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S7 Queere Schlüsse aus Corona ziehen – Für eine LGBTIQ:-sensible Politik

31.03.2023

Die Corona-Pandemie hat uns allen gezeigt: Sie ist nicht nur eine Gesundheitskrise, sie ist vor allem auch eine Katastrophe für das solidarische Zusammenstehen unserer Gesellschaft. Das vergangene Jahr und die derzeitigen Entwicklungen zeigen auch nochmal deutlich, dass uns das Virus weiterhin begleiten und beeinflussen wird. Durch die zahlreichen Impfungen wurden zwar deutlich mehr Möglichkeiten für die Gesellschaft geschaffen, doch wir alle wissen nicht, ob für alle Menschen überhaupt eine Rückkehr zur Normalität möglich ist.

Die Pandemie und die zahlreichen Maßnahmen zur Eindämmung hatten massive Auswirkungen auf sämtliche Bereiche unseres Lebens, die in Teilen so gravierend waren, dass viele Menschen in ihrer Existenz bedroht waren und es noch immer sind. So wären viele Unternehmen und insbesondere Gastronom:innen wie auch Kulturschaffende ohne staatliche Hilfen nicht überlebensfähig gewesen.

Aus dem Blick geraten sind allerdings insbesondere auch die Belange von Menschen, die eben in der Gesellschaft eine Minderheit darstellen und im öffentlichen Diskurs unterrepräsentiert sind. Menschen, die ohnehin – auch in einer coronafreien Gesellschaft – gegen ihre Diskriminierung und für eine Repräsentation in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft kämpfen müssen. Diese Menschen wurden auch an vielen Stellen übersehen. Dazu gehört insbesondere auch die Gruppe der queeren Menschen. „Queer“ bezeichnet an dieser Stelle Personen, Handlungen oder Dinge, die durch den Ausdruck einer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität von der gesellschaftlichen Cisgender-Heteronormativität abweichen.

Gerade in Niederbayern und Bayern sind diese queeren Menschen vollkommen aus dem Blick geraten. Sie spielen ohnehin in den Augen der Bayerischen Staatsregierung – angeführt von CSU und Freien Wählen – kaum eine Rolle, denn sie entsprechen nicht dem typisch bayerischen, vermeintlich christlich-sozialen Ideal. Im ländlichen Niederbayern haben diese Menschen sogar gleich noch unfassbar mehr Probleme und sind der tagtäglichen Diskriminierung noch massiver ausgesetzt als in den Städten des Freistaats. Die ohnehin unfassbar hohen Zahlen an queeren Menschen, die aufgrund dieser Tatsache unter psychischen Problemen leiden, haben gerade in Zeiten der Pandemie massiv zugenommen und kaum jemand hat sich nur im Ansatz für diese Problematiken interessiert. Ganz im Gegenteil: Die Bayerische Staatsregierung hat queere Menschen komplett aus dem Blick genommen, sich nicht ausreichend um sie gekümmert und das nicht nur in Bezug auf die zahlreichen Corona-Verordnungen. Queere Menschen waren schlicht nicht mitgedacht und auch nicht mitgemeint! Wir als SPD stellen klar: Das muss sich ändern!

Queere Menschen sind im gesamten Leben und in allen gesellschaftlichen Strukturen präsent: Sie sind arm und reich gleichermaßen, sie leben in der Stadt und auch in besonders ländlichen Regionen wie Niederbayern, sind weiß oder „People of color“, haben die deutsche Staatsbürgerschaft, sind Migrant:innen, haben Kinder oder nicht und sie sprechen sogar bayerisch. Sie sind also nicht im Ansatz eine homogene Gruppe.

Die Pandemie hatte massive Auswirkungen auf queeres Leben gerade in den verschiedenen Bereichen, denn jegliche Entfaltungsmöglichkeiten, Rückzugsräume lagen weitestgehend brach. Die Sichtbarkeit für die Belange queerer Menschen fehlte: Austausch, Hilfe, Beratung oder einfach nur Unterhaltung mit anderen queeren Menschen waren kaum möglich bzw. mussten online stattfinden. Diese Sichtbarkeit ist jedoch mehr als nur notwendig – wenn nicht sogar lebensnotwendig -, damit queeres Leben überhaupt erlebt werden kann und diese Menschen im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden. Auch deshalb sind Christopher Street Days (CSDs) so wichtig und notwendig, da sie dazu dienen, auf die politischen Anliegen queerer Menschen aufmerksam zu machen.

Als das queere Leben während des Lockdowns völlig brachlag, bedeutete dies: Es fanden keine queeren Stammtische, keine Kneipen-Abende, keine Beratungsangebote statt. Es gab keine Möglichkeit, sich in den sogenannten „safe spaces“ (sicher Rückzugsräume) zurückzuziehen, in denen die eigene Identität nicht als Abweichung von gesellschaftlichen Normen verstanden wird. Insbesondere für queere Jugendliche ist und war diese Entwicklung mehr als nur fatal, denn gerade sie brauchen in ihrer Entwicklung Anlaufstellen, in denen sie so sein können, wie sie sind ohne Angst vor Diskriminierung, (häuslicher/psychischer) Gewalt und Angst haben zu müssen. Denn es darf nicht vergessen werden: Queere Menschen sind noch immer häufig von Diskriminierung betroffen: Am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder direkt in der eigenen Familie.

Die Pandemie hat queere Menschen besonders getroffen, wozu inzwischen auch erste Studien und Auswertungen von der Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld zeigen1. In diesem Zusammenhang muss noch einmal erwähnt werden, dass die Gruppe der LSBTIQA: keinesfalls eine homogene Gruppe darstellt. Deshalb sind auch ihre Diskriminierungserfahrungen und damit auch ihr Erleben bzgl. der Pandemie und die Auswirkungen auf ihren Alltag, sehr verschieden.

1 Neue Broschüre: Auswirkungen der Coronapandemie aus LSBTIQA+ (mh-stiftung.de), abgerufen am 24.10.2021. Als SPD in Niederbayern und Bayern sind wir ganz klar davon überzeugt, dass es nun an der Zeit ist, genau diese Problematik umfassend aufzuarbeiten, die Leerstellen aus der Coronapolitik mit Blick auf queere Menschen zu finden und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

 

1) Sichtbarkeit

Die stetigen Anpassungen der Coronaverordnungen haben gezeigt, dass immer wieder Menschen oder Gruppen vergessen worden sind. Besonders bemerkbar wurde dies zum Weihnachtsfest im Jahr 2020, als das Zusammenkommen mit der – so genannten – „Wahlfamilie“ unmöglich war und sich Menschen nicht mit ihren Liebsten, mit denen sie nicht verwandt waren, treffen konnten. Freundschaften sind gerade für queere Menschen als Ersatz- oder Wahlfamilie – insbesondere auch oft aufgrund der Situation in der eigenen Herkunftsfamilie – unfassbar wichtig und überlebensnotwendig. Dass sich die Definitionen von „Familie“ deutschlandweit wieder nur auf Heteronormativität und biologische

Verwandtschaft beschränkten, zeigt das antiquierte Bild und durchaus auch die Ignoranz der Gesellschaft. So gab es bei den Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten in allen Bundesländern außer Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen Ausnahmeregelungen NUR für den engsten Familienkreis und Verwandte der geraden Linie. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V. (LSVD) kritisierte dabei, dass auch die Bayerische Staatsregierung nur leibliche Verwandte als wichtigste Bezugsperson galten und hatte darum gebeten, die Regelung schnellstmöglich zu ändern, da auch Mitglieder von Wahlfamilien nicht alle am selben Ort wohnen und zudem z.B. Konstellationen in Regenbogenfamilien mit dieser Regelung nur unzureichend berücksichtigt wurden. Der LSVD hätte in diesem Zusammenhang eine einfache Formulierung wie „maximal fünf Personen aus beliebig vielen Haushalten plus Kinder unter 14 Jahren zu privaten Zusammenkünften“ begrüßt. Die Intervention beim zuständigen Staatsministerium hatte jedoch damals keinen Erfolg. Mit der erwähnten Formulierung wäre jedoch auch breiteren Regenbogenfamilien-Konstellationen Rechnung getragen worden. Die Schilderung der Problematik der Coronaverordnungen macht deutlich, dass es nicht reicht, queere Menschen ‚mit zu meinen‘, sondern dass sie auch wirklich ‚mitgedacht‘ werden müssen.

Wir als SPD fordern daher:

  • In den künftigen Corona-Verordnungen sollen insbesondere auch die Belange von queeren Menschen unter dem Aspekt der Wahlfamilie zu berücksichtigen. Regelungen in Verordnungen müssen so getroffen werden, dass alle mitgedacht sind. Dazu gehören auch einfache Formulierungen, die alle Menschen gleichermaßen betreffen und die nicht das heteronormative Familienbild einseitig bevorzugen.

 

2) Stärkung der gesellschaftlichen Vielfalt

Unsere Gesellschaft ist eine Vielfaltsgesellschaft. Allerdings sehen wir in den letzten Jahren eine Entwicklung, die unsere Vielfalt auch durchaus zunehmend bedroht: Durch Hass und Hetze von rechts hat sich unser gesamtgesellschaftliches Klima in den letzten Jahren bereits verschlechtert. Die Entwicklungen rund um die Querdenker:innen-Bewegung in der Corona-Pandemie hat sein Übriges getan: In der letzten Zeit manifestiert sich immer mehr eine aggressive und gewalttägige Stimmung gegen queere Menschen, die sich vermehrt in reale Bedrohungsszenarien und gewalttätige Angriffe umschlägt.

Es gilt hierbei Konzepte für die Stärkung der gesellschaftlichen Vielfalt zu entwickeln:

 

  1. a) Schutzbedürftige Geflüchtete

In besonders schwierigen und kritischen psychischen Situationen befinden sich vor allem queere Geflüchtete: Sie haben – sehr oft unter hohem Risiko – ihre Heimat verlassen, um wegen ihrer Sexualität oder Identität nicht weiter verfolgt zu werden und bei uns Asyl zu suchen, aber gerade auch in der Lockdown-Zeit in den Sammelunterkünften wurden sie mehr als nur allein gelassen. Sie haben nicht nur unfassbare Probleme damit offen ihre sexuelle Orientierung in den Sammelunterkünften ausleben zu können, sie hatten auch in keiner Weise Ansprache und Unterstützung von Sozialarbeiter:innen. Es gab in diesem Zusammenhang mehrere Berichte gegenüber dem Netzwerk LSBTTIQ, dass sich queere Geflüchtete gar in ihren Zimmern verbarrikadiert hätten, um nachts überhaupt schlafen zu können, da sie Angst vor Gewalt und Belästigung hatten. Für sie muss dringend ein Mindestmaß an persönlicher Interaktion mit Sozialarbeiter:innen gewährleistet sein:

  • Queere Geflüchtete benötigen in den Asylverfahren eine besondere Beratung, dafür geschultes und für die besonderen Problemlagen sensibilisiertes Personal. Deshalb benötigen wir ein Konzept für die Beratung und Betreuung queerer Geflüchteter, das rechtliche aber auch insbesondere psychologische Unterstützung umfasst.
  • Darüber hinaus erleben queere Geflüchtete häufig vielfältige Formen von Diskriminierungen in Sammelunterkünften. Deshalb fordern wir, dass queere Geflüchtete in Sammelunterkünften für queere Menschen untergebracht werden können, wie dies auch vereinzelt bundesweit in Form von Einzelunterkünften für Frauen und Kinder bzw. besonders Schutzbedürftige auf Initiative der Kommunen praktiziert wird. Hierbei sollten auch queere Menschen berücksichtigt werden.

 

  1. b) Queere Jugendarbeit

Das Problem mit dem bereits erwähnten Familienbild besteht auch weiterhin, weil es vom Sprachgebrauch, also damit auch juristischer Sprache, abhängig ist. Eine Beschränkung auf die heterosexuelle Kernfamilie ignoriert sowohl das Vorkommen häuslicher Gewalt als auch die mitunter schrecklichen Diskriminierungserfahrungen, die queere Menschen in ihren Herkunftsfamilien machen müssen. Freundschaften als Wahl- und Ersatzfamilie sind daher – wie bereits erwähnt – für LGBTIQ: existenziell.

Vielfalt macht unsere Gesellschaft aus. Und dazu gehören insbesondere auch Orte, an denen Vielfalt gelebt wird. Deshalb werden wir die wenigen, vielfältigen Orte innerhalb der Community in Bayern weiter erhalten und stärken. Kulturelle und soziale Angebote der Community sollen deshalb auch unabhängig von der Pandemie noch großzügiger gefördert werden. Viele Angebote der queeren Jugendarbeit sind durch die Pandemie bedroht. Gerade auch der Wegfall von einigen psychosozialen Beratungsangeboten für queere und dabei ganz besonders für trans:-Personen sind und waren schwerwiegend.

Bei trans:-Personen hat sich also die ohnehin schwierige Lage durch die Lockdowns noch einmal dramatisch verschlechtert. So haben viele trans:-Personen auch in Lockdown-Zeiten aufgrund der ökonomischen Lage vielerorts ihre Arbeitsplätze verloren, standen damit vor massiven finanziellen Schieflagen und konnten sich so auch ihre Hormontherapien nicht weiter leisten. Auch das Doppelleben, das trans:-Personen besonders in den ländlichen Regionen führen (in der Arbeit evtl. geoutet, zuhause nehmen sie ihre bisherige Rolle als Vater/Mutter in der Familie wahr), belasten und belasteten diese Personen gerade in der Pandemie besonders stark. Das geht so weit, dass sich ohnehin schon vorhandene psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen nur noch schlimmer wurden. Diese Beobachtungen werden auch durch die Studie „transcarecovid“2 bestätigt.

2 How the COVID-19 pandemic affects transgender health care in upper-middle-income and high-income countries – A worldwide, cross-sectional survey (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.12.23.20248794v1.full), abgerufen am 26.10.2021.

Auch bei queeren Jugendlichen haben die Lockdowns zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer allgemeinen Situation geführt: Gerade affektiv-depressive Störungen sowie Suizidversuche unter Jugendlichen haben gerade in der Corona-Situation zugenommen. Dies liegt – wie bereits mehrfach angesprochen – besonders daran, dass für queere Jugendliche das eigene Zuhause oft kein sicherer Ort war und ist. Und die Orte, an denen sich die Jugendlichen angenommen fühlen, sind aufgrund des Lockdowns oft weggefallen. Natürlich gab es Online-Beratungsangebote, doch die ersetzen in keinem Fall ein persönliches, geheimes Gespräch.

Aus diesem Grund fordern wir:

  • Angebote für queere Jugendarbeit müssen Teil der offiziellen Jugendarbeit sein und auch bei der finanziellen Förderung angemessen berücksichtigt werden. Bislang ist dies in Bayern oft Fehlanzeige.
  • Wie bereits in Nordrhein-Westfalen soll queere Jugendarbeit auch bei uns in Bayern zunehmend professionalisiert werden, was ganz konkret bedeutet: Hauptamtliche Mitarbeiter:innen sollen queere Jugendarbeit ermöglichen und auch in dieser direkt tätig sein. Die bislang tätige „LGBTIQ:-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt“, die vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit gefördert wird, reicht nicht im Ansatz auch für diese queere Jugendarbeit aus. Aus diesem Grund fordern wir zudem eine eigene Fachstelle für queere Jugend in Bayern. Analog zur 2014 in NRW eingerichteten „Fachstelle Queere Jugend NRW“. Durch diese sind viele Anlaufstellen gerade für queere Menschen entstanden und vielerorts – auch dezentral -konnten damit hauptamtliche Stellen für pädagogische Fachkräfte etabliert werden.
  • Besonders Niederbayern zeigt: Wir brauchen deutlich mehr Strukturen für Angebote für queere Menschen. Durch die Schaffung einer Fachstelle für queere Jugendarbeit könnten gerade solche Strukturen auch im ländlichen Bereich flächendeckender umgesetzt werden, Vereine wie „Queer in Niederbayern e.V.“ strukturell deutlich besser unterstütz und vor allem auch die Kommunen dazu befähigt werden, vor Ort Beratungsangebote aufzubauen.
  • Bayern braucht dringend einen LGBTIQ:-Aktionsplan, den die Bayerische Staatsregierung bislang aber vollkommen abgelehnt hat.
  • Die Beratung von LGBTIQ:-Personen muss in unseren Augen Bestandteil der allgemeinen psychosozialen Beratung werden. Nur dann können entsprechend geschulte bzw. ausgebildete psychologische Fachkräfte beschäftigt werden.
  • Bei psychosozialen Beratungsangeboten müssen auch deutlich stärker Akzente auf die spezifische Lage von trans:-Personen gelegt werden. Dabei ist es besonders wichtig neutrale und durchaus vielfältige und nicht nur-konfessionelle Beratungsangebote in den Blick zu nehmen und anzubieten. Gerade konfessionelle und teilweise fundamentalistische Beratungsangebote sind in den ländlichen Regionen Bayerns noch immer auf der Tagesordnung.

 

  1. c) Mental Health als queere Querschnittsaufgabe

Im Kontext der Pandemie ist die Gesundheitspolitik in den Fokus gerückt. Wir werden dafür sorgen, dass die Funktionsfähigkeit und Gerechtigkeit unseres Gesundheitssystems umfassend überprüft wird. Ein besonderer Schwerpunkt dabei soll der Bereich der „mental health“ sein. Die prekäre Situation für Menschen mit Bedarf an Beratung im psychosozialen Bereich darf nicht so bleiben wie bisher. Neben einem quantitativen Ausbau des Angebots setzen wir insbesondere auch für eine qualitative Verbesserung der Gesundheitsversorgung ein. Das Angebot der psychischen Gesundheitsversorgung soll die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln. Queere Menschen leiden häufiger unter psychischen Problemen als nicht-queere Menschen, weil sie vielfältigere Formen von Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt sind.

Unsere Forderungen sind deshalb:

     

    S6 Offene Flanken im Bereich der Gleichstellung endlich schließen: Uns reicht´s!

    31.03.2023

    Gleichstellung ist schon längst erreicht? Frauen können heutzutage alles werden, wenn sie es nur wollen?

    Wer einmal erkannt hat, wie tief verwurzelt tradierte Rollenbilder in unserer Gesellschaft sind, der ist sich ihrer Wirkkraft bewusst. Es sind diese Rollenbilder, die Frauen auch heute noch – subtil und subversiv – in bestimmte Richtungen lenken und ihnen das Verständnis regelrecht einpflanzen, was von ihnen in dieser Gesellschaft erwartet wird, was zu ihren vermeintlich „natürlichen“ Aufgaben gehört, was ihre Pflichten sind. Kurz: Was ihre Rolle eben ist.

    Es beginnt bei der häuslichen Arbeit, geht weiter im Bereich der Kinderbetreuung und Erziehung, der Fürsorge für pflegebedürftige Angehörige und umfasst somit im Grunde alle Bereiche, für die es jemanden braucht, der sich ohne Bezahlung darum kümmert. Es sind weitestgehend die Frauen, die hierfür ihre bezahlten Arbeitszeiten reduzieren, jahrelang aus ihrem Beruf ausscheiden, sich zwischen der unbezahlten Arbeit zu Hause und dem Beruf aufreiben. Frauen leiden häufiger als Männer an Angststörungen, an Depressionen, somatoformen Störungen oder Burn-out-Syndrom – also an psychischen Erkrankungen, die unter anderem auf besonders hohe Belastungen im Alltag zurückzuführen sind. Durch jahrelange Teilzeitarbeit oder Elternzeit bedingte Pausen im Berufsleben erreichen Frauen im Durchschnitt eine deutlich niedrigere Rente als Männer. Während sie also bereits im Berufsleben auf Einkommen verzichtet haben, um die Familienfürsorgearbeit zu übernehmen, zieht sich dies im Alter fort.

    Um die familiäre Fürsorgearbeit unter Paaren gleichberechtigter zu verteilen, muss die Politik Anreize schaffen.

    Hierfür fordern wir: Eine Familienarbeitszeit, also ein Recht auf Teilzeit beider Elternteile, in Kombination mit einem Familiengeld, das ausbezahlt wird, wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren.

    Doch auch jenseits der Frage um Arbeitszeitreduzierung werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt immer noch systematisch diskriminiert. 2019 lag in Deutschland der durchschnittliche Bruttostundenlohn der Frauen mit 17,72 Euro 20 Prozent unter dem von Männern mit 22,61 Euro (Quelle: Statistisches Bundesamt). Damit hat Deutschland eine der höchsten Gender Pay Gaps der EU. 2018 hatte der Unterschied 21 Prozent betragen, und 2014 waren es 22 Prozent. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat in einer Studie herausgestellt, dass sich die Lohnlücke in den vergangenen acht Jahren im EU-Durchschnitt lediglich um einen Prozentpunkt geschlossen habe. In Frankreich waren es sogar nur 0,1. Ohne verstärkte politische Anstrengungen zur Überwindung des Gender Pay Gaps wird es somit noch mehr als 80 Jahre dauern, bis Frauen und Männer EU-weit gleiche Löhne erhalten. Der Gender Pay Gap lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen: darauf, dass Frauen durchschnittlich deutlich häufiger in Teilzeit arbeiten, darauf, dass frauendominierte Berufe meist schlechter bezahlt sind als männerdominierte Berufe und schließlich auch darauf, dass Frauen trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit und gleichem Umfang weniger verdienen als Männer.

    Wir fordern: Eine bessere Bezahlung in sog. systemrelevanten Berufen wie etwa in der Pflege, im Bereich Kindertagesstätten, im Einzelhandel.

    Neben Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt trifft Frauen strukturelle Diskriminierung auch in anderen Bereichen. Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist eines, von dem unmittelbar nur Frauen bzw. gebärfähige Menschen betroffen sein können. Ungewollt Schwangere sind mit Blick auf den zeitlichen Druck, der von Gesetzeswegen vorgegeben ist, in einer äußerst schwierigen Situation. Für uns ist klar: Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Verhütungsmittel, sondern ein medizinischer Eingriff mit gesundheitlichen Risiken. Kein Verhütungsmittel wirkt absolut sicher – das Risiko für eine Schwangerschaft ist im Falle von Geschlechtsverkehr immer gegeben. Frauen, die ungewollt schwanger werden und sich für einen Abbruch entscheiden, müssen in einem medizinisch fortschrittlichen Land wie Deutschland eine bessere Versorgung erhalten. Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss ferner enttabuisiert und die Informationen hierzu verbessert werden. Der in der GroKo erzielte Kompromiss zur Reform des §219a StGB verbessert die Situation von Ärzt:innen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und ungewollt Schwangeren insgesamt nicht. Das Informationsverbot für Ärzt:innen bleibt darin bestehen, wodurch sich zum einen das Auffinden medizinisch sachgemäßer Informationen für Betroffene weiterhin als schwierig gestaltet und zum anderen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bestehen bleibt. Solange Ärzt:innen eine Anklage wegen einer Information auf ihrer Website fürchten müssen, solange werden weiterhin nur wenige von ihnen für diese Eingriffe bereitstehen.

    Wir fordern:

    Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung gemäß § 13 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten nachkommen und ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen (mindestens an jedem öffentlichen Klinikum) zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregelung (§ 218a Abs. 1 und 4 Strafgesetzbuch – StGB) sicherstellen, um damit den Betroffenen eine flächendeckende qualitative medizinische Versorgung zu bieten.

    Die freie Wahl der Abbruchmethode muss bei den Betroffenen liegen.

    Methoden des Schwangerschaftsabbruchs müssen in der medizinischen Ausbildung verpflichtend verankert werden.

    Die Beratungspflicht soll abgeschafft und vielfältige, niederschwellige, flächendeckende und vor allem plurale Beratungsangebote für alle Betroffenen geschaffen sowie die Finanzierung der Beratungsangebote sichergestellt werden.

    • 218 muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und somit Abbrüche entkriminalisiert werden, was mit einer Enttabuisierung dieses Themas in der Gesellschaft einhergehen wird, stattdessen soll eine Regelung im Sozialgesetzbuch getroffen werden.
    • 219a StGB muss gestrichen werden, damit Ärztinnen und Ärzte über ihre Abbruchmethode informieren dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.

    Neben Verbesserungen im Bereich Schwangerschaftsabbruch setzen wir uns auch für einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln für alle ein. Viele Frauen in Deutschland können sich die Kosten für Pille, Spirale und Co. schlicht und ergreifend nicht leisten und verhüten deshalb unregelmäßiger, greifen zu weniger zuverlässigen Methoden oder verzichten ganz auf Verhütung. Frauen im Studium, in der Ausbildung, alleinerziehende Frauen in Minijobs oder Teilzeit – nicht nur Bezieherinnen von Sozialleistungen, sondern für viele Frauen darüber hinaus sind Verhütungskosten eine hohe finanzielle Belastung.

    Wir fordern ein bundesweites Modell zur Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln für alle.

    Frauen sind ferner auch besonders häufig Opfer von Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt. Die Frauenhäuser und Frauennotdienste sind seit Jahren unterfinanziert. Um Frauen in dieser Notsituation besser helfen zu können, müssen die staatlichen Fördermittel hier aufgestockt werden.

    Wir fordern: Mehr staatliche Finanzmittel für Schutz- und Hilfseinrichtungen für von Gewalt Betroffenen (z.B. Frauenhäuser).

     

    S5 Reform des Bundesfreiwilligendienstes (BFD)

    31.03.2023

    Der Bundesfreiwilligendienst, kurz BFD oder Bufdi, ist mittlerweile über zehn Jahre alt. Gegründet als Nachfolgestruktur des Zivildiensts, der gemeinsam mit dem Aussetzen des Wehrdiensts wegfiel. Im Allgemeinen wird der BFD als Erfolg angesehen, zuletzt (Stand 2021) mit bundesweit über 37.000 Freiwilligen. Anders als ein FSJ/ FÖJ usw. richtet sich der BFD nicht nur an junge Menschen, sondern an Menschen aller Altersgruppen. Trotzdem nehmen diese Möglichkeit vor allem Personen in einem Alter von bis zu 26 Jahren war, etwa 80%. Während der BFD seit seiner Einführung von den Freiwilligen gut angenommen wurde, die Zielmarke von 35.000 Freiwilligen wurde schon 2012 erreicht, hält sich Kritik aber dennoch hartnäckig: von der Schaffung von billigen und unqualifizierten Arbeitskräften, als Alternative zu Ein-Euro-Jobber*innen, über die Unterbezahlung, hin zum Ausnutzen von sozialem Engagement.

    Problematisch ist auch, dass das Wahrnehmen eines solchen Freiwilligendienstes noch immer ein Privileg darstellt. Gerade junge Menschen mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten, die nicht von ihren Eltern oder sonstigen Verwandten und Bekannten bezuschusst werden können, werden hier ausgeschlossen. Denn der BFD stellt als freiwilliges Engagement einen unentgeltlichen Dienst dar, die Freiwilligen bekommen keinen Lohn, sondern eine Aufwandsentschädigung. Diese besteht aus einem monatlichen Taschengeld von bis zu 426€ (Stand 2021) bei einem Vollzeiteinsatz. Dazu kommen, je nach Gutdünken der Einsatzstelle, beitragspflichtige Einnahmen in der Sozialversicherung dazu: Geld für Verpflegung (bis zu 236€, Stand 2021) und Unterkunft (höchstens 223€, Stand 2021). Ob neben dem Taschengeld weitere Leistungen angeboten oder bezahlt werden, entscheidet die Einsatzstelle, genau, wie über die Höhe des Taschengeldes. Leider verzichten viele Einsatzstellen darauf, diese Leistungen anzubieten, die Freiwilligen werden weder direkt mit Verpflegung und Unterkunft versorgt, noch indirekt durch finanzielle Leistungen. Das kann auch kaum verwundern, denn während der Bund einen Teil, oder die Gesamthöhe des Taschengeldes trägt, müssen jegliche Zusatzleistungen von der Einsatzstelle selbst übernommen werden. Wie die Einsatzstellen mit der konkreten Nachfrage nach den Zusatzleistungen umgehen unterscheidet sich stark, während die einen ihren Freiwilligen ein Engagement ermöglichen wollen und ihnen finanziell entgegenkommen, reagieren andere irritiert, schließlich ist das Ziel des BFDs doch nicht die Bezahlung, sondern die Erfahrung und Unterstützung anderer. Dass der Einsatz aber für viele gerade Junge Menschen, die selbst für ihren Unterhalt aufkommen müssen zum „Draufzahlgeschäft“ wird, wird dabei geflissentlich übersehen.

    Auch die Fahrtkosten werden nur in manchen Fällen freiwillig von der Einsatzstelle übernommen, während also beispielsweise Soldat*innen kostenlos den ÖPNV nutzen dürfen, geht bei manchen Freiwilligen ein Viertel ihrer Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten drauf.

    Gerade wenn zeitlicher Aufwand und finanzielle Entschädigung nebeneinander gestellt werden zeigt sich eine große Diskrepanz und es wird klar, warum die Durchführung eines

    Freiwilligendienstes vor allem eine Frage der eigenen Finanzkraft ist. Bis zum Alter von 27 müssen die Freiwilligen Vollzeit (40 Stunden pro Woche) arbeiten, ab 27 Jahren besteht die Möglichkeit einen Dienst in Teilzeit mit 20 Stunden durchzuführen. Bei einem maximalen Taschengeld wären das weniger als 2,50€ pro Stunde, weit entfernt vom aktuellen Niveau des Mindestlohns. Da sich der BFD aber eben auch an Menschen über 27 Jahren richtet, kommt das Konzept dem Ein-Euro-Job gleich. Hartz-IV-Empfänger*innen dürfen nur einen Bruchteil der Aufwandsentschädigung behalten, während sie zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche arbeiten. Was als Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder Dienst an der Gesellschaft dargestellt wird, zeigt für seine Freiwilligen nur wenig Wertschätzung und hat noch weniger Potenzial zu motivieren. Für viele von ihnen ist der BFD also nur eine weitere Form von prekären Beschäftigungsverhältnissen.

    Ergänzt wird die Arbeit in der Einsatzstelle durch insgesamt 25 Seminartage, meist mit Betreuer*innen, die über den Einsatz hinweg als Ansprechpersonen fungieren, sollte es Probleme oder Unklarheiten bei der Einsatzstelle geben. In den meisten Fällen findet das erste Seminar aber nicht unmittelbar vor dem Einsatz statt und es vergehen Wochen bis Monate, was dazu führt, das sich viele Freiwillige nicht über ihre Rechte und Pflichten im klaren sind. Manchen wird klar, dass sie zu wenig bezahlt werden, dass es theoretisch Zusatzleistungen geben könnte, wenn die Einsatzstelle dies nur wollte, oder dass sie wie hauptamtliche Mitarbeiter*innen eingesetzt werden und es ihnen an Supervision und Anleitung mangelt, sie allein gelassen werden. Wer und in welcher Form die Bufdis pädagogisch betreut ist aber gesetzlich nicht vorgegeben, deshalb unterscheidet sich die Qualität dieser Betreuung von Dienstort zu Dienstort.

    Die pädagogische Qualifikation, der Umfang der Betreuer*innen und ihr Wissen über die Rechte der ihnen Anvertrauten wird also nicht sichergestellt.

    Anders als bei anderen Freiwilligendiensten wird nicht klar festgelegt, welche Aufgabenbereiche durch Bufdis abgedeckt werden dürfen. In manchen Kommunen gilt Unkrautjäten deshalb jetzt als Ehrenamt, mitfinanziert vom Bund. Es ist daher kaum verwunderlich, dass 2018 ein Drittel aller Bufdis ihren Dienst abbrachen, viele wegen Unterforderung und scheinbar sinnlosen Aufgaben. Gleichzeitig ist auch der Teil der Bufids, die sich stark überfordert fühlen und die unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen sind sehr groß. Viele Bufdis werden wie Fachkräfte eingesetzt, betreuen ohne weitere Aufsicht Kinder, sind alleine auf Station und werden nur ungenügend angeleitet. Das Recht auf Anleitung wird in vielen Dienststellen nur inkonsequent durchgesetzt. Eine zusätzliche Arbeitskraft lohnt sich nunmal besser, wenn sie auch selbstständig arbeitet und einen Teil des Arbeitsaufwands vollständig übernimmt.

    Bleibt noch die Arbeitsmarktneutralität, übernommen vom Zivildienst. Diese Regelung soll eigentlich verhindern, dass Arbeitsplätze verloren gehen und durch billige Freiwillige gestopft werden. Genauso dient sich auch in gewisser Weise dem Schutz der Freiwilligen, denn sie dürfen nur als Zusatz, nicht als Ersatz eingesetzt werden, sowohl in ihrer Stelle, als auch im täglichen Betrieb. Diese Regelung hat sich aber als stumpfes Schwert herausgestellt. Dass über 35.000 Menschen einerseits wertvolle gemeinnützige Arbeit verrichten und gleichzeitig keine Jobs zerstören, oder ihre Schaffung verhindert wird, ist kaum glaubhaft. Es gehen durch die ungenauen Vorgaben bezüglich der Aufgabenfelder also Arbeitsplätze verloren, die mit dem Mindestlohn oder mehr entlohnt werden können und sollten. Stattdessen wird auf die Ausbeutung junger Menschen und von Menschen in prekären Verhältnissen abgezielt.

    Vordergründig wird der BFD also gemeinhin als gemeinnützig und sozial sinnvoll angepriesen, die Sinnhaftigkeit eines freiwilligen Dienstes oder Engagements im Allgemeinen soll hier gar nicht kritisiert werden. Aber auch wenn zumindest offiziell keine politische Absicht hinter der Einführung des BFDs steht, ist doch ganz deutlich, dass hier eine neue Form des Prekariats geschaffen wurde, in der Menschen ausgebeutet werden, um den Arbeitsmarkt mit billigen Arbeitskräften zu fluten. Dies können wir nicht dulden.

    Deshalb fordern wir:

    • die Erhöhung der Mindest- und Höchsthöhe des Taschengeldes und der Zusatzleistungen
    • die Verpflichtende Auszahlung von Zusatzleistungen auf Wunsch der Freiwilligen
    • die Möglichkeit für Freiwillige, sich während ihrem Einsatz, ähnlich wie Bafög-Empfänger*innen, von den Rundfunkgebühren befreien zu lassen
    • die Schaffung einer gesetzlichen Regelung, was von einem BFD abgedeckt wird, um die Schaffung von Stellen ohne sozialen/ ehrenamtlichen Charakter zu unterbinden
    • die Vereinfachen des Wechselns der Einsatzstellen
    • die Stärkere Kontrolle der Einsatzstellen, zum Schutz der Freiwilligen
    • eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung, wer und in welcher Form die Bufdis pädagogisch betreut
    • die Verankerung und Stärkung der Rechte von Bufdis bezüglich Arbeitnehmer*innenrechte, Mitbestimmung und Repräsentation

     

     

    S4 Unterstützung queerer Strukturen im ländlichen Raum

    31.03.2023

    Wir fordern die SPD-Landtagsfraktion, die SPD-Bundestagsfraktion und den neugegründeten AK Queerpolitik der SPD-Bundestagfraktion auf, sich dafür einzusetzen, dass durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales sowie durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinnützige ehrenamtliche Vereine und Strukturen, die Anlaufstelle für LSBTIQ*-Menschen im ländlichen Raum und sich um die Belange der LSBTIQ*-Community im ländlichen Raum kümmern, entsprechend mit Fördergeldern unterstützt werden.

    Begründung:

    Die kaum vorhandenen Anlaufstellen für die LSBTIQ*-Community im ländlichen Raum im Allgemeinen und in Niederbayern im Besonderen, sofern es sie überhaupt gibt, sind, wenn überhaupt, als gemeinnützige Vereine ausschließlich ehrenamtlich tätig. Sie leisten wertevolle und eine besonders wichtige Arbeit im und für den ländlichen Raum, z. B. mit Jugendarbeit durch queere Jugendgruppen, trans*-Gruppen, Elternstammtischen oder Gesprächskreisen für „schwule Väter bzw. lesbische Mütter“, um nur einiges zu nennen. Sie finanzieren sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge oder durch Einnahmen von Veranstaltungen, wie z. B. die Straßenfeste bei den Christopher-Street-Days (CSD). Bedingt durch die Coronapandemie fanden 2020 und 2021 zwar CSDs z. B. als ortsfeste Kundgebungen mit besonders strengen Auflagen statt, jedoch war weder ein Rahmenprogramm noch der zur Finanzierung der Vereinsarbeit unabdingbar notwendige gastronomische Betrieb (Bewirtung) möglich. Und ob dies in diesem und den nächsten Jahren pandemiebedingt erfolgen kann, ist mehr als fraglich.

    Diese Einnahmeausfälle treffen diese Vereine besonders hart, u. a. deswegen, weil sie deutlich weniger Mitglieder haben als z. B. Sportvereine o. ä., besonders viele beitragsermäßigte Mitglieder (Schüler*innen, Azubis, Studierende, etc.) haben und bis dato überhaupt keine Zuschüsse (anders als z. B. Sportvereine, Kulturvereine u. dgl.) erhalten.

    Diese Vereine erbringen aber auch enorm wichtige Leistungen, z. B. Beratung von jungen LSBTIQ*-Personen u. a., die auch eine gesellschafts-, sozial-, familien-, jugend- und seniorenpolitische Aufgabe wären

     

     

    S3 Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt

    31.03.2023

    Die Bezirkskonferenz der SPDqueer und der SPD-Bezirksparteitag Niederbayern fordert die SPD-Landtagsfraktion auf, sich für einen bayerischen Aktionsplan „Queeres Leben Bayern“ in Verbindung mit einem Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit aktiv und mit Nachdruck einzusetzen.

     

     

    E1 Solidarität mit Belarus

    31.03.2023

    Wenn auch nicht mehr im Zentrum der medialen Öffentlichkeit, so tobt in Belarus – mitten in Europa – auch weiterhin der gewaltvolle Konflikt zwischen Lukaschenko-Regime und Zivilgesellschaft. Wir erklären uns solidarisch mit den demokratischen Kräften in Belarus und verurteilen die staatliche Repression. Durch manipulierte Wahlen, grobe Verstöße gegen Versammlungs- und Pressefreiheit und staatlich orchestrierter Gewalt, unrechtmäßigen Verhaftungen und Unterdrückung verdient Alexander Lukaschenko und sein Apparat unsere deutliche Ablehnung und wirkmächtige Sanktionen von europäischer Seite. Die Bestrebungen hinzu Freiheit und Demokratie von großen Teilen der belarussischen Bevölkerung unterstützen wir ausdrücklich in Form und Inhalt.

     

     

    B2 Bildungsplan zu queerer Vielfalt und für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt

    31.03.2023

    Die Bezirkskonferenz der SPDqueer und der SPD-Bezirksparteitag Niederbayern fordert die SPD-Landtagsfraktion auf, sich für einen bayerischen Bildungsplan zu queerer Vielfalt und für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einzusetzen.

    In den Lehrplänen aller Schularten und aller Altersklassen ist der Bildungsplan „Queere Vielfalt“ altersgerecht zu implementieren.

    Begründung:

    Bayern ist eines der letzten Bundesländer, das bis heute keinen Bildungsplan für queere Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit hat. Bis heute ist z. B. auf dem Schulhof „schwul“ das am häufigsten verwendete Schimpfwort.

    Schulen sind immer noch die Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche am wenigsten trauen, sich zu outen, weil sie Diskriminierung, Hass und teilweise auch Gewalt befürchten und teilweise auch erleben müssen.

    Es kommt nicht von ungefähr, dass die Suizidrate von LSBTIQ*-Jugendlichen im Vergleich mit Gleichaltrigen deutlich höher liegt.

     

    Änderungen / Anmerkungen ·       Streiche Z. 1: „Die Bezirkskonferenz der SPDqueer und der SPD-Bezirksparteitag Niederbayern fordert“ und ersetze durch „Die NiederbayernSPD fordert die BayernSPD und die SPD-Landtagsfraktion auf, (…)“
    Votum Antragskommission

    des Bezirksvorstandes

    Annahme in der Form der Antragskommission und Überweisung an die SPD-Landtagsfraktion und Landesparteitag

     

    P2 Leitantrag der Jusos Niederbayern – Das Jahr 2021: Der Beginn der sozialdemokratischen 20er Jahre

    31.03.2023

    Einführung

    Noch bis Sommer dieses Jahres steckte die Sozialdemokratische Partei über viele Jahre in einer veritablen Vertrauenskrise. Einst Kämpferin und Beschützerin der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, ist die SPD für ihr eigentliches Klientel heute nicht mehr greifbar. Diejenigen, für die sie kämpfte und deren Aufstieg sie ermöglichte, hat sie zurückgelassen und aus dem Blick verloren. Selbst das überraschend gute Abschneiden bei der Bundestagswahl 2021 kann darüber nicht hinwegtäuschen. Dies wird an drei Punkten sichtbar: Während dieses Bundestagswahlkampfes sind kaum Neumitglieder eingetreten. Wir sind bei den Erstwähler:innen nach der FDP und den Grünen nur die drittstärkste Kraft. Zudem fällt es schwer, Parteimitglieder für eine aktive Beteiligung in der Partei zu mobilisieren. Im öffentlichen Bild erscheinen wir, nach Jahren der Großen Koalition, häufig wie eine CDU-light mit rotem Deckmäntelchen. Gerade jungen Menschen, die die SPD nur als Juniorpartnerin der Union kennengelernt haben, fällt es schwer, die SPD als progressive Partei wahrzunehmen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind jedoch zahlreich. Die Europäische Union steht an einem Scheideweg. Der Austritt Großbritanniens, die fortgesetzten Wertverstöße der polnischen und ungarischen Regierung und der fortschreitende Rechtspopulismus in vielen Mitgliedstaaten stellen ganz Europa vor eine existenzielle Belastungsprobe. Europa hat sein menschliches Antlitz verloren: Die rigorose Durchsetzung der Sparpolitik in ganz Europa auf Kosten der Ärmsten, die wachsende soziale Kluft zwischen Arm und Reich, ein stetig wachsendes Machtgefälle zwischen Wirtschaft und Politik gefährden die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit. Jetzt gilt es für uns mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuräumen und die Partei wieder zu der Kämpferin zu machen, die sie einst war und wie wir sie stets wollten. Wir brauchen die Sozialdemokratie wieder als soziale Kraft, die im Sinne Willy Brandts solidarisch die Hand ausstreckt und über die Nation hinausdenkt: “Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen”. Nicht nur Deutschland braucht diese soziale Kraft, sondern ganz Europa. Um dies zu erreichen, muss sich die SPD grundlegend verändern. Gerade in einer Koalition mit der FDP ist eine fortschreitende Neoliberalisierung der SPD zu befürchten. Diese muss zum Wohle der Bevölkerung und der Partei dringend ausbleiben. Wir müssen mutig die sozialen Fragen unserer Zeit angehen und lösen. Nur wir, als Parteibasis kann der SPD wieder ihren Pfad weisen. Dieser Antrag soll der erste Schritt in diese Richtung sein.

    Analyse

    Dieser Programmentwurf, welchen sich die SPD Niederbayern hiermit gibt, rührt aus der Unzufriedenheit, mit der die Politik der letzten Jahrzehnte verfolgt wurde. Forderungen können jedoch nicht isoliert aufgestellt werden, sondern müssen sich aus konkreten Missständen und Fehlentwicklungen ableiten. Sie sollen nachfolgend kurz skizziert werden. Wir werden die Probleme beim Namen nennen. Nur durch bedingungslose Ehrlichkeit kann schließlich das verlorene Vertrauen in die Politik langsam wiederhergestellt werden. Das System, in welchem wir uns befinden, kann ohne große Anstrengungen als Kapitalismus identifiziert werden, welcher durch den Klassenkampf der Arbeitnehmer:innen gegen die herrschende Bourgeoisie gekennzeichnet ist. Dass zwischen diesen beiden Klassen ein Machtgefälle besteht, kann nicht von der Hand gewiesen werden und ist auch der Sozialdemokratie bewusst. Schließlich veräußert das Proletariat seine Arbeitskraft zu einem Preis, welcher unterhalb des Wertes derselben liegt, an die Besitzenden, sodass diese Gewinne realisieren. Damit ergibt sich eine durch den Besitz von Kapital festgelegte Hierarchie. Für jene, die von dieser Hierarchie benachteiligt, von den Marktkräften unterdrückt und von den Mächtigen ausgebeutet werden, hat sich vor mehr als 150 Jahren die Sozialdemokratie gegründet. Um auch die letzten Skeptiker:innen davon zu überzeugen, dass das skizzierte Machtgefälle kein Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts war, sondern nach wie vor vorliegt, sei als Beispiel die Einführung des Mindestlohns erwähnt. Vor dessen Einführung bestanden in nicht unerheblichem Maße Löhne, welche unterhalb der 8,50 €-Schwelle lagen. Hätte zu diesem Zeitpunkt ein Machtgleichgewicht zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen bestanden, so wären die damals vorliegenden Löhne das Resultat optimaler Verhandlungen gewesen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Entlohnung exakt dem Wert der jeweiligen Arbeitskraft hätte entsprechen müssen. Vor der Einführung äußerten sämtliche Ökonom:innen, die der Religion des “vollkommenen Marktes” anhängen, alle Personen, deren Entlohnung unterhalb des geplanten Mindestlohns liege, würden ausnahmslos ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Rentabilität würde nicht länger gewährleistet werden können. Jetzt, nach der Einführung, ist dieses Schreckensszenario aber nicht eingetreten. Stattdessen ist die Arbeitslosigkeit weiterhin rückläufig. Demnach existiert offensichtlich ein Verteilungsspielraum hinsichtlich der Lohnhöhe, welcher nur beim Vorliegen von Machtungleichgewichten existieren kann. Man kann diesen Zustand ignorieren, wie es die Sozialdemokratie seit Jahren tut. Doch genau aus diesen Marktungleichgewichten rührt eine Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung, welche zu einer Konzentration des Kapitals in den Händen einiger weniger führt. Das zieht wiederum nach sich, dass die unteren 50 Prozent der Einkommensverteilung unserer Gesellschaft im Durchschnitt keinerlei Vermögen besitzen. Dieser Umstand sei nochmals verdeutlicht: Die Hälfte der in unserer Gesellschaft lebenden Menschen hat in der Summe keinerlei Ersparnisse auf dem Konto, darf sich aber täglich von Banker:innen, Versicherungen und Medien anhören, wie wichtig die private Altersvorsorge doch sei. Noch viel schlimmer an diesem System ist jedoch, dass der sozioökonomische Status des Elternhauses die Perspektiven der künftigen Generation zementiert. Sowohl das Bildungs- und Ausbildungsniveau als auch die Klassenzugehörigkeit wird fast ausschließlich durch die wirtschaftliche, und damit auch gesellschaftliche, Situation des Elternhauses bestimmt. Dadurch reproduziert das System sich selbst, sodass die Reichen eben reich bleiben, und die Armen – im Verhältnis zu den Reichen – arm. Zuletzt sei noch gesagt, dass durch höhere Bildung und Qualifikation natürlich Aufstiegschancen bestehen – aber eben nur innerhalb der eigenen Klasse. Demnach steigt durch höhere Bildung zwar die Freiheit, auszuwählen, von wem man sich ausbeuten lässt, der Zustand der Ausbeutung wird damit aber nicht aufgelöst. Dieses System ungleicher Machtverhältnisse zieht sich wie ein roter Faden durch die politische Landschaft. Für die Makroökonomie innerhalb Europas können wir so beobachten, dass sich die Unterschiede hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit aufgrund divergenter und teilweise fehlender Lohnentwicklungen katastrophal verschärft haben. Man muss kein:e Expert:in in Sachen Wirtschaft sein, um zu erkennen, dass die deutsche Lohnmoderation des letzten Jahrzehnts dazu geführt hat, dass die Marktanteile der deutschen Unternehmen sich auf Kosten der Europäischen Gemeinschaft vergrößert haben. Infolge der stagnierenden Löhne hat sich keine neue Nachfrage innerhalb Deutschlands aufgetan. Man hat schlichtweg ausländische Konkurrenz in deren Heimatland vom Markt verdrängt. Nicht durch besonders hochwertige Produkte, sondern schlichtweg, weil die Lohnstückkosten vergleichsweise gering waren und so der Preis stärker gedrückt werden konnte. Erschwerend kommt hinzu, dass zwar seit der Kanzlerschaft Schröders die Arbeitslosenquote zurückging, dies jedoch keine Steigerung der Produktivität mit sich brachte. Eine Reduzierung der Arbeitszeiten brachte nicht mehr Wirtschaftsleistung, dafür aber eine Verbreiterung der Aufgaben. Plakativ gesagt wird der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands in diesem Ausmaß erst durch die Agenda 2010 ermöglicht, auf Kosten der Reallohnentwicklungen der Arbeitnehmer:innen, deren Kaufkraft und des Auslands. Einziger Gewinner ist die deutsche Bourgeoisie. Bestünden hingegen gleiche Machtverhältnisse für Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen, so wäre ein Drücken der Löhne nicht mehr möglich, eine gerechte Entlohnung gewährleistet und außenwirtschaftliche Stabilität hergestellt. Auch hier liefert die Sozialdemokratie, obwohl sie in geraumer Vergangenheit noch keynesianisch argumentierte, keine Alternativen. Es mag den Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitiker:innen der SPD durchaus bekannt gewesen sein, dass ohne Koordinierung der Lohnentwicklung keine Währungsunion zu machen gewesen wäre, jedoch behielten sie diese Erkenntnis für sich. So bürdeten sie den südeuropäischen Volkswirtschaften unvernünftige Sparauflagen mit auf und stellten „die schwarze Null“ als alternativlos dar. Wovon die Wirtschaft angetrieben werden sollte, wenn öffentliche Haushalte infolge von Sparauflagen und schwarzen Nullen weniger konsumieren, Arbeitnehmer:innen infolge stagnierender Löhne ihren Konsum nicht steigern und Unternehmen schlicht aufgrund geringer Nachfrage keinen Anreiz haben, zu investieren, darauf gab der Parteivorstand jedoch keine Antwort. Bedingt durch die Corona-Pandemie wurden zur Finanzierung der Auswirkungen selbiger die strikten Haushaltsrichtlinien gelockert. Was aus unserer Perspektive eine begrüßenswerte Entwicklung darstellt. Durch eine nachfrageorientierte Finanzpolitik des SPD-geführten Finanzministeriums wurden Investitionen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, vereinzelt der Kultur, des Einzelhandels, der Gastronomie, aber auch besonders in zukunftsorientierte Schlüsseltechnologien für einen klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft ermöglicht. Das betrachten wir als positive Entwicklung, die Realität durch die Pandemie hat jedoch die Politik zum Handeln gezwungen und ist unseres Erachtens nicht der eigenen Überzeugung entsprungen. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt werden vereinzelt Stimmen innerhalb der SPD laut, nach Ende der pandemischen Notlage wieder zu einem strikten neoliberalen Sparkurs der Vor-Corona-Phase zurückzukehren. Ähnlich ohnmächtig verhält sich die Sozialdemokratie bei der Innenpolitik. Anstatt über eine sinnvolle, ausgewogene und verhältnismäßige Kriminalitätsbekämpfung sowie eine Reformierung des Strafrechts nachzudenken, zieht es die SPD vor, alle Bürger:innen durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung unter Generalverdacht zu stellen und ihre personenbezogenen Daten, ganz egal welche, zu speichern. Unsere Partei hat nicht verstanden, dass die Menschen mehr Angst davor haben, über keinerlei Privatsphäre mehr zu verfügen als vor einem potenziellen Terroranschlag, der zufällig in Social-Media-Kanälen verabredet und daher von der VDS erfasst wurde. Diese Angst scheint absolut begründet. Führt man sich vor Augen, dass der Bundestag es nicht einmal auf die Reihe bekommt, seine eigenen Server vor Hackingangriffen zu schützen, so muss man am Schutz der durch die VDS gewonnenen Daten zweifeln. Auch bei der Drogenpolitik ist die SPD erst viel zu spät, und nur durch das unnachgiebige Drängen der Jusos, für eine Freigabe von Cannabis eingetreten. Zuvor war die Angst zu groß, damit Wähler:innen aus der bürgerlichen Mitte zu vergraulen. Und auch bei anderen relevanten innenpolitischen Themen, wie der Unterbringung von Geflüchteten, einer umfassenden Strafrechtsreform oder der längst überfälligen Abschaffung des Verfassungsschutzes traut sich die SPD nicht aus der Linie der konservativen Parteien heraus. Unter Willy Brandt wurde die Sozialdemokratie gewählt, weil sie eine Partei der Mutigen war, weil sie alternative Lösungen anbieten konnte und diese auch kämpferisch vertrat. Davon ist heute, und das müssen wir uns ehrlicherweise eingestehen, wenig übrig geblieben. Genauso hat die SPD in der Friedenspolitik versagt. Nie waren die Waffenexporte Deutschlands so hoch wie jetzt. Gleichzeitig traut sich die einstige Anti-Kriegs-Partei SPD nicht, den Zusammenhang zwischen der großen Zahl der Geflüchteten und den steigenden Waffenexporten zu benennen. Zudem war das Verhältnis zu Russland seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nie derart zerrüttet wie heute. Willy Brandt hat 1969 bereits erkannt, dass Isolationsmaßnahmen und Sanktionen eben nicht dafür geeignet sind, außenpolitische Spannungen zu lösen, und hat deshalb die Hallstein-Doktrin aufgegeben. Heute erleben wir eine SPD, die in keiner Weise etwas gegen eine Neuauflage dieser Sanktions- und Isolationsmechanismen sagt. Die SPD sieht zu, wie die Friedenspolitik Brandts zertreten wird. Schlussendlich, um einen Punkt zu erwähnen, bei dem sich die SPD nicht von ihren einstigen Idealen entfremdet hat, sei die Gleichstellungspolitik genannt. Es kann nicht bestritten werden, dass die SPD nach wie vor für die Gleichheit aller eintritt. Dies muss auch unter allen Umständen beibehalten werden. Dennoch ist offensichtlich, dass die Intensität, mit der die Partei versucht, gleichstellungspolitische Positionen umzusetzen, denkbar gering ist. Weder mit einer progressiven Neuerung des Selbstbestimmungsgesetzes noch mit der Abschaffung der §218 und §219 StGB, oder mit einer endgültigen Schließung des Gender-Pay-Gap traut sich die SPD aus der Deckung. Stattdessen begnügt sie sich mit 30 Prozent Frauen in den DAX-30-Führungsriegen und den Unternehmensvorständen mit mindestens 2.000 Beschäftigten. Angesichts solch halbherziger Versuche braucht die Sozialdemokratie eine Rückbesinnung auf die Entschlossenheit der einst so stolzen Frauenbewegung, um nach diesem Vorbild mit starker Stimme für eine Gleichheit aller Menschen einzutreten, auch außerhalb von Börsenunternehmen. Es war ein Erfolg der neuen Parteispitze unter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, einen personellen Neuanfang der Sozialdemokratie einzuleiten. Sichtbar wird dies zum Beispiel an der neuen SPD-Bundestagsfraktion, die in ihrer Geschichte noch nie so divers und jung war. Die SPD muss sich weiterhin bewusst sein, dass sie ihre Mitglieder und Funktionär:innen aus der Mitte der Gesellschaft rekrutiert und sich entsprechend respektvoll verhalten. Gleichzeitig darf sie niemals wieder auf irrationale Ängste real reagieren, wie es infolge der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen oder beim Besuch von PEGIDA durch unseren ehemaligen Vorsitzenden Sigmar Gabriel der Fall gewesen ist. Mit unserer neuen Parteispitze hat sich dies glücklicherweise nun grundlegend geändert. Stattdessen müssen aber Hirngespinste, Verschwörungstheorien und andere Dummheiten klar als solche identifiziert werden, ebenso wie die Identifikation des braunen Haufens als “Pack” durch Gabriel und auch die Benennung der Querdenker:innen und Impfgegner:innen als “Covid-Idioten” durch Saskia Esken richtig und wichtig war. Engagiert muss die Sozialdemokratie, sowohl außerhalb als auch innerhalb, gegen Rassist:innen vorgehen. Rassist:innen gehören nicht in die SPD! Zudem ist es notwendig, dass sich die SPD endlich von ihrem Pragmatismus verabschiedet. Es kann nicht sein, dass alternative linke Lösungsansätze zwar als richtig erkannt, jedoch nicht umgesetzt werden, weil man glaubt, diese seien den Wähler:innen nicht vermittelbar. Es ist ein Trugschluss, anzunehmen, dass die Wähler:innen dümmer seien als die eigenen Mitglieder der SPD. Genauso verstößt es gegen jegliche Vernunft, wenn eine offenkundig falsche Politik, wie die sogenannte Griechenlandrettung oder der Einsatz von bewaffneten Drohnen, unterstützt wird, weil man glaubt, damit Stimmen bei Wahlen zu gewinnen. Wir dürfen keine Zeit damit verschwenden, falsche Ansätze aufgrund von Popularität zu verfolgen, sondern müssen richtige Ansätze, seien sie auch noch so verpönt, diskutieren und den Wähler:innen näherbringen. Nur indem sich die Sozialdemokratie als intelligenten Gegenentwurf zur selbsterklärten Alternativlosigkeit der Unionspolitik präsentiert, kann die SPD ihrem politischen Regierungsanspruch gerecht werden und die Maßnahmen umsetzen, welche Deutschland und Europa wirklich brauchen. Aktuell ergibt sich die Chance ein sozialdemokratisches Jahrzehnt zu gestalten und eben diese Ansprüche umzusetzen. Seien wir doch endlich vernünftig, artikulieren wir unsere Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft und fangen wir an, wieder linke Politik zu machen, statt weiterhin Gefahr zu laufen, Unionspositionen rot anmalen zu wollen. Verabschieden wir uns von verstaubten Vorständen, welche es in den vergangenen Jahren nicht geschafft haben, alternative Konzepte zu präsentieren und die Menschen zu begeistern. Verabschieden wir uns von Inhaltsleere und Postengeschacher und beginnen wir gemeinsam für die Idee des demokratischen Sozialismus zu streiten. Erkennen wir, dass die sozialdemokratische Politik des vergangenen Jahrzehnts ihrem Namen nicht gerecht wurde, und haben wir endlich den Mut, uns als Gegenpol zum Politikvakuum der Union zu erheben. Nur durch eine starke und unbequeme Sozialdemokratie kann der Hierarchie zwischen besitzender und arbeitender Klasse eine politische Kraft entgegengesetzt werden. Treten wir wieder ein für die zentralen Werte der Sozialdemokratie: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität!

    Freiheit

    Es war von jeher ein zentrales Anliegen der deutschen Sozialdemokratie, den Menschen ein freies Leben innerhalb einer freiheitlichen Gesellschaft zu ermöglichen. Wenn man auf die über 150-jährige Geschichte dieser Partei zurückblickt, kann nicht geleugnet werden, dass diese Zielsetzung zumindest in Teilen erreicht wurde. Mithilfe der Sozialdemokratie wurden aus Millionen entrechteter, ausgebeuteter und entmündigter Land- und Fabrikarbeiter:innen gleichberechtigte Bürger:innen. Von der Einführung des Frauenwahlrechts bis zum Lebenspartnerschaftsgesetz bedeutete sozialdemokratische Politik für die große Mehrheit der Bevölkerung stets einen Freiheitsgewinn. Allerdings wäre es kleinmütig und rückwärtsgewandt, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. Vielmehr stellt sich heute die Frage, wie aus der SPD wieder eine Partei der Freiheit und der Emanzipation werden kann und vor allem welche konkreten politischen Ziele sie formulieren muss, um ihrer historischen Rolle als Kämpferin für Freiheit und Selbstbestimmung wieder gerecht zu werden. Sozialdemokrat:innen dürfen den Freiheitsbegriff nicht den Neoliberalen überlassen, für die Freiheit immer nur die Freiheit der Besitzenden, der Arbeitgeber:innen bedeutet. Freiheitliche Politik hat für uns viele Facetten. Zunächst ist Freiheit natürlich die Freiheit zur freien Entscheidung und Persönlichkeitsentwicklung. Wir bekennen uns hier als Sozialdemokrat:innen und zu den Freiheits- und Bürger:innenrechten als Basis dieser Freiheit. Die Politik der SPD muss den stetigen Ausbau dieser Rechte wieder ganz oben auf die politische Agenda setzen. Wir sehen hier auf unterschiedlichen politischen Feldern einen erheblichen Handlungsbedarf. Zum einen ist eine Reform des Strafrechts längst überfällig. Sie wurde zwar vom sozialdemokratischen Justizminister im Rahmen der Großen Koalition ab 2013 versprochen, aber nie umgesetzt. Wir fordern ein Strafrecht, das sich nicht auf einem barbarischen Rachegedanken gründet, sondern vielmehr auf dem Gedanken straffällig gewordene Menschen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Wir erachten es weder als sinnvoll noch zeitgemäß, Menschen, die keine Gefahr für andere darstellen, einfach wegzusperren. Rehabilitation muss immer Vorrang vor Bestrafung haben. Deutschland ist ein multikulturelles und multiethnisches Land, in dem Menschen aller Weltanschauungen, sofern sie mit den Grundsätzen des Grundgesetzes in Einklang stehen, beheimatet und fester Bestandteil dieser aufgeklärten und offenen Gesellschaft sind. Zu einer freien Gesellschaft gehört selbstverständlich auch die freie Religionsausübung. Dazu gehört aber auch, dass keine Religion über anderen steht und Menschen ihr Wertesystem aufzwingt. Konsequenz dieser Erkenntnis muss sein, die Debatte über die Trennung von Staat und Kirche wieder neu zu führen. Ein gesondertes Kirchenarbeitsrecht, welches eigentlich in einem modernen Rechtsstaat keinen Platz hat, muss unserer Ansicht nach beseitigt werden. Die sofortige Auflösung des Reichskirchenkonkordats von 1933 und Beendigung aller Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und jeder Kirche sowie kirchlich organisierten Gemeinschaften soll die Grundlagen hierfür schaffen. Die Diskriminierung von queeren Menschen, wiederverheirateten Paaren und anderen Gruppen muss in diesem Bereich endlich ihr Ende finden. Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört aber auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wenn es kein kulturelles und gesellschaftliches Leben für alle gibt, sei es aus Armut oder anderen Gründen, ist für uns ein freies Leben nicht vorstellbar. Einen wesentlichen Aspekt stellt hier auch die Frage des bezahlbaren Wohnraums und der Mobilität, vor allem in unserem ländlich geprägten Niederbayern, dar. Um selbstbestimmt und frei Leben zu können, muss allen Menschen der Bundesrepublik von München bis Berlin Wohnraum zu sozialverträglichen Konditionen zur Verfügung stehen. Um dies zu erreichen, muss es ein Primat des öffentlichen, genossenschaftlichen Wohnens vor der Gier privater Immobilienspekulanten geben. Die Wahlkampfforderung Olaf Scholz’, zum jährlichen Bau von 400.000 neuen Wohnungen, darunter 100.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau, muss durch Regierungshandeln umgesetzt werden. Um sich nachhaltig frei und selbstbestimmt fühlen zu können, bedarf es aber auch einer Absicherung der menschlichen Grundbedürfnisse, also der grundlegenden Versorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen. Dies muss unserer Auffassung nach staatliche Aufgabe bleiben und darf nicht dem neoliberalen Privatisierungswahn zum Opfer fallen. Überhaupt wollen wir die Frage nach öffentlichem Eigentum wieder neu stellen. Wesentliche Bereiche, wie Post, Energie und Bankenwesen müssen wieder unter öffentliche Kontrolle gebracht werden. Ein weiterer Bereich, in dem eine Orientierung am Wert der Freiheit innerhalb der Sozialdemokratie stattfinden muss, ist die Digitalisierung der Gesellschaft. Dies beginnt für uns mit der Möglichkeit aller sich des Internets zu bedienen. In Deutschland sind die Verbindungen vor allem im ländlichen Raum immer noch katastrophal. Auch hier muss die Infrastruktur wieder in öffentliche Hand. Parallel dazu fordern wir gerade in Bezug auf Netzneutralität eine freiheitliche Gestaltung der neuen technischen Möglichkeiten. Das Internet darf keinesfalls ein vom Staat bis ins Letzte kontrollierter und reglementierter Raum werden. Darüber hinaus sehen wir die jüngsten Entwicklungen, die Vorratsdatenspeicherung wieder zu implementieren als eine fatale Entwicklung an. Gläserne Bürger:innen sind kein von uns angestrebtes Ideal. Es darf gerade im Bereich der Daten keinen Tausch von Freiheiten zugunsten vermeintlicher Sicherheiten geben. Unser Freiheitsbegriff umfasst aber nicht nur Persönlichkeitsentwicklung und freie Entscheidung. Vielmehr ist die sozialdemokratische Bewegung stark von der Erkenntnis geprägt worden, dass Freiheit nur gelebt werden kann, wenn ein gewisses Maß an materieller Absicherung vorhanden ist. Solange aufgrund eines ungerechten Systems – schlechter Löhne, unsicherer Beschäftigungssituationen und zu geringen Rentenansprüchen – die Angst vor sozialem Abstieg existiert, bleibt Freiheit ein Privileg derer, die sie sich leisten können.

    Gerechtigkeit

    Um Freiheit zu verwirklichen, braucht es Gerechtigkeit. Freiheit und Gerechtigkeit bedingen sich gegenseitig. Doch von einer gerechten Gesellschaft sind wir heute weit entfernt. Der Einfluss unseres ungerechten Systems auf die Menschen beginnt schon in frühester Kindheit. Wem in dieser Gesellschaft einmal ein Platz zugewiesen wurde, hat nie wieder die Chance diese Kategorisierung abzulegen. Dieses System entzweit unsere Gesellschaft und sorgt dafür, dass kaum ein Mensch mehr zufrieden ist mit sich und seinem Leben. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen dauerhaften sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind die Bildungschancen, die wir nachfolgenden Generationen ermöglichen. Ob Menschen einen erfolgreichen beruflichen Karriereweg einschlagen können, oder im weiteren Verlauf mehr oder weniger stark von sozialem Abstieg und damit einhergehend von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht sind, hängt wesentlich von den Zugangshürden und der Ausgestaltung unseres Bildungssystems ab. Lernen für den Menschen, nicht für die Wirtschaft. Heutzutage sind viele Lernprozesse darauf ausgerichtet, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu lernen. Jedoch funktioniert dies nicht so, wie sich das die Unternehmen vorgestellt haben. In einem Bericht äußerte sich bereits die IHK, dass die Abschlüsse häufig von den Unternehmen als nicht ausreichend gewertet werden. Ohne hier mit Statistiken um sich zu werfen, ist es klar, dass es an der Bildung in der Bundesrepublik mangelt. Dies geht sogar so weit, dass bereits in Versuchen nachweislich Veränderungen im Gehirn festgestellt werden konnten, aufgrund des „Massierten Lernens“, also des Lernens von extrem viel Inhalt auf extrem kurze Zeit. Man könnte auch hier noch viele Studien und Statistiken anführen, um zu untermauern, dass die Art wie an unseren Schulen gelernt wird keineswegs wissenschaftlich als wirksam bezeichnet werden kann. Es soll bewusstwerden, dass ohne professionelle Hilfe aus allen Fachbereichen es in Deutschland früher oder später zu einem Kollaps kommt. Denn das deutsche Bildungssystem ist lediglich eine inhaltlich aktualisierte Form von wissenschaftlich überholten Strukturen und Strategien aus dem deutschen Kaiserreich. In seiner aktuellen Gestalt kann unser Bildungssystem nicht mit den rasanten Entwicklungen unserer Zeit mithalten. Anstatt zu lernen mit dem technischen Fortschritt umzugehen und Strategien zu entwickeln, wie man ein Leben lang sich selbst neues beibringen kann, wird in deutschen Schulen weiterhin so unterrichtet, dass man im Falle eines absoluten Blackouts (kein Strom, kein Internet, etc.) noch auswendig weiß, wann Kaiser Karl der Große gekrönt wurde. Dies soll keine Parodie oder Kabarett sein, dies ist die Realität. Neidisch macht der Blick in andere Staaten wie die Niederlande oder das Paradebeispiel Finnland. In Finnland werden bereits häufig Tablets statt Bücher ausgeteilt. In Deutschland kann von Glück gesprochen werden, wenn das Schulgebäude überhaupt noch in staatlichem Besitz ist und nicht in einem ÖPP-Projekt privatisiert wurde. Das neue Bildungssystem sollte die Stärken jedes Individuums fördern. Dieses utopisch anmutende Ziel sollte als Vorgabe vorangehen: Ein Hand in Hand aller Fachrichtungen und Institutionen für alle. Denn jede:r kann etwas zu unserer Gesellschaft beitragen, solange sie eben gefördert werden. Die zukünftige Herausforderung ist also, allen die nötigen Mittel und Förderung, vor allem geistiger Natur, zu geben. Bildung bedeutet Rendite, nicht nur finanziell, sondern auch kulturell und gesellschaftlich, denn es werden auch Normen und Werte vermittelt. Jede:r sollte die bestmögliche Ausbildung bekommen, um einen bestmöglichen Staat zu entwickeln. Nicht die finanzielle Ausstattung der Eltern sollte entscheiden über Bildungschancen, sondern alle sollten die gleiche Chance auf Bildung bekommen. In Bayern ist man leider weit davon entfernt. Denn wenn bereits Mitglieder der regierenden Partei Nachhilfeinstitute betreiben, dann ist auf bayerisch „Hopfen und Malz“ verloren. Kein Problem mit sozialer Schieflage? Es gab seitens der SPD-Führung den Versuch, die Sozialdemokratie für die Wahlauseinandersetzung 2017 deutlich stärker in der Mitte zu positionieren. Unser ehemaliger Parteivorsitzender Sigmar Gabriel beschrieb Deutschlands aktuellen Zustand als „stark“, Deutschland sei „nicht mehr das Land der sozialen Schieflage.“ Zweifellos hat die SPD in der Großen Koalition von 2013 bis 2017 viele notwendige Projekte, die mehr sozialen Ausgleich schaffen, durchsetzen können: Wir haben den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, mit der Mütterrente die Kindererziehungsleistung für vor 1992 geborene Kinder gesetzlich deutlich bessergestellt, die Rente mit 63 durchgesetzt, welche für die aktuellen rentennahen Jahrgänge spürbare Verbesserungen bringt und eine Mietpreisbremse eingeführt. Auch die Verbesserungen unter der Großen Koalition von 2017 bis 2021 haben einige Verbesserungen mit sich gebracht: Das Durchsetzen der Grundrente gegen die CSU, die Einführung des Pflegestärkungsgesetzes und Kurzarbeiter:innengeld während der Pandemie. Und doch bleibt für die SPD noch eine Menge zu tun: Leiharbeit und Werkverträge, sowie die zunehmende Tarifflucht vieler Arbeitgeber:innen aus Tarifverträgen höhlen die gewohnte Ordnung auf dem Arbeitsmarkt immer weiter aus. Sind wir eigentlich bereit, zu akzeptieren, dass eine der größten und reichsten Volkswirtschaften dieser Welt sich durch eine immer stärkere Spreizung bei Einkommen und Vermögen auszeichnet, die Schere zwischen Arm und Reich also immer größer wird? Hat die Sozialdemokratie noch den Anspruch, korrigierend einzugreifen? Welches Maß an sozialstaatlicher Sicherung wollen wir uns künftig eigentlich noch leisten? Die Debatte darüber wird falsch geführt: Alle Parteien und Lobbyverbände reden darüber, was denn alles überhaupt noch bezahlbar ist und was nicht mehr finanziert werden kann. Wo aber ist der Politikentwurf, der definiert, welche Leistungen erbracht werden müssten, damit der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft gewährleistet bleibt und niemand in Armut, Verwahrlosung und Isolation rutscht? Wo ist der Politikentwurf, der Möglichkeiten aufzeigt, diese Leistungen zu finanzieren? Wer diese Fragen äußert, gerät schnell in den Verdacht, die „sozialistische Umverteilungsmaschinerie“ anwerfen zu wollen, deswegen scheut die SPD-Führung diese Auseinandersetzung mit den politischen Wettbewerbern und Wirtschaftsverbänden. Als Kevin Kühnert die Stärkung der Arbeitnehmer:innenschaft und die Stärkung des Betriebskapitals innerhalb der BMW AG thematisierte, wurden ihm seitens der Medien, der Betriebsrät:innen und auch Teilen der sozialdemokratischen Parteienfamilie fälschlicherweise die wildesten Verstaatlichungsfantasien unterstellt. Die Wahrheit aber ist: Die o.g. „Verteilungsmaschinerie“ läuft seit Jahrzehnten still und heimlich, nur eben in die andere Richtung, die Reichen werden reicher, die Armut nimmt zu. Wir Sozialdemokrat:innen sollten uns deswegen nicht scheuen, klar zu sagen, wie die Realität aussieht und wie wir die Dinge ändern wollen, wie dies u.a. Kevin Kühnert getan hat. Mögen andere uns als „Sozialromantiker:innen“ und „Utopist:innen“ betiteln (was sie meistens sowieso tun); wir sind es den Menschen schuldig, die in der Hoffnung auf Verbesserung ihrer sozialen Situation ihr Vertrauen in die SPD gesetzt haben. Leiharbeit, Werkverträge und Tarifflucht eindämmen Wir brauchen wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Seitdem die Arbeitnehmer:innenüberlassung gesetzlich dereguliert wurde, ist die Zahl der Beschäftigten in der Leiharbeit sprunghaft gestiegen – von 340.000 Personen im Jahr 2000 (vor der Deregulierung) bis auf etwa 1,08 Mio. im Jahr 2017. Die Politik hatte sich erhofft, wenn es für Unternehmen einfacher wird, Leiharbeitnehmer:innen einzustellen (und wieder zu entlassen), dann würden mehr Menschen als bisher über dieses Modell den Weg in eine dauerhafte sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung finden. Diese „Klebeeffekte“ sind jedoch nachweislich nicht eingetreten, stattdessen wurde schon bald offensichtlich, dass das Modell der Leiharbeit von vielen Unternehmen gezielt dazu missbraucht wurde, die (oft tarifgebundene) Stammbelegschaft zu reduzieren und unter Druck zu setzen. Die Drohung lautete unverhohlen, wer zu hohe Ansprüche und Lohnforderungen stellt, kann morgen schon ohne Job sein, denn es geht auch risikofreier und kostengünstiger. Einst dazu gedacht, den Unternehmen ein flexibles Instrument an die Hand zu geben, um Auftragsspitzen effizient und risikolos abzuarbeiten, wurde Leiharbeit schnell zu einem beliebten Lohndumpingmodell. Nachdem mittlerweile für die gesamte Leiharbeitsbranche Tarifverträge mit DGB-Gewerkschaften gelten, weichen viele Unternehmen zunehmend auf Werkverträge aus. Im Gegensatz zu früher ist das Neue an diesen Werkvertragskonstruktionen, dass Leistungen auf Dauer und nicht mehr nur gelegentlich eingekauft werden und dass es sich um Leistungen handelt, die eigentlich zum Kernbereich der unternehmenseigenen Produktion gehören. Die Fremdunternehmen erbringen diese Leistungen meistens direkt auf dem Betriebsgelände und an Arbeitsplätzen und Maschinen des beauftragenden Unternehmens. Oft kommt es dabei vor, dass Werkvertragsarbeitnehmer:innen direkt mit Stammbeschäftigten zusammenarbeiten und von diesen auch Anweisungen erhalten. Das ist aber eigentlich gar nicht zulässig, denn das Werk muss vertraglich exakt abgegrenzt werden und weisungsbefugt gegenüber den Arbeitnehmer:innen ist nur das ausführende Fremdunternehmen. Resultat: Was in Wahrheit oft eine illegale Arbeitnehmer:innenüberlassung ist, kommt getarnt als Werkvertrag daher. Die Folge ist, dass der Grundsatz „Equal Pay“ (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) für Werkvertragsarbeitnehmer:innen nicht gilt, sie keinen Anspruch auf branchenübliche Tariflöhne haben, ihre Interessen nicht vom Betriebsrat des beauftragenden Unternehmens gewahrt werden können und sie bei Arbeits- und Gesundheitsschutz fast immer deutlich schlechter gestellt sind als die Stammbelegschaft. Es sind diese Missstände, die uns empören müssen. Wenn Unternehmen immer neue Schlupflöcher suchen, um Lohn- und Arbeitsschutzstandards zu unterlaufen, dann ist die Politik gefordert, neue Leitplanken einzuziehen. Für die Leiharbeit fordern wir daher eine strikte gesetzliche Reglementierung, insbesondere was die Höchstüberlassungsdauer betrifft, sowie die Wiedereinführung des Befristungsverbotes, des Wiedereinstellungsverbotes und des Synchronisationsverbotes. Diese Verbote bestanden bis zur Deregulierung und stellten sicher, dass Zeitarbeitsfirmen ihre Beschäftigten nicht ohne sachlichen Grund zeitlich befristet und nur für die Dauer eines Verleihauftrages (Synchronisation) einstellen und danach wieder beliebig entlassen konnten. Für die erwähnte Praxis bei den Werkverträgen müssen ebenfalls gesetzliche Regelungen gefunden werden, die einerseits den Grundsatz des „Equal Pay“ ohne Schlupflöcher sicherstellen und andererseits die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz auch auf Werkvertragsarbeitnehmer:innen ausweiten. Bei allem Stolz auf die Tarifautonomie zwischen den Tarifvertragsparteien und bei aller Freude über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass die Tarifbindung in Deutschland in den letzten 20 Jahren von gut 60 Prozent auf nur noch 43 Prozent in 2020 zurückgegangen ist. Dies trifft vor allem auf Dienstleistungsbereiche und den Handel zu, aber auch im produzierenden Gewerbe ist ein Rückgang der Tarifbindung festzustellen. Ob ein Flächen- oder Branchentarif zur Anwendung kommt, entscheiden im Prinzip die Arbeitgeber:innen alleine durch ihren Beitritt zu oder eben Austritt aus einem tarifgebundenen Arbeitgeber:innenverband. Die zunehmende Tarifflucht deutscher Unternehmen trägt wesentlich dazu bei, dass die Löhne in Deutschland sich immer stärker auseinanderentwickeln, d.h. Tarifflucht trifft überwiegend Geringverdiener:innen. Die SPD muss deswegen mit den Tarifvertragsparteien, insbesondere aber mit den Gewerkschaften in einen Dialog darüber eintreten, inwiefern hier gesetzliche Regelungen für erforderlich gehalten werden. Braucht es eine leichtere Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen oder können Kollektivverträge nach österreichischem Vorbild von Nutzen sein? Erwerbszuwanderung fördern Die Frage, wer zukünftig unseren Wohlstand erarbeiten soll, haben wir uns angesichts der demografischen Entwicklung schon öfter gestellt. Aber waren wir Sozialdemokrat:innen bisher mutig genug, dazu klare Antworten zu geben? Und sind wir uns eigentlich der Dimensionen richtig bewusst? Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg hat in einer Studie 2011 untersucht, wie sich das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland unter verschiedenen Szenarien entwickelt. Das erste Szenario ohne Zuwanderung und bei gleichbleibenden Erwerbsquoten führt allein aufgrund des demografischen Ist-Zustandes dazu, dass sich das Erwerbspersonenpotenzial von rund 45 Mio. (Basis: 2008) schon bis im Jahr 2025 auf 38 Mio. und bis zum Jahr 2050 auf 27 Mio. Erwerbspersonen verringert. In einem zweiten Szenario wurde ebenfalls ohne Zuwanderung, dafür aber mit steigender Erwerbsquote gerechnet. Hierzu wurde angenommen, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen und von Älteren (z.B. aufgrund der „Rente mit 67“) steigt. Dabei ist zu beachten, dass dieses Steigerungspotenzial begrenzt ist. In dieser Berechnung sinkt das Erwerbspersonenpotenzial bis 2025 auf 40 Mio. und bis 2050 auf 29 Mio. Personen. Das dritte Szenario wurde mit steigender Erwerbsbeteiligung und einem Zuwanderungssaldo von jährlich +100.000 Personen gerechnet. Saldo bedeutet, die Zuwanderung erfolgt in dem Maße, dass alle Abgänge aus dem Arbeitsmarkt (z.B. in Rente) ausgeglichen werden und darüber hinaus noch 100.000 zusätzliche neue Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. In diesem Szenario sinkt das Erwerbspersonenpotenzial bis 2025 auf 41 Mio. und würde bis 2050 auf 33 Mio. Personen zurückgehen. Die Studie bietet noch weitere interessante Zahlen, sie zeigt aber ziemlich eindringlich: Die Demografie dominiert selbst bei unterstellter Erwerbszuwanderung noch ganz entscheidend die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials. Wenn Deutschland diesem Rückgang entgegenwirken und das Erwerbspersonenpotenzial in etwa auf heutigem Niveau halten möchte, braucht es jährlich eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen (netto, also nach Ausgleich aller Abgänge vom Arbeitsmarkt). Eine Sozialdemokratie, die nicht aus populistischen Beweggründen den Konservativen hinterherläuft, muss diese Tatsache anerkennen und sich für eine umfassende Reform des aktuell geltenden Zuwanderungsrechtes von 2005 einsetzen. Das bestehende Recht setzt hohe Zugangshürden für den deutschen Arbeitsmarkt und führt in der Praxis dazu, dass nur etwa 9 % der knapp 400.000 Zuzüge aus Drittstaaten im Jahr 2013 eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis zu Erwerbszwecken erhielten. Denkbar wäre zum einen die Einführung eines Punktesystems, das sich allerdings nur auf wenige Kriterien, wie z.B. Hochschul- oder Berufsabschluss, Vorlage eines Arbeitsvertrages und Sprachkenntnisse beschränkt. Zum anderen könnte das bestehende Recht weiterentwickelt werden. Hierbei ist es hauptsächlich erforderlich, die Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt auf ein Minimum zu reduzieren. Ohne weitere Anforderungen soll zuwandern dürfen, wer einen Arbeitsvertrag mit tariflicher Entlohnung vorweisen kann. So könnten Menschen, die eigentlich in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, regulär zuziehen und müssten nicht andere Kanäle wie das Asylrecht oder den Familienzuzug zur Zuwanderung nutzen. Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich korrigieren Deutschland gehört zu den reichsten Volkswirtschaften dieser Welt. Wir erwirtschaften mittlerweile jährlich ein Bruttoinlandsprodukt von rund drei Billionen Euro. Deutschland ist insbesondere beim Export Spitzenreiter. Diesen enormen Erfolg im Außenhandel haben wir uns in den letzten 20 Jahren allerdings teuer erkauft: Durch die Zunahme von atypischer Beschäftigung wie Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs und durch einen massiv gewachsenen Niedriglohnsektor. Mittlerweile arbeiten im Niedriglohnbereich – also für weniger als 11,05 € Stundenlohn – mehr als 8 Mio. Beschäftigte, das sind 21,1% aller Erwerbstätigen. Daran ändert auch der aktuelle Mindestlohn von 9,60€ nichts. Die 10,45€ zum 01.07.2022 werden diese Situation auch nicht entschärfen. Bei aller Euphorie darüber, dass es ihn endlich gibt, bleibt festzuhalten: Auch der Mindestlohn ist momentan ein Niedriglohn. Er hilft allerdings dabei, die Lohnspreizung innerhalb des Niedriglohnsektors deutlich zu begrenzen. Vor seiner Einführung haben insgesamt 7 Mio. Menschen unter 8,50 € je Stunde verdient. Schaut man sich die konkreten Zahlen an, wird es ziemlich dramatisch: Von diesen 7 Mio. erhielten 4 Mio. Beschäftigte einen Stundenlohn von unter 7 €, 2,5 Mio. Beschäftigte einen Stundenlohn von weniger als 6 € und immer noch 1,4 Mio. Menschen sogar weniger als 5 € je Arbeitsstunde. Wie soll man davon in Deutschland eine Existenzgrundlage schaffen? Davon kann niemand leben. Deswegen haben viele dieser Betroffenen längst einen Zweit- oder gar Drittjob oder benötigen eine Aufstockung durch die ARGE. Wie entwertet müssen sich Menschen fühlen, wenn man Vollzeit arbeitet und dann beim Amt um Geld betteln muss? Viele glauben, durch den Mindestlohn sei bei den Niedriglöhnen jetzt wieder alles in Ordnung. Natürlich ist es eine immense, vor allem prozentuale Verbesserung gegenüber vor 2015, aber Reichtümer kann man damit auch keine erwerben: Bei 40 Stunden Vollzeit ergeben sich 174 Monatsstunden und damit ein Bruttolohn von 1.670,40 €. In der Gesamtschau ist die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitnehmer:innenentgelte am gesamten Volkseinkommen, von 72 % im Jahr 2000 bis auf 63,5 % im Jahr 2007 gesunken und stieg nach der Finanz- und Wirtschaftskrise allmählich wieder bis auf aktuell 73,3 %. Zählt man Jahr für Jahr diese fiktiven Verluste bei den Arbeitnehmer:innenentgelten (durch das Absinken der Lohnquote) zusammen, ergibt sich allein im Zeitraum von 2003 bis 2012 auf der Arbeitnehmerseite ein Verteilungsverlust von einer Billion Euro. Während die Wirtschaft ein ums andere Jahr erfolgreicher ist und das BIP wächst, kommt davon bei den Arbeitnehmer:innen kaum etwas an. Erst in den vergangenen sechs bis sieben Jahren gab es wieder spürbare Reallohnzuwächse. Das Bittere an dieser Tatsache ist: Eine schwache Einkommensposition im Erwerbsleben führt fast zwangsläufig zu Armut im Alter. Die sofortige Einführung des Mindestlohns von 12 € durch den zukünftigen Kanzler Olaf Scholz ist nicht nur dringend erforderlich, sondern auch Grundlage für weitere Verbesserungen. Nach der Definition der OECD gelten bereits heute 16 % der deutschen Gesamtbevölkerung als arm und das Armutsrisiko steigt weiter. Wir halten dies für einen unglaublichen Skandal. Das kann und darf uns Sozialdemokrat:innen nicht einfach kaltlassen. Die Einschätzung unseres ehemaligen Parteichefs Sigmar Gabriel, wonach Deutschland nicht mehr „das Land der sozialen Schieflage“ sei, zeigt sich hier erneut als nichtzutreffend. Dies wird auch deutlich durch das Buch „Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance – Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss” von Jeremias Thiel. Eigentlich bedarf es keines weiteren Beweises mehr und doch gibt es die Zahlen „auf der anderen Seite“: Insgesamt halten die Deutschen rund 5 Billionen Euro an privatem Geldvermögen in ihren Händen – ein neuer Höchststand nach leichten Rückgängen während der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dazu kommen noch einmal gut 5 Billionen Euro an Immobilienvermögen; macht zusammen: 10 Billionen Euro privates Gesamtvermögen. Wem gehört das alles? Wer hat so viel Geld? Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2021) und Untersuchungen des DIW aus 2014 und der WSI aus 2020 belegen: Die oberen 10 % der Gesellschaft (also eine Gruppe von rund 8 Mio. Menschen) hält über zwei Drittel dieses Gesamtvermögens in ihren Händen. Den nachfolgenden vier Zehnteln der Bevölkerung gehören noch weitere 30 %. Damit gehört fast das gesamte vorhandene Vermögen der einen Hälfte der Bevölkerung, für die andere Hälfte verbleiben noch 1,6 % an diesem Gesamtvermögen, also 160 Mrd. Euro für 40 Millionen Einwohner:innen. Der Gini-Koeffizient stieg auf 34,4 Punkte in 2020. Diese Zahlen sind schwer zu begreifen, sie sind bedrückend – mehr noch: Sie sind absurd. Wenn man nun forderte, die Politik müsse mit steuerpolitischen Maßnahmen für mehr sozialen Ausgleich sorgen, einen kleinen Teil der hohen Vermögen abschöpfen, hohe Einkommen stärker besteuern, um mit Sozialtransfers die Einkommens- und Vermögensposition der unteren Einkommensschichten zu verbessern: Ist das dann eine Neiddebatte? Ist das Enteignung? Ist das eine „Bestrafung“ der sog. „Leistungsträger“? Haben die „Eliten“ sich diesen Reichtum nicht erarbeitet und steht er ihnen deswegen nicht rechtmäßig zu? Nun, wer würde sich nicht auch gerne sich ein so großes Vermögen erarbeiten? Zur Realität gehört auch dazu: Millionen von Menschen werden aufgrund ihrer sozialen Stellung wohl nie die Möglichkeit haben, das zu tun. Es ist falsch, anzunehmen, dass für jede:n die gleichen Chancen bestehen. Eine so extreme soziale Ungleichheit führt dazu, dass sowohl Reichtum als auch Armut sich in ihren jeweiligen sozialen Milieus reproduzieren. Wie kann unser Parteivorstand hier die Hände in den Schoß legen? Wie können Sozialdemokrat:innen, die die SPD stärker in der bürgerlichen Mitte verankern wollen, die Augen vor der Realität verschließen? Wenn die Sozialdemokratie den Anspruch aufgibt, diese Umverteilung von unten nach oben zu stoppen und nach Möglichkeit umzukehren, dann hat sie in der Tat ihre Existenzberechtigung verloren, dann wären Wahlprogramme mit sozialem Anstrich nichts weiter als schöne Schaufensterpolitik. Wir fordern ein, was nach dem Grundgesetz, das Deutschland als sozialen Bundesstaat definiert, legitim erscheint: die Wiedereinführung einer verfassungskonformen Vermögensbesteuerung, eine gerechte Besteuerung von Erbschaften (beides mit durchaus großzügigen Freibeträgen), die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, damit auch Umsätze an den Börsen – analog zur Mehrwertsteuer im Handel – besteuert werden, eine deutliche Anhebung des Spitzensteuersatzes, weil starke Schultern mehr Lasten tragen können. Wir fordern ebenso die Anhebung der Steuersätze für Unternehmens- und Gewinnsteuern. Alle Gewinnsteuern zusammen (z.B. die Gewerbesteuer, die Kapitalertrags- und Zinssteuer, die Körperschaftssteuer und die veranlagte Einkommensteuer der Selbständigen) machen insgesamt nur noch 23 % des Gesamtsteueraufkommens des Bundes und der Länder aus. Im Vergleich dazu liegt der Anteil der Lohnsteuer bei 25 % und der Anteil der Mehrwertsteuer bei 32 %. Diese Verteilung zu verändern, bedeutet nicht das Ende des Kapitalismus, aber es bedeutet ein großes Stück mehr Steuergerechtigkeit. Hier gilt es, mit der FDP hart zu verhandeln und eigene Überzeugungen, insbesondere nicht für zugestandene Posten und aufgebaute Drohkulissen der liberalen Kräfte über Bord zu werfen. Den Sozialstaat stärken Die sozialstaatlichen Sicherungssysteme in Deutschland sind eine Errungenschaft, um die uns viele in der Welt beneiden. Beitragsfinanzierte Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung sichern individuelle Lebensrisiken ab und verteilen Lasten solidarisch auf die Gemeinschaft. Die neoliberale Politik der „Lohnnebenkostensenkung“ und die demografische Entwicklung hatten jedoch in der Vergangenheit zur Folge, dass Leistungen teilweise stark eingeschränkt wurden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Sozialdemokrat:innen müssen sich dafür einsetzen, das Leistungsspektrum nicht weiter einzugrenzen, sondern die Einnahmebasis unserer Versicherungssysteme zu stärken. Die SPD muss den Gesundheitsfonds endlich zu einer solidarischen Bürger:innenversicherung umbauen, in die alle Beschäftigten einzahlen. In der Konsequenz heißt das, die Zwei-Klassen-Medizin zu beenden und die private Krankenversicherung abzuschaffen. Der Fonds ist ungerecht, er deckelt die Beiträge der Arbeitgeber:innen und bürdet Kostensteigerungen im Gesundheitswesen einseitig den Versicherten auf. Die Auswirkungen zeigen sich jetzt sehr deutlich: immer mehr Krankenkassen verlangen von ihren Versicherten nun Zusatzbeiträge. In der Rentenversicherung wird die weitere Absenkung des Rentenniveaus von derzeit 48% auf die geplanten 43% im Jahr 2030 dazu führen, dass selbst Durchschnittsverdiener:innen (rd. 2.900€ Monatsbrutto) künftig nach 35 Jahren Arbeit nur noch eine Nettorente von rund 800€ monatlich erhalten. Die Einführung der Grundrente hat diese eklatante Schieflage glücklicherweise abgemildert. Das ist für uns Sozialdemokrat:innen eine völlig untragbare Entwicklung. Die öffentliche Debatte suggeriert, dies sei aufgrund der Demografie nicht zu verhindern. Die Wahrheit ist: die Absenkung des Rentenniveaus wurde von Rot-Grün politisch beschlossen, um auch hier den Arbeitgeber:innen Lohnnebenkosten einzusparen. Der Verteilungskampf tobt längst auch innerhalb der Sozialversicherungen und die SPD-Regierung hat diesen Kampf leider noch befeuert. Mit Armutsrenten dürfen wir uns nicht abfinden. Renten sind auch keine Almosen für das Alter, sie sind ein Äquivalent für die Lebens- und Arbeitsleistung während des Erwerbslebens. Wir müssen innerhalb der SPD mit aller Entschlossenheit dafür streiten, dass wieder Lebensstandard sichernde Renten gezahlt werden. Das setzt zwingend voraus, dass das Rentenniveau nicht weiter abgesenkt, sondern wieder angehoben und in einem Bereich zwischen 51 und 55 % stabilisiert wird. Das Versprechen Olaf Scholz’, den Status Quo zu halten, ist einerseits dringend erforderlich, andererseits eben nicht ausreichend. Neben einer starken Erwerbszuwanderung, die auch aus anderen Gründen erforderlich ist, wird dieses Ziel nur durch steigende Beitragssätze erreicht werden können. Der DGB schlägt steigende Beitragssätze bis zu 23 % vor, eine Größenordnung, die wir für nachvollziehbar und gut begründet halten. Wir fordern zudem eine Rentenberechnung nach Mindestentgeltpunkten. Dabei werden Zeiten von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung (Niedriglohnphasen oder Minijobs) – für die naturgemäß nur geringe Rentenbeiträge entrichtet werden – über Zuschüsse aus dem Steuertopf so aufgestockt, dass festgelegte Mindestentgeltpunkte für ein Jahr Beitragszahlung erreicht werden. Wir wollen damit den Automatismus durchbrechen, dass sich eine zeitweilig schwache Einkommensposition im Erwerbsleben extrem nachteilig bei der späteren Rentenhöhe auswirkt. Wir wissen: Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind längst nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber sie sind Vorschläge, die wir innerhalb der SPD wieder mehrheitsfähig machen müssen, wenn wir mehr soziale Gerechtigkeit schaffen wollen. Soziale Gerechtigkeit bedeutet auch Sicherheit – die Sicherheit, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen; die Sicherheit, im Falle der Bedürftigkeit nie ins Bodenlose zu fallen, sondern auf die starke Hilfe der Solidargemeinschaft vertrauen zu können.

    Solidarität

    Die Zukunft der Energie Damit sich ein solidarisches Gesellschaftsmodell in der Praxis bewährt, muss auch die Energiepolitik im Geiste der Solidarität, der Nachhaltigkeit und des Fortschritts vollzogen werden. Doch die Debatte um eine nachhaltige Energieerzeugung ist nach wie vor gefangen im Weltbild einer Energieversorgung, die von fossilen Energiequellen und der gefährlichen Atomenergie geprägt ist. Noch im späten 20. Jahrhundert stießen die Befürworter:innen einer Energiewende oder gar die wenigen Wegbereiter:innen eines Solarzeitalters, in dem weder Atomenergie noch fossile Energien gebraucht werden, auf tiefsitzende Barrieren. Vieles davon scheint gerade heute aufgrund des klaren Kampfes für eine solidarische Umweltpolitik auf der Straße und den aktuellen Koalitionsverhandler:innen von SPD, FDP und Grüne schrittweise überwunden, jedoch aktuell noch mehr in Worten als in Taten. Zwar investieren Energiekonzerne inzwischen zunehmend in erneuerbare Energien, jedoch setzen die Monopolisten in erster Linie immer noch auf konventionelle Energien, möglichst bis der letzte Tropfen Öl, die letzte Tonne Uran oder die letzte Tonne Kohle verbraucht ist, weil sich Wind und Sonnenwärme naturgemäß nicht als Ressourcen verkaufen lassen können. Die ultimative Herausforderung Tatsächlich hängt der Planet Erde heute völlig von fossilen Brennstoffen ab: Ein Drittel der weltweiten Leistung stammt aus Öl, ein Viertel aus Kohle, ein Fünftel aus Gas. Nur etwa ein armseliges Prozent aus solarer Energie und anderen erneuerbaren Energien. Ohne fossile Energiequellen würde die Weltwirtschaft knirschend zum Stillstand kommen. Hier offenbart sich das eigentliche Dilemma: Zum einen hat die Ingenieurswissenschaft bereits Mitte des Jahrhunderts klar vorhergesehen, dass die Ölreserven irgendwann zur Neige gehen, zum anderen schwimmen viele Golfstaaten noch heute auf nachgewiesenen Ölreserven, praktisch auf einem riesigen unterirdischen See aus Rohöl. Doch hinter der Beruhigungsrhetorik über weltweit nachgewiesene Reserven, die uns definitiv und überzeugend versichern sollen, dass Ölreserven noch viele Jahrzehnte reichen, schimmert die Erkenntnis durch, dass so manche Reserven oft einem wirtschaftspolitischen Druck entspringen. So verfügt beispielsweise Kanada über riesige Teersandvorkommen, die genug Öl enthalten, um die Erde für Jahrzehnte mit Öl zu versorgen, doch lässt sich dieses nicht kostengünstig extrahieren und raffinieren. Die Periode des unumkehrbaren Niedergangs eröffneten die Vereinigten Staaten. Um 1970 erreichte die amerikanische Ölproduktion einen Spitzenwert und sank dann ab, um sich nie wieder zu erholen. Heute importieren die Vereinigten Staaten mehr als die Hälfte ihres Ölbedarfs. Auch über die Bundesrepublik brach die Krise herein. Der Ursprung des dortigen Schocks lag in der Erhöhung des Ölpreises. Zum Symbol dieser neuen Schockerfahrungen wurden schließlich autofreie Sonntage, sogar Fußballspiele unter Flutlicht waren untersagt worden. Die vor allem sozialdemokratisch genährte Erwartung von Wohlstand und Sicherheit wirkte auf einmal fragil. Immerhin: Inzwischen wird von vielen Seiten anerkannt, dass die Zukunft in einer erneuerbaren Energieversorgung liegen muss. Die Diskussion rankt sich bis weit in die Sozialdemokratie hinein um die Frage, wie groß der Zeitbedarf für einen vollständigen Wechsel zu erneuerbaren Energien ist. Nach unserer Überzeugung kann dieser Wechsel deutlich schneller als bis beispielsweise 2038 realisiert werden, wenn wir alle dafür notwendigen Kräfte mobilisieren. Natürlich werden Rohstoffe vorerst nicht ausgehen, da ständig neue Vorkommen entdeckt werden, doch die Kosten für die Gewinnung werden nicht mehr leicht zu schultern sein. Auf lange Sicht wird der Durchschnittspreis des Öls weiterhin steigen. Das hat profunde Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, weil der rasche Aufstieg der modernen Zivilisationen vor allem von billigem Öl gespeist wurde. Der Energiemix Die Nachfolgebranchen, die den größten Erfolg versprechen, sind die Solarenergie und alle Formen der Energieerzeugung, die auf erneuerbaren Technologien wie Solarenergie, Windkraft, Wasserkraft oder Wasserstoff basieren. Noch betragen die Kosten von Solarstrom ein Vielfaches der aus Kohle produzierten Elektrizität. Doch die Kosten der Solarenergie sinken aufgrund technischer Fortschritte ständig weiter, während die Kosten für fossile Brennstoffe kontinuierlich ansteigen. Die beiden Kurven können sich bereits in zehn Jahren schneiden. Für den Rest werden die noch geltenden Marktmechanismen sorgen. Die erneuerbare Windenergie ist kurzfristig ein großer Gewinner. Sie gehört zu den am schnellsten wachsenden Sektoren auf dem Energiemarkt. Der langjährige Vorreiter Europa ist auf diesem Gebiet jedoch inzwischen von den Vereinigten Staaten überholt worden, weil der Bundesstaat Texas in naher Zukunft mehr als genug elektrische Leistung aus Windkraft gewinnt, um seine 24 Millionen Menschen zu versorgen. In absehbarer Zukunft wird schließlich die Volksrepublik China die Vereinigten Staaten bei der Windkraft überholen. Damit wird die Windkraft ein integraler Teil eine größeren Energiemixes sein. Auch die auf das Sonnenlicht bezogene Energiegewinnung wird schon seit langem erforscht, denn letztendlich stammt jede Energie von der Sonne. Ein in dieser Hinsicht nützlicher Prozess wurde bereits 1905 von Albert Einstein erklärt. Solarzellen funktionieren, indem sie Sonnenlicht direkt in elektrische Energie umwandeln. Da anfängliche Solarzellen nicht sehr effizient waren, muss die Forschung in zwei Richtungen schlagen: Einerseits den Wirkungsgrad von Solarzellen erhöhen, andererseits die Kosten für die Herstellung, Installation und Konstruktion von Solaranlagen verringern. Insbesondere in den Städten haben wir die einzigartige Chance, die Kosten der Solarenergie zu senken, indem man Gebäude mit Solarzellen deckt. Der unschlagbare Vorteil liegt darin, dass die Transportverluste von einer zentralen Energiestation zu den Verbraucher:innen entfallen. Gerade aufgrund immer wiederkehrender Ölpreisschwankungen müssen wir den Bemühungen Nachdruck verleihen, diese Technologie zu forcieren. Die weltweite Photovoltaikproduktion verdoppelt sich alle zwei Jahre. Hier müssen wir weitere Rekorde brechen, damit die Solarenergie dauerhaft eine ernsthafte Konkurrentin zu Kraftwerken bleibt, die auf fossilen Brennstoffen beruhen. Der beunruhigende Zustand Die letzte Antwort der Umwelt an eine auf fossilen Brennstoffen basierenden Weltwirtschaft ist schließlich für alle deutlich geworden: Die Klimaerwärmung. Es ist inzwischen unbestreitbar, dass sich die Welt aufheizt. Die Zeichen sind unmissverständlich, weil die Dicke des arktischen Eises binnen eines halben Jahrhunderts um die Hälfte zurückgegangen ist und das grönländische Eisschild ebenfalls schrumpft. Unter den veränderten Meeres- und Windströmungen im globalen Maßstab leiden ausgerechnet die ärmsten Zivilisationen der Erde. Allen voran Bangladesch, ein Land, das gleichzeitig eine der höchsten Bevölkerungsdichten aufweist und sich heute noch auf Meeresspiegelniveau befindet. Fast jedes Jahr kommt es dort zu Naturkatastrophen und wenn der Meeresspiegel nur um knapp einen Meter steigt, wird die Hälfte des Landes dauerhaft überflutet sein. Ein anderes Land, das ebenso verwüstet werden könnte, ist Vietnam, wo das Mekong-Delta besonders verwundbar ist. Eine Region, in der die Hälfte der Reisernte des Landes produziert wird. Sogar der Weltbank zufolge würden dadurch über elf Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und zur Flucht gezwungen. Die Zukunft der Mobilität Menschen haben ein Recht auf Mobilität. Da die Hälfte des weltweit geförderten Öls von Autos, Lastwägen, Flugzeugen und Zügen verbraucht wird, müssen wir auch diesen ökonomischen Sektor reformieren. Es beginnt ein Wettlauf, welche Volkswirtschaft den Automobilmarkt nach dem historischen Übergang von fossilen Brennstoffen zu Elektrizität beherrschen wird. Das erste Stadium stellt das Hybridauto dar, welches mit einer Kombination aus Elektrizität und Benzin betrieben wird. Dies kann jedoch nur der erste Schritt sein. Als nächster wichtiger Schritt müssen wir ein Plug-in-Hybridauto produzieren, noch werden sie auf den ersten achtzig Kilometern elektrisch betrieben, bevor dann aber auf einen Benzinmotor umgestellt wird. Das Ziel unseres technischen Fortschritts ist schließlich ein Fahrzeug, das gar keinen Benzinmotor hat. Hierfür sind Investitionen in Forschung und Produktionsstätten zu tätigen, die ausschließlich mit nicht-fossilen Antriebstechnologien Fahrzeuge in Serie herstellen und auf lange Sicht die Vorstellung widerlegen, dass andere Antriebstechniken gegenüber Benzin- und Dieselmotoren keine Chance haben. Die Revolution Ein höherer Anteil an Investitionen in Bildung und Forschung ist nicht zuletzt unerlässlich, um aus dem Elektrozeitalter hinweg die Tür zum Zeitalter des Magnetismus zu öffnen und zuverlässige, sichere Umsetzungsmöglichkeiten im Verkehr entwickeln zu können. Auch in der Energieerzeugung eröffnen sich durch den technologischen Fortschritt neue Türen: So könnte beispielsweise eine Vielzahl von Satelliten im Weltraum die Sonnenstrahlung auffangen und diese Energie in Form von Mikrowellenstrahlung zur Erde transportieren. Die Situation ist ernst, der drohende Kollaps ist offensichtlich, doch wir haben den Punkt, an dem keine Umkehr mehr möglich ist, noch nicht erreicht. Damit ist die Energiewende keine untragbare Belastung, sondern eine umfassende neue wirtschaftliche Chance für die Industrieländer und die große Chance für die Entwicklungsländer.

    Entwicklungspolitik

    Fairer Handel intraindustrieller vs. interindustrieller Handel Mit fairem Handel verbindet eine Vielzahl an Menschen überwiegend den Export von Fair-Trade-Erzeugnissen wie Kaffee, Kakao, Baumwolle und Reis aus afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Ländern nach Europa. Es ist den Menschen ein Anliegen, dass die „kleinen“ Landwirt:innen und Plantagenarbeiter:innen eine gerechte Entlohnung erhalten, nicht von Eigentümer:innen ausgebeutet werden, dass auf Kinderarbeit und den Einsatz von schädlichen Chemikalien verzichtet wird. Allerdings stellt es leider in unserer Gesellschaft keinen Widerspruch dar, in Klamotten, die unter widrigen Bedingungen in Bangladesch produziert wurden, einen Fair-Trade-Kaffee zu genießen und sich daran zu erfreuen, „etwas Gutes getan zu haben“. Besonders die reichen Länder innerhalb der Europäischen Union können den unersättlichen Bedarf an Gütern aus Asien, Afrika und Lateinamerika nicht einbremsen. Aus diesem Grund wurden zahlreiche Handelsabkommen unterzeichnet. Das Freihandelsabkommen EPA zwischen der EU und den Ländern der Ostafrikanischen Gemeinschaft hat dafür gesorgt, dass es in den afrikanischen Ländern einem deutlichen Rückgang des Binnenangebots gekommen ist. Die Abhängigkeit zu den europäischen Ländern nimmt zu und die Versorgung innerhalb des eigenen Landes mit inländischen Erzeugnissen gerät in eine gefährliche Schieflage. Während dieser Missstand auf dem afrikanischen Kontinent von den europäischen Verbraucher:innen widerstandslos hingenommen wird, lässt sich erkennen, dass innerhalb Europas unter den Menschen ein breiter Widerspruch zu den Freihandelsabkommen TTIP (zwischen EU und USA) und CETA (zwischen EU und Kanada) aufgebaut wurde. Bei diesen explizit intraindustriellen Handelsabkommen sollte es vor ein paar Jahren zwei Handelspartnern auf Augenhöhe ermöglicht werden, in Zukunft einen noch freieren Handel zu erlangen und somit nachhaltig die Produktivität beider Vertragspartner nachhaltig zu steigern. Richtigerweise erkannten die TTIP- und CETA-Kritiker:innen, dass seitens der Länder der Europäischen Union einige gravierende Nachteile eintreten würden. Die europäische und besonders die deutsche Sozialdemokratie nahmen und nehmen bis heute die Bedenken der Menschen nicht ernst und fahren einen eindeutigen „ja, aber-Kurs“ in der Freihandelspolitik, der die Sozialdemokratie unglaubwürdig erscheinen lässt. Die europäische Sozialdemokratie ist hier immer noch in den Zwängen des Neoliberalismus, den Tony Blair und Gerhard Schröder mit dem „dritten Weg“ eingeschlagen haben, gefangen. Klare Haltung einer Sozialdemokratie müsste hier eigentlich sein, dass sie ein Wirtschaftswachstum um jeden Preis kategorisch ablehnt und somit Freihandelsabkommen beendet. Eine glaubhafte Handelspolitik betreibt die Sozialdemokratie erst dann, wenn nicht um jeden Preis Abkommen unterzeichnet werden, die eindeutig zum Wirtschaftswachstum beitragen sollen, welche auf dem Rücken anderer ausgetragen wird. Solange auch die Sozialdemokratie nicht klar die Position vertritt, dass die Wirtschaft für den Menschen dienlich sein soll und nicht der Mensch für die Wirtschaft, wird es sehr schwierig werden, zukünftig einen globalen fairen Handel betreiben zu können.

    Entwicklungshilfepolitik

    Unter den konservativen und liberalen Entwicklungshilfeminister:innen ist die deutsche Entwicklungspolitik zu einem jämmerlichen und gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes ohnmächtigen Ressort verkommen. Die größten Feind:innen der Entwicklungshilfe sind neben Naturkatastrophen die Vielzahl an Kriegen, Bürger:innenkriegen und Unruhen, die instabilen Regierungssysteme, sowie der nicht mehr einzudämmende Kapitalismus. Die Sozialdemokratie muss folgende Grundsteine für eine gelingende Entwicklungspolitik legen: Eine noch wirkungsvollere Unterstützung bei humanitären Katastrophen und das Eindämmen des Kapitalismus. Denn nur so kann eine konsequente Friedenspolitik verfolgt und der Abbau von Ungleichheiten weltweit in Angriff genommen werden. Im Jahr 2015 wurden die globalen Ziele des UN-Millennium-Gipfels entsprechend ihrer Zielvorgabe gemessen. Hauptziel bei den Vertragsunterzeichnungen war es, dass die weltweite extreme Armut halbiert werden sollte. Ein Ziel, das leider krachend verfehlt wurde. Zwar haben sich besonders die lateinamerikanischen Länder in den vergangenen 30 Jahren überwiegend positiv entwickelt, in einigen afrikanischen Ländern hat die geleistete Entwicklungshilfe allerdings kaum Früchte getragen. Nun hat man diese Millenniumsziele einfach auf das Jahr 2030 verschoben. Hier muss sich die europäische und besonders die deutsche Sozialdemokratie fragen, weshalb Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe nur ein Nebenschauplatz ihrer aktuellen politischen Ausrichtung darstellt. Bei der Beseitigung der extremen Armut und des Hungers konnten die Ziele nicht annähernd erreicht werden. Bei der Verwirklichung der allgemeinen Schulbildung ist weiterhin noch sehr viel Aufbauarbeit zu leisten und bei der Kindersterblichkeit sind die entwicklungspolitischen Ziele noch bei weitem nicht erreicht worden. Die medizinische und pharmazeutische Versorgung ist wegen der zunehmenden Kapitalisierung des Gesundheitswesens zu einer beinahe nicht bezwingbaren Aufgabe geworden. Die Sozialdemokratie darf nicht weiterzusehen, sondern muss die Stricke wieder selbst in die Hand nehmen und die Entwicklungspolitik auch im eigenen Regierungshandeln wieder übernehmen. Im Zentrum der sozialdemokratischen Entwicklungspolitik muss dabei besonders die Armutsbekämpfung stehen. Eine nachhaltige Entwicklungshilfe ist dann gewährleistet, wenn nicht nur die Sicherheit innerhalb eines Landes garantiert ist, sondern auch die notwendigen Strukturen aufgebaut und betrieben werden. Den Aufbau einer Infrastruktur, das Ankurbeln der Wirtschaft, die Errichtung eines Bildungswesens sowie das Herstellen zu lebensnotwendigen Ressourcen, wie Wasser und Lebensmitteln und Gesundheitsversorgung müssen im Fokus der sozialdemokratischen Entwicklungspolitik stehen. Die globale Verantwortung Deutschlands stellt besonders die Sozialdemokratie vor große Herausforderungen. Statt sich für wirklichen Frieden und Sicherheit auf der Welt eingesetzt zu haben, hat die deutsche Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten und Jahren dafür gesorgt, dass sich viele Konflikte weiter verschärft haben. Durch das Aussenden von Truppen der Bundeswehr in das Ausland wurde weder die Welt friedlicher noch Deutschland sicherer. Dass zudem die Aufrüstung anderer Länder durch deutsche Rüstungsexporte weiter gefördert werden, ist den Spitzen der SPD in Regierungsverantwortung völlig egal. Ganz zu schweigen von der Schwächung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen. Aus unserer Sicht muss damit Schluss sein, militärische Großvorhaben, Kriegseinsätze und Aufrüstung zu fördern und zu initiieren. Für eine starke Sozialdemokratie muss bzw. sollte es gelten, dass Außenpolitik auf jeden Fall Friedenspolitik ist. Von Beginn an bezeichnete sich die SPD als eine Friedenspartei. Aber eine Partei, die Kriege unterstützt, statt auf zivile Konfliktlösung zu bauen, ist keine Friedenspartei. Ein dauerhafter Frieden kann nur möglich sein, wenn die Hauptfaktoren Hunger, Armut und der Mangel von Ressourcen beseitigt werden. Es bedarf einer SPD, die für wirtschaftliche, politische und soziale Gerechtigkeit auf weltweiter Ebene kämpft. Zudem müssen die internationalen Institutionen, wie die OSZE und die Vereinten Nationen demokratisiert und gestärkt werden. Denn globale Probleme müssen – und können auch nur – global gelöst werden. Die Sozialdemokratische Partei in Deutschland muss sich ganz klar in ihrer Programmatik reformieren: Der Rüstungsexport, bei dem Deutschland am schrecklichen Tod vieler Menschen verdient, muss von der Sozialdemokratie strikt abgelehnt und verboten werden. Die SPD muss sich darüber hinaus für eine weltweite radikale Abrüstung einsetzen. Ihre Außenpolitik muss zurückfinden zu Völkerrecht und ziviler Konfliktlösung. Eine Ablehnung von Auslandskriegseinsätzen ist daher unausweichlich, denn Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Die NATO, die längst kein Verteidigungsbündnis, sondern vielmehr ein Angriffsbündnis darstellt, muss mit Unterstützung der Sozialdemokratie reformiert und mittel- bis langfristig aufgelöst werden. Es bedarf nämlich einer Konzentration auf die zivile Sicherheit weltweit, die nur mit allen Ländern der Erde verwirklicht werden kann und gerade ein militärisches Bündnis wie die NATO in ihrer jetzigen Form kann nicht diesem Interesse entsprechen. Innerhalb der Europäischen Union müssen wir außerdem weg von nationalen Heeren hin zu einer supranationalen Verteidigungspolitik. Alle diese Punkte sind Grundsätze für eine verantwortungsvolle, humane Außen-, Verteidigungs- und Friedenspolitik, die nur von der SPD durchgesetzt werden kann. Die Folgen von weltweiten Krisen und Konflikten müssen folglich auch von einer solidarischen Sozialdemokratie so gut wie möglich behoben werden. So ist es unabdingbar, Menschen, die aufgrund von Elend und Not aus ihrer Heimat fliehen müssen, zu helfen und ihnen bei uns in Deutschland eine Perspektive zu bieten. Auch in dieser Hinsicht versagt die Sozialdemokratie. Nicht nur, dass die Hilfe und Erstversorgung nur auf der Basis von Ehrenamt und Spenden möglich sind. Man hat auch zugelassen, dass eine rückwärtsgewandte und unsolidarische Sichtweise, in der Menschen in verschiedene Wertekategorien gepresst werden, den öffentlichen Diskurs bestimmt: „Gute Asylsuchende“ auf der einen Seite, böse „Wirtschaftsflüchtlinge“ auf der anderen Seite. Helfen können wir aber nicht allen, denn wir sind ja nicht das „Sozialamt für die Welt“.“ So einfach erklärt ist die aktuelle Lage in der Geflüchteten- und Asyldebatte aus der Sicht der konservativen Kräfte in unserem Land. Argumente, die keine Argumente mehr sind, sondern Vorurteile und so konservativ, dass man sie schon als nationalistisch bezeichnen kann. Die Sozialdemokratie und all ihre Unterstützer:innen müssen darum kämpfen, in diesen schwierigen Tagen die Oberhand in der täglichen Debatte wiederzuerlangen. Leider wirkte (und wirkt bis heute) die Bundesregierung und so auch die Sozialdemokratie, hilflos und ohnmächtig bei der Unterstützung der unzähligen hilfesuchenden Menschen in Europa und in Deutschland. Es ist an der Zeit, dass sich die Sozialdemokratie dem vorherrschenden Populismus konservativer Kräfte losreißt und mit der neuen Regierung eine neue Epoche der Asyl- und Geflüchtetenpolitik einleitet. Das Asylrecht, wie es das Grundgesetz vorsieht, muss wiederhergestellt werden. Es geht hier auch um die Menschenwürde. Ein menschenwürdiger Umgang mit Geflüchteten würde bedeuten, sie sicher und geschützt unterzubringen, die ihnen zustehende finanzielle Unterstützung bar auszubezahlen und ihnen zu erlauben, in Deutschland zu arbeiten, um Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung zu stärken. Den fliehenden Menschen ist es nicht länger zumutbar, illegal nach Europa einzureisen, wenn sie ihr Recht auf Asyl wahren wollen. Geflüchtete aus den anderen Kontinenten müssen sicher nach Europa fliehen können und nicht in die Hände von kriminellen Schlepper:innenbanden getrieben werden. Denn so wird Flucht tödlich. Es ist ein Skandal, wie sich Länder innerhalb der Europäischen Union abschotten, Grenzzäune errichten und das „illegale Eindringen“ unter drakonische Strafen stellen. In diesem Zusammenhang fordern wir auch die Auflösung der nicht demokratisch legitimierten Schattenexekutive Frontex. Die Europäische Union soll eine Solidargemeinschaft nicht nur innerhalb Europas, sondern auf der ganzen Welt darstellen. Langfristig wollen wir Sozialdemokrat:innen eine Gesellschaft ohne Grenzen erreichen. Menschen sollen dort leben und arbeiten, wo sie sich wohlfühlen und wo sie eine wirkliche Zukunftsperspektive sehen. Es ist nicht zu ertragen, wie von der Union diese Grundrechte mit Füßen getreten werden. Wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert und kriminalisiert werden und ihnen so das Recht auf ein gerechtes Asylverfahren versagt wird, muss die Sozialdemokratie einschreiten. Sie muss in der Öffentlichkeit klarstellen, dass diese Menschen nicht aus Bequemlichkeit flüchten. Sie sehen in ihrem Land keinerlei Zukunftsperspektive. Eine hohe Arbeitslosigkeit, eine miserable Bildungslandschaft, eine schlechte Gesundheitsversorgung und Perspektivlosigkeit zwingen die Menschen dazu, dort hinzugehen, wo sie sich sicher und unterstützt fühlen. Doch die Zustände in diesen Ländern sind oftmals ein Produkt der deutschen bzw. europäischen Wirtschafts-, Außen- und Entwicklungspolitik. Solange die Sozialdemokratie nicht erkennt, dass die eigentlichen Wirtschaftsflüchtlinge die Steuerflüchtlinge sind, die in ihrer Gier den Staaten und allen Bürger:innen und Bürgern einen immensen Schaden zufügen, indem sie ihr Vermögen vor dem Fiskus verstecken. So lange wird sie ihrer Verantwortung innerhalb der Europäischen Union in keiner Weise gerecht werden. Die Sozialdemokratie muss ehrlich zu sich selbst sein und sich eingestehen, dass der Balkankrieg auch in der Verantwortung Deutschlands geführt wurde. Verantwortung bedeutet an der Stelle auch den Menschen eine Perspektive zu geben. Anstatt den Kosovo auf die Liste der sicheren Herkunftsländer zu setzen, muss alles dafür getan werden, dass die Menschen aus diesen europäischen Regionen keinen Grund mehr haben, nach Deutschland auszuwandern. Dies gelingt aber nur, wenn die EU und Deutschland bereit sind, eine nachhaltige Entwicklungshilfe in den Balkanstaaten zu leisten. Die Sozialdemokratie ist kurzfristig gefordert, den Asylsuchenden Menschen humanitäre Hilfe uneingeschränkt zukommen zu lassen. Langfristig kann eine Asyl- und Geflüchtetenpolitik nur dann erfolgreich gestaltet werden, wenn Deutschland aufhört, sich an Kriegen zu beteiligen, Waffen zu liefern und tatenlos zuzusehen, wie Geflüchtete auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben kommen. Durch die Hetze der Konservativen gepaart mit dem politischen Unwillen, etwas gegen die Überforderung der einzelnen Kommunen bei der Aufnahme und Versorgung zu tun, kristallisiert sich ein weiteres Problem unserer Gesellschaft heraus: In Deutschland greifen zunehmend Menschenhass, Rassismus und Nationalismus um sich. Die verschiedenen Sicherheitsorgane sind nicht einmal im Ansatz um die Bekämpfung rechtsradikaler Kriminalität und die Aufklärung rechter Gewalttaten bemüht. Der Fall NSU enthüllt vielmehr: deutsche Behörden unterstützen rechten Terror mit Geld, Waffen und Personal. Es gibt nur einige wenige Teile der Zivilgesellschaft, die sich entschlossen gegen die Verbreitung des menschenverachtenden Gedankenguts stellen. Dafür müssen sie sich auch noch rechtfertigen und werden oftmals von eben jenen Behörden als unerwünschte Störsignale in der deutschen Gemütlichkeit gegängelt. Die Sozialdemokratie hat es verpasst, eine eindeutige Position gegen Rassismus zu beziehen und ist in den letzten Jahren oftmals unfähig gewesen, sich mit anderen zu verbünden, um den Kampf aufzunehmen. Erst mit der neuen Parteispitze um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat sich das zunehmend verändert und die SPD wird wieder als relevante, verbündete Kraft im Kampf gegen Rechts gesehen. Nichtsdestotrotz steht noch viel Arbeit vor uns, denn es ist auch klar: Es hat sich zum eigenen Machterhalt bei einigen Genoss:innen bewährt, links zu blinken und rechts abzubiegen. Aber wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der ein brauner Mob auf den Straßen ungestört randalieren, seine Ablehnung gegenüber Menschenrechten und Grundgesetz heraus grölen und Geflüchtetenunterkünfte anzünden kann und es sich Szenen wie in Hanau und Halle wiederholt abspielen können? Ist es nicht Aufgabe jedes und jeder einzelnen Sozialdemokrat:in aufzustehen, sich in den Weg zu stellen und der Fratze des Nationalismus Einhalt zu gebieten? Doch die SPD übte sich lange in Zurückhaltung und macht noch immer viel zu wenig. Dabei ist Antifaschismus einer der gemeinsamen Grundwerte der Sozialistischen Internationalen, die leider ihre Bedeutung und Einfluss verloren hat. Auch weil große Verbände, wie die SPD, scheinbar kein Interesse mehr an der Idee von internationaler Solidarität haben. Eine folgenschwere Entscheidung, wie sie nur eine Generation von Friedenskindern treffen kann. Wir erachten den Frieden heutzutage als unveränderbare Konstante in unserem Leben und glauben, nichts mehr dazu tun zu müssen, um ihn zu bewahren. Doch im globalen Kontext sind wir die Insel der Glückseligen, verblendet und unfähig zu erkennen, dass es vor allem unsere Aufgabe ist, unseren Geschwistern im Geiste die Stange zu halten und die gemeinsamen Werte aufrechtzuerhalten. Das zeigt sich für die SPD besonders in Europa. Sie sieht zu, wie Schlagbäume den Grenzübergang wieder verhindern und Staaten ihre Grenzen mit Zäunen sichern. Das Schengen-Abkommen ist nur noch ein trauriger Abklatsch seiner ursprünglichen Idee. Allerorten knicken die europäischen Sozialist:innen und Sozialdemokrat:innen vor Hetzer:innen und Populist:innen ein. Sie sehen dabei zu, wie die Ängste vor Globalisierung und allem Unbekannten bewusst geschürt und instrumentalisiert werden. Doch anstatt diesen Ängsten mit Verständnis und Linderung zu begegnen, verschließen die Parteien die Augen, biedern sich den Rechten an und machen so die LePens, Straches und Orbans salonfähig. Während antifaschistische Stimmen in der Schmuddelecke versenkt werden. So wird Europa mittelfristig an sich selbst zerbrechen und untergehen. Das darf die SPD als DIE europäische Partei nicht zulassen. Deshalb fordern wir, dass die SPD ihre Rolle als Meinungsmacherin ernst und wahrnimmt und die sozialistischen/sozialdemokratischen Schwesterparteien dazu aufruft, die eigenen Überzeugungen wieder zu vertreten. Dazu muss sie mit gutem Beispiel vorangehen und sich mit allen solidarisieren, die den Kampf gegen Hass und Gewalt aufgenommen haben. Eine geeinte europäische Sozialdemokratie kann eine Reform der Europäischen Union einleiten. Sie kann dafür sorgen, dass aus einem korrupten, intransparenten und undemokratischen Konstrukt endlich eine legitime Staatengemeinschaft wird. Dazu braucht es als ersten Schritt eine europäische Verfassung, die die Souveränität der einzelnen Länder in eine gleichberechtigte Gemeinschaft einbettet. Diese Verfassung muss gemeinsame Grundwerte, -rechte und die Würde des:r Einzelnen garantieren und ein Parlament als echte Volksvertretung mit der Macht über Haushalt und Gesetze zu bestimmen verankern. Sie muss Schluss machen mit der Kommission und Parallelstrukturen wie Treffen der Staats- oder Eurogruppenchef:innen, genauso wie mit der Vormachtstellung Deutschlands. Auf dieser Ebene muss eine gemeinsame Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik beschlossen und der Euro endlich sicher implementiert werden. Vor allem aber muss eine Politik der Menschlichkeit verfolgt werden und der maßlosen Selbstbedienung der Konzerne der Riegel vorgeschoben werden. Auf diesem Weg beseitigt man die Skepsis gegenüber der europäischen Idee und die Attacken der Nationalist:innen und EU-Feind:innen würden ins Leere laufen. Dies ist die einzige Möglichkeit in Europa Wohlstand und Unabhängigkeit zu sichern. Nur so retten wir das großartige transnationale Projekt Europa! Nur so erhalten wir den Frieden!

    Schluss

    Diese programmatischen Vorschläge sind der Aufschlag für die anstehenden, sozialdemokratischen 20er Jahre: Die gewonnenen Bundestagswahlen sind eine echte Chance für uns als Sozialdemokratie, uns wieder vollends zu resozialdemokratisieren und zu zeigen, dass der Weg der SPD des Neoliberalismus der Vergangenheit angehört und wir die Vertreter:innen des Klientels sind, aus welchem wir heraus entwickelt sind: Nämlich die Partei der hart arbeitenden Menschen. Die Bundestagswahlen haben erstmals gezeigt, dass eben jenes Potenzial wiederzuerkennen ist. Wir stehen also nun in der Pflicht, dies weiter ernst zu nehmen und vor allem den Regierungsauftrag zu nutzen, um die Sozialdemokratie wieder zu dem zu machen, wozu sie befähigt ist. Es ist ein Trugschluss, sich nun der Macht willen in der neuen SPD-geführten Regierungsbeteiligung die Union als Vorbild zu nehmen und sich damit indirekt ihrer Politik zu unterwerfen. Wir haben einen Gegenentwurf zur aktuell noch konservativ geprägten Politik in Europa. Einen Gegenentwurf, der eine Zukunft in Freiheit und Solidarität möglich macht. Es gilt für uns, dies in die Partei zu tragen, damit die Partei wieder den Kurs fährt, für den sie von den Menschen gewählt wurde. Nur so entsteht wieder das Vertrauen, das für die Umsetzung unseres Gesellschaftsentwurfes notwendig ist. Wir haben Visionen, und diese Zukunft dürfen wir nicht aufgeben. Genossinnen und Genossen, die Hoffnung auf ein glorreiches neues Morgen und sozialdemokratische Jahrzehnte bleibt bestehen, solange wir JETZT dafür einstehen! Vorwärts und Freundschaft!

    V1 Die Bahn im Rottal aufwerten: Pfarrkirchen an Plattling und Burghausen anbinden

    31.03.2023

    Im Zuge der globalen Erwärmung diskutiert die Politik zahlreiche Maßnahmen zur Begrenzung des Ausstoßes an CO2. Nicht selten wird dabei auf Alternativen zum motorisierten Individualverkehr verwiesen. Gerade im ländlichen Raum sind jene Alternativen jedoch mangels vernünftiger Bus- und Bahnverbindungen nicht verfügbar, sodass letztlich doch wieder auf das Auto als Verkehrsmittel erster Wahl zurückgegriffen werden muss. Hier muss die Politik gegensteuern und Alternativen aufzeigen. Gerade in Niederbayern, und besonders in Rottal-Inn, ist die Schienenverkehrsinfrastruktur dürftig. Mit der Rottalbahn zwischen Passau und Neumarkt besteht zwar auf dem Papier eine Verbindung, die jedoch aufgrund zahlreicher Zwischenhalte, kurviger Streckenführung und eingleisiger Verbindung kaum eine Alternative zum PKW darstellen kann. Gleichzeitig besteht in Pfarrkirchen und Eggenfelden kein vernünftiger Anschluss an das Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn, ICEs fahren erst in Passau und München ab, was zunächst eine Bahnreise von circa 90 Minuten erforderlich macht. Mit Plattling verfügt Niederbayern über einen zentral gelegenen ICE-Halt, der die Strecke Wien –Nürnberg bedient und hervorragend angebunden ist. Gleichzeitig existiert keine Quertraverse zwischen Pfarrkirchen und Plattling. Dies führt zur ungünstigen Situation, dass Orte wie Deggendorf, Dingolfing, Landau, Straubing, Regensburg und Nürnberg nur über große Umwege mit der Bahn erreichbar sind, beispielsweise über Neumarkt St. Veit und Landshut. Auch sind die Hochschulstandorte Pfarrkirchen und Deggendorf, ebenso wie die Universitätsstädte Straubing und Regensburg, nur schlecht angebunden. Während die Fahrt von Pfarrkirchen nach Regensburg mit dem PKW etwa 90 Minuten benötigt, dauert es mit der Bahn nahezu doppelt so lange.

    Wir fordern daher den Ausbau des Schienenverkehrsnetzes in Niederbayern dahingehend, dass eine zusätzliche Bahnstrecke zwischen Plattling über Pfarrkirchen bis nach Burghausen gebaut wird. Damit werten wir die Bahn zur tatsächlichen Alternative zum PKW für Studierende, Arbeiter:innen (beispielsweise bei Wacker in Burghausen, Lindner in Arnstorf, BMW in Dingolfing) und Reisende (die durch den Anschluss deutlich schneller nach Wien kommen, ebenso wie zum zentralen Verkehrsknotenpunkt in Nürnberg, der hervorragend angebunden ist, als auch über Regensburg nach Prag) auf. Die Bereitschaft der Bundespolitik, massiv in Bahn und Schiene zu investieren, stellt eine einmalige Gelegenheit für das ländliche Niederbayern dar, endlich vernünftig an das Bahnnetz angeschlossen zu werden, die wir uns nicht entgehen lassen sollten. Als Zwischenlösung schlagen wir die Bedienung der Strecke mit Bussen vor, um kurzfristig Alternativen zum PKW anzubieten und für den Umstieg auf alternative Verkehrsmittel zum PKW zu werben.

     

     

    S1 Let´s talk about sexism! Wir müssen mal mit euch reden!

    31.03.2023

    Sexismus und sexuelle Belästigung ist für Frauen ein Alltagsproblem und für Männer eine Lappalie. Die Sensibilität gegenüber diesem Thema existiert noch nicht. Wir müssen diesem strukturellen Problem endlich einen Riegel vorschieben. Diesem Problem muss gesellschaftlich, politisch und parteilich entgegengewirkt werden. Victim Blaming, Upskirting oder Objektifizierungen dürfen keinen Platz in unserer Partei, unserer Gesellschaft haben.

    Sexismus beginnt bereits in vielen Alltagssituationen, zum Beispiel bei scheinbar lockeren, witzigen Sprüchen. Er bezeichnet jede Handlung die auf der Idee basiert, dass manche Menschen, meistens Frauen, aufgrund ihres Geschlechts minderwertig sind. Einzelne Vorfälle von Sexismus mögen harmlos erscheinen, aber sie erschaffen eine Atmosphäre der Einschüchterung, Angst und Unsicherheit. Dies führt zur Akzeptanz von Gewalt und tätlichen Übergriffen.

    Politisch:

    Wir fordern ein Angebot von niedrigschwelligen Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten bei öffentlichen Institutionen. Betroffene Personen müssen schnell Informationen finden können und Ansprechpartner:innen erhalten, die gegen sexuelle Übergriffe Kompetenz und Möglichkeiten haben. (Beschwerdemechanismen)

    Wir fordern bessere Aufklärung und Seminare für Politiker:innen aller Ebenen. Die Teilnahme hierzu muss verpflichtend sein.

    Wir fordern, dass Safe-Spaces eingeführt werden. (z.B. Frauentreffen der Räte, frauenpolitische Sprecherinnen auf allen Ebenen)

    Wir fordern Sanktionen und Ermöglichung der Mahnungen. (z.B. Rederechtsentzug)

    Parteilich:

    Wir fordern ein Awareness-Team. Fühlt sich jemand unangemessen bedrängt, behandelt oder angemacht, kann man sich direkt dort melden. Anonymität für Betroffene muss hierbei ermöglicht werden (E-Mailadresse, Telefonnummern)

    Das Awarenessteam setzt sich aus 5 Menschen zusammen. Der Bezirksparteitag wählt eine:n Gleichstellungsbeauftragte:n. Diese Person setzt das Awarenessteam zusammen. Außer des Gleichstellungsbeauftragtenpostens darf keine stimmberechtigte Person des Bezirksvorstandes Teil des Teams sein.

    Dem Awareness-Team müssen freie Möglichkeiten des Handelns gegeben werden. Hierfür müssen Fortbildungen ermöglicht werden. Zudem muss den Mitgliedern des Awarenessteam jederzeit eine Supervision möglich sein. Wir fordern Seminare und Schulungen bezüglich des Themas Sexismus und sexueller Belästigung. (Pflicht des Bezirksvorstandes eines jährlichen Seminars)

    Wir fordern eine klare Kante gegen Sexismus (sexistische Angriffe melden, Meldemöglichkeiten)

    Wir fordern einen öffentlichen Auftritt auf (sozialen) Medien, die das Thema Sexismus, Feminismus, Gleichstellung und sexuelle Belästigung thematisieren.

    Wir fordern eine Möglichkeit der Mahnungen und Sanktionen. (z.B. Ämterentzug, Pflichtspende, Hausrechtsnutzung) Dies soll durch eine demokratische Entscheidung eines Gremiums entschieden werden. Dieses kommt durch das Awareness-Team, ⅓ des Bezirksvorstandes und der Schiedskommission des betroffenen Unterbezirks des Betroffenen zusammen. Bei der ersten Verwarnung ist eine verpflichtende Teilnahme bei dem Seminar zu verhängen. Bei weiteren Mahnung entscheidet das Gremium über die Konsequenzen

    Wir fordern die Nutzung von Geschlechtergerechte Sprache in allen schriftlichen Parteiaufgaben auf allen Ebenen (Soziale Medien, Protokolle, etc.)

    Wir fordern eine Erarbeitung eines Anti-Sexismus-Plan (für alle parteiliche Ebenen)

    Wir fordern eine Zusammenarbeit mit Bündnispartner:innen innerhalb der Partei wie SPD Queer, AsF und AG Migration und Vielfalt sowie gesellschaftliche Mitstreiter:innen wie DGB, IGM

    Erklärung Fachwörter:

    1.Sexismus: Sexismus ist eine Art von Diskriminierung. Sexismus bedeutet die Benachteiligung, Abwertung, Verletzung und Unterdrückung einer Person oder einer Gruppe aufgrund des Geschlechts. Sexismus ist auch die Vorstellung, dass Geschlechter eine Ordnung oder Reihenfolge haben. (Bundeszentrale für politische Bildung)

    2.Victim Blaming: Wenn die Verantwortung für eine Straftat beim Opfer gesucht wird, nennt man das „Victim Blaming“ oder „Täter-Opfer-Umkehr“ (Fluter)

    1. Upskirting: Jemand filmt oder fotografiert heimlich unter den Rock oder in den Ausschnitt. Die Spannerfotos stehen seit Ende 2020 unter Strafe. (Bayern gegen Gewalt)

    4.Objektifizierung: Wörtlich bedeutet objektivieren: zum unbelebten Objekt machen, „vergegenständlichen“ (Goethe Institut).

    BSP. Ein Sexualobjekt ist die Summe der attraktiven Teile eines Körpers und nicht der vollwertige Mensch mit eigenem Charakter, Interessen und Träumen

    5.Safe Space: Der Begriff Safe Space bezieht sich auf Orte, an denen marginalisierte Personen zusammenkommen, um über ihre Erfahrungen mit Marginalisierung zu kommunizieren.

    6.Awareness: Awareness in der Psychologie bezieht sich auf das aktuelle, situationsbezogene Bewusstsein oder „Gewahrsein“ einer Person über ihre Umgebung, sowie die sich daraus ergebenden Handlungsimplikationen.

    7.Geschlechtergerechte Sprache: Geschlechtergerechte Sprache bezeichnet einen Sprachgebrauch, der in Bezug auf Personenbezeichnungen die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und darüber hinaus aller Geschlechter zum Ziel hat und die Gleichstellung der Geschlechter in gesprochener und geschriebener Sprache zum Ausdruck bringen will.