Monat für Monat werden neue Rekorde bei den Arbeitslosenzahlen vermeldet. Selbst bei der Gruppe der Langzeitarbeitslosen ist neuerdings ein Rückgang zu verzeichnen. Waren es bis 2015 noch um die eine Millionen Langzeitarbeitslose, sind es im Juni 2017 nur noch knapp über 900.000 gewesen. Doch auch hier gilt, dass ein detaillierterer Blick in die Arbeitslosenstatistik auf immer noch vorliegende Probleme bei der Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen hinweist. Grund für das Sinken der Langzeitarbeitslosigkeit ist hier nämlich nicht die erhöhte Integration von Langzeitarbeitslosen in den primären Arbeitsmarkt, sondern die Tatsache, dass immer mehr Kurzzeitarbeitslose innerhalb von 12 Monaten (also bevor sie statistisch gesehen als Langzeitarbeitslos gelten) in einen Job vermittelt werden. Im Jahr 2015 gab es noch 736.000 Neueintritte in die Langzeitarbeitslosigkeit, im Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017 waren das nur noch 655.000. Der Rückgang dieser Übertritte erklärt sich vor allem durch eine verstärkte Förderung von Arbeitslosen bevor sie Langzeitarbeitslos werden. Die absoluten Zahlen der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den primären Arbeitsmarkt hat sich indes verschlechtert. Waren es im Jahre 2014 noch 199.000 Langzeitarbeitslose bei denen eine Integration 21 in den primären Arbeitsmarkt gelungen ist, waren das vom Juli 2016 bis zum Juni 2017 nur noch 178.000. 22 Von je 1.000 Langzeitarbeitslosen können im Folgemonat nur eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Bei den Kurzzeitarbeitslosen sind das 102. Mit ein Grund für diese Diskrepanz ist, dass Hartz-IV-Empfänger:innen deutlich weniger gefördert werden als Arbeitslose, die noch in der Arbeitslosenversicherung stecken. Rein rechnerisch gesehen werden für ALG-II-Bezieher:innen rund 1.800 Euro ausgegeben, bei Bezieher:innen von ALG I 3.640 Euro. Maßnahmen der beruflichen Bildung bzw. die zu einem Abschluss führen werden für erstere kaum angeboten.
Wer ist von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen?
Im Jahresschnitt waren 2016 473.000 der damals insgesamt 993.000 Langzeitarbeitslosen zwischen einem und zwei Jahren arbeitslos, 199.000 zwischen zwei und drei, 120.000 zwischen drei und vier und 236.000 suchen schon seit mehr als vier Jahren nach einer Erwerbstätigkeit.
Von Arbeitslosigkeit sind Frauen etwas stärker betroffen als Männer. Vor allem aber Geringqualifizierte und ältere Menschen haben ein deutlich höheres Risiko langzeitarbeitslos zu werden. So ist die Anzahl der Langzeitarbeitslosen über 55 konstant geblieben, die der Geringqualifizierten sogar gestiegen.
Was sind die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit?
Erstmal bleibt festzuhalten, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein Folgeproblem der Massenarbeitslosigkeit ist, die wenn man die Zahl der Unterbeschäftigten nimmt (die die tatsächliche Zahl der Arbeitslosigkeit trifft als die offizielle Arbeitslosenzahl der BA) momentan bei etwa 3,4 Millionen liegt. Dem gegenüber stehen aber nicht einmal 900.000 offene Stellen. In der Konkurrenz um diese freien Stellen werden Langzeitarbeitslose in der Regel den Kürzeren ziehen, zumal die Qualifikationsanforderungen der offenen Stellen und den Qualifikationen der Langzeitarbeitslosen eine große Diskrepanz aufweisen. Hinzu kommt, dass nur die Hälfte der Langzeitarbeitslosen eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen kann, wohingegen nur 20% der offenen Stellen keinen Berufsabschluss als Einstellungsvoraussetzung vorweisen.
Strukturschwache Regionen sind besonders stark von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ist auch die Anzahl der Langzeitarbeitslosen deutlich höher. Selbst mit Berufsabschluss gestaltet sich das Finden einer Stelle in strukturschwachen Regionen deutlich schwieriger dar als in den strukturstarken.
Sozialer Arbeitsmarkt als Mittel zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit
Schon seit mehreren Jahren gibt es diverse vom Bund und Europäischen Sozialfonds geförderte Programme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Eines davon ist das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, das noch bis zum Ende des Jahres läuft. Gefördert werden seit 2015 über 20.000 Langzeitarbeitslose, die seit mindestens 4 Jahren im SGB-II-Bezug, älter als 35 und alleinerziehend bzw. gesundheitlich eingeschränkt sind. Gefördert werden Arbeitsverhältnisse, die mindestens mit Mindestlohn vergütet werden. Die Maßnahmen sind auf drei bzw. zwei Jahren beschränkt.
Ebenfalls erfolgreich und in Baden-Württemberg und Thüringen bereits im größeren Rahmen vollzogen ist der sogenannte Passiv-Aktiv-Tausch. Hierbei werden die Regelleistung, die Kosten der Unterkunft und die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung dafür aufgewendet eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finanzieren. Die Evaluation des Projektes aus dem Jahr 2016 belegt die positiven arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Effekten.
Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde die Einführung der Förderung von öffentlicher Beschäftigung („Teilhabe am Arbeitsmarkt für Alle“) als Regelinstrument innerhalb des SGBII festgeschrieben. Vorgesehen ist eine Milliarde pro Jahr für 150.000 Arbeitslose. Herunter gerechnet stellt das einer monatlichen Summe von 556 Euro pro Person. Damit würde sie zwar höher liegen als bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs (406 Euro), aber deutlich niedriger als beim Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (1.253 Euro). Die Finanzierung regulärer Arbeitsplätze ist also nur annähernd gewährleistet, wenn dieses Regelinstrument auch mittels Passiv-Aktiv-Tausch finanziert wird. Ob die vorgesehene eine Milliarde Euro pro Jahr auch tatsächlich für die Förderung eines sozialen Arbeitsmarktes ausgegeben werden kann, ist aus heutiger Sicht ebenfalls fragwürdig. Seit der massiven Kürzung der Gelder für die Jobcenter im Jahre 2010 durch schwarz-gelb, werden Mittel für Eingliederungsleistungen dafür zweckentfremdet, um die Personal- und Verwaltungskosten zu decken. Für das Jahr 2016 hat diese Summe 900 Millionen Euro betragen, für dieses Jahr wird es voraussichtlich eine Milliarde sein.
Forderungen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit:
Einbettung eines flexiblen Regelinstrumentariums im SGB II, das auf individuelle Bedürfnisse der Langzeitarbeitslosen eingeht: Die Absicht der Großen Koalition das Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt für Alle“ im SGBII zu verankern ist zu begrüßen. Dennoch stellt es erstmal nur einen ersten Schritt dar. Ziel muss es sein, Fördermaßnahmen im SGBII-Recht so zu implementieren, dass Jobcenter vor Ort auf die individuellen Bedürfnisse und Problemlagen der Langzeitarbeitslosen eingehen können. Die Beteiligung an den Angeboten muss dabei freiwillig bleiben. Der Sozialpolitiker Stefan Sell schlägt dabei folgende Formulierung im SGBII vor:
(1) Für Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsgelegenheiten können auch Kosten übernommen werden. Die Arbeitsgelegenheiten sollen in der Regel von vorübergehender Dauer und für eine bessere Eingliederung des Hilfesuchenden in das Arbeitsleben geeignet sein.
(2) Werden für den Hilfesuchenden Arbeitsgelegenheiten geschaffen, kann ihm entweder das übliche Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werden.
(3) Ist es im Einzelfall erforderlich, die Gewöhnung eines Hilfesuchenden an eine berufliche Tätigkeit besonders zu fördern, soll ihm für eine notwendige Dauer eine hierfür geeignete Tätigkeit oder Maßnahme angeboten werden. Während dieser Tätigkeit wird dem Hilfesuchenden eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt.
(4) Soweit es im Einzelfall geboten ist, kann auch durch Zuschüsse an den Arbeitgeber sowie durch sonstige geeignete Maßnahmen darauf hingewirkt werden, dass der Hilfeempfänger Arbeit findet.
(5) Der Träger der Grundsicherung soll Hilfeempfänger zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit bei der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern. Zu diesem Zweck kann dem Hilfeempfänger bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein im Regelfall befristeter Zuschuss gewährt werden.
Da insbesondere Alleinerziehende bzw. Haushalte mit Kindern, in denen beide Elternteile erwerbslos sind besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, soll auf deren Förderung ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Die oben aufgegliederten Langzeitarbeitslosenzahlen zeigen, dass die anvisierten 150.000 geförderten Stellen nicht ausreichend sind und schrittweise auf etwa das doppelte erweitert werden müssen.
Die Erfahrungen insbesondere aus den Optionskommunen zeigen, dass eine individuelle Förderung am besten durch professionelle Beschäftigungsunternehmen, wie die Gesellschaft zur Förderung von Arbeit (GGFA) in Erlangen, realisiert werden. Die Bundesagentur muss deswegen die Kommunen dabei unterstützen entsprechende Strukturen vor Ort aufzubauen.
Jobcenter entlasten und ausreichende Ressourcen bereitstellen: Das Hartz-IV-System muss und kann entlastet werden, um Ressourcen für eine verbesserte Betreuung von Langzeitarbeitslosen
1 Forderungen sowie die obigen Zahlen stammen im Wesentlichen aus „arbeitsmarktaktuell“, Nr. 02/2018: „Langzeitarbeitslose: Aktionsprogramm gegen Perspektivlosigkeit erforderlich“
2 Sell, Stefan: „Hilfe zur Arbeit 2.0 – Pladoyer für eine Wiederbelebung der §§18-20 BSHG (alt) in einem SGBII (neu)“, Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016 freizusetzen. Ein relevanter Teil der Leistungsberechtigten bezieht heute Hartz IV, weil das Erwerbseinkommen oder andere Sozialleistungen nicht reichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Neben Verbesserungen auf der Lohnseite – etwa indem Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können – müssen die dem Hartz-IV-System vorgelagerten Leistungen, vor allem das Wohngeld und das Kindergeld, weiterentwickelt werden. Kein Haushalt mit einem Einkommen aus Vollzeit-Erwerbstätigkeit soll Hartz IV beziehen müssen, nur weil er Kinder hat oder die Wohnkosten zu hoch sind. Um ihre anspruchsvollen Aufgaben bewältigen zu können, benötigen die Jobcenter eine bessere Personalausstattung. Im Bundeshaushalt müssen die notwendigen Mittel für Personal- und Verwaltungskosten bereitgestellt werden. Dies ist heute nicht der Fall. Die Jobcenter sind gezwungen, Finanzmittel zu Lasten der aktiven Förderung (Eingliederungstitel) umzuschichten, um Personal- und Verwaltungskosten finanzieren zu können. Deswegen fordern wir das SGBII-Gesamtbudget für Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten zusätzlich um eine Milliarde Euro zu erhöhen. Zur Förderung öffentliche Beschäftigung können die vorgesehenen eine Milliarde Euro ebenfalls nur ein erster Schritt sein. Wie oben bereits dargelegt können damit nämlich nur sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen werden, falls auch ein Passiv-Aktiv-Tausch vollzogen wird. Dabei liegt es in der Hand der Bundesländer, ob die jeweilige Landesregierung den Kommunen PAT erlaubt oder nicht. Bisher weigert sich zum Beispiel der Freistaat Bayern dieses Instrumentarium einzusetzen.
Stärkung der beruflichen Bildung: Arbeitslose sollen künftig einen Rechtsanspruch auf Beratung zur Weiterbildung erhalten. Die finanziellen Rahmenbedungen für Teilnehmende an einer abschlussbezogenen Weiterbildung müssen verbessert werden. Der Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen muss erleichtert werden. Dazu gehören zu den Fördermaßnahmen passende Angebote der Kinderbetreuung, Weiterbildung in Teilzeit. Insbesondere muss mit besonderen Angeboten auf Menschen mit negativen Bildungserfahrungen eingehen. Ebenso wie im Bereich der Arbeitslosenversicherung muss auch im Hartz-IV-System ein Haushaltstitel für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung geschaffen werden.
Für Ältere ab 50 Jahren muss die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um bis zu sechs Monate verlängert werden, falls eine Integration in den Arbeitsmarkt trotz verbesserter Förderung nicht früher gelingt. Die Teilnahme an einer Weiterbildung darf zukünftig nicht mehr auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden, das heißt, Zeiten einer Weiterbildung mindern nicht die Anspruchsdauer.
Die Hartz-IV-Regelsätze müssen grundlegend neu hergeleitet und auf ein bedarfsdeckendes Niveau angehoben werden. Die Regelsätze müssen wirksam vor Armut schützen und auch soziale Teilhabe ermöglichen. Die Hartz-IV-Sanktionen müssen abgeschafft werden. Wie der DGB fprdern wir eine Sachverständigenkommission einzusetzen, bestehend aus Wissenschaftler:innen, Vertreter:innen der Tarifparteien, von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie von Betroffenenorganisationen. Diese Kommission soll eine Empfehlung für den Gesetzgeber entwickeln.