnen ist der BFD also nur eine weitere Form von prekären Beschäftigungsverhältnissen.

    Ergänzt wird die Arbeit in der Einsatzstelle durch insgesamt 25 Seminartage, meist mit Betreuer*innen, die über den Einsatz hinweg als Ansprechpersonen fungieren, sollte es Probleme oder Unklarheiten bei der Einsatzstelle geben. In den meisten Fällen findet das erste Seminar aber nicht unmittelbar vor dem Einsatz statt und es vergehen Wochen bis Monate, was dazu führt, das sich viele Freiwillige nicht über ihre Rechte und Pflichten im klaren sind. Manchen wird klar, dass sie zu wenig bezahlt werden, dass es theoretisch Zusatzleistungen geben könnte, wenn die Einsatzstelle dies nur wollte, oder dass sie wie hauptamtliche Mitarbeiter*innen eingesetzt werden und es ihnen an Supervision und Anleitung mangelt, sie allein gelassen werden. Wer und in welcher Form die Bufdis pädagogisch betreut ist aber gesetzlich nicht vorgegeben, deshalb unterscheidet sich die Qualität dieser Betreuung von Dienstort zu Dienstort.

    Die pädagogische Qualifikation, der Umfang der Betreuer*innen und ihr Wissen über die Rechte der ihnen Anvertrauten wird also nicht sichergestellt.

    Anders als bei anderen Freiwilligendiensten wird nicht klar festgelegt, welche Aufgabenbereiche durch Bufdis abgedeckt werden dürfen. In manchen Kommunen gilt Unkrautjäten deshalb jetzt als Ehrenamt, mitfinanziert vom Bund. Es ist daher kaum verwunderlich, dass 2018 ein Drittel aller Bufdis ihren Dienst abbrachen, viele wegen Unterforderung und scheinbar sinnlosen Aufgaben. Gleichzeitig ist auch der Teil der Bufids, die sich stark überfordert fühlen und die unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen sind sehr groß. Viele Bufdis werden wie Fachkräfte eingesetzt, betreuen ohne weitere Aufsicht Kinder, sind alleine auf Station und werden nur ungenügend angeleitet. Das Recht auf Anleitung wird in vielen Dienststellen nur inkonsequent durchgesetzt. Eine zusätzliche Arbeitskraft lohnt sich nunmal besser, wenn sie auch selbstständig arbeitet und einen Teil des Arbeitsaufwands vollständig übernimmt.

    Bleibt noch die Arbeitsmarktneutralität, übernommen vom Zivildienst. Diese Regelung soll eigentlich verhindern, dass Arbeitsplätze verloren gehen und durch billige Freiwillige gestopft werden. Genauso dient sich auch in gewisser Weise dem Schutz der Freiwilligen, denn sie dürfen nur als Zusatz, nicht als Ersatz eingesetzt werden, sowohl in ihrer Stelle, als auch im täglichen Betrieb. Diese Regelung hat sich aber als stumpfes Schwert herausgestellt. Dass über 35.000 Menschen einerseits wertvolle gemeinnützige Arbeit verrichten und gleichzeitig keine Jobs zerstören, oder ihre Schaffung verhindert wird, ist kaum glaubhaft. Es gehen durch die ungenauen Vorgaben bezüglich der Aufgabenfelder also Arbeitsplätze verloren, die mit dem Mindestlohn oder mehr entlohnt werden können und sollten. Stattdessen wird auf die Ausbeutung junger Menschen und von Menschen in prekären Verhältnissen abgezielt.

    Vordergründig wird der BFD also gemeinhin als gemeinnützig und sozial sinnvoll angepriesen, die Sinnhaftigkeit eines freiwilligen Dienstes oder Engagements im Allgemeinen soll hier gar nicht kritisiert werden. Aber auch wenn zumindest offiziell keine politische Absicht hinter der Einführung des BFDs steht, ist doch ganz deutlich, dass hier eine neue Form des Prekariats geschaffen wurde, in der Menschen ausgebeutet werden, um den Arbeitsmarkt mit billigen Arbeitskräften zu fluten. Dies können wir nicht dulden.

    Deshalb fordern wir:

    • die Erhöhung der Mindest- und Höchsthöhe des Taschengeldes und der Zusatzleistungen
    • die Verpflichtende Auszahlung von Zusatzleistungen auf Wunsch der Freiwilligen
    • die Möglichkeit für Freiwillige, sich während ihrem Einsatz, ähnlich wie Bafög-Empfänger*innen, von den Rundfunkgebühren befreien zu lassen
    • die Schaffung einer gesetzlichen Regelung, was von einem BFD abgedeckt wird, um die Schaffung von Stellen ohne sozialen/ ehrenamtlichen Charakter zu unterbinden
    • die Vereinfachen des Wechselns der Einsatzstellen
    • die Stärkere Kontrolle der Einsatzstellen, zum Schutz der Freiwilligen
    • eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung, wer und in welcher Form die Bufdis pädagogisch betreut
    • die Verankerung und Stärkung der Rechte von Bufdis bezüglich Arbeitnehmer*innenrechte, Mitbestimmung und Repräsentation