S13 Pflege für Alle. Alle(s) für die Pflege

Status:
Nicht abgestimmt

Pflege für Alle. Alle(s) für die Pflege.

Die Bundesrepublik sieht sich im Jahr 2019 mit 3,4 Millionen Pflegebedürftigen konfrontiert, die Zahl wird erwartungsgemäß in den nächsten Jahren steigen und wird für 2060 mit einer Zahl von 4,6 Millionen prognostiziert. Dem gegenüber stehen aktuell rund 1,1 Millionen Beschäftigte in der Pflegebranche, hauptsächlich Frauen und größtenteils in Teilzeit beschäftigt. Der Durchschnittsverdienst dieser Berufsgruppe liegt aktuell bei Vollzeit ca. bei 2.600 € brutto, variiert aber abhängig von Bundesland und Region gravierend. Während für die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen die finanziellen Eigenanteile bei stationärer Pflege stetig steigen – selbst im ländlich geprägten Niederbayern abseits der größeren Städte sind über 2000€ monatlich keine Seltenheit – ist die deutsche Pflegelandschaft eine beliebte Spielwiese für in- und ausländische Investor:innen zur Maximierung ihrer Rendite. Gleichzeitig ruhen 5,17 Milliarden Euro im Pflegevorsorgefond und warten bedächtig auf die eigene Wertminderung, statt das jährliche Defizit der sozialen Pflegeversicherung (2018: ca. 3 Milliarden Euro) zu begleichen. Dem häufig deklarierten „Pflegenotstand“ und dem Personalengpass in der Branche wird mit politischem Stückwerk wie dem Pflegepersonalstärkungsgesetz begegnet, welches obendrein dann nur träge umgesetzt wird und durch verspätete Zustellung von Bescheiden Einrichtungen und Träger:innen finanzielle Schwierigkeiten bereitet, statt Personalprobleme zu beheben. Durch die Einführung der generalistischen Ausbildung steigt die Unsicherheit im Bereich der Ausbildung, also der zentralen Strategie gegen den Fachkräftemangel, die Anwerbung ausländischer Fachkräfte ist durch komplizierte und langwierige Anerkennungsverfahren aufwändig und mit der Umstellung auf Prüfungen mittels dem indikatorengestützten Qualitätssystem werden Mitarbeiter:innen vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.

Gerade um den skizzierten Missständen konsequent zu begegnen und zukunftsgewandte Konzepte entgegenzustellen, ist eine klare Positionierung der Sozialdemokratie unerlässlich. In einem klassischen Feld der Sozialpolitik in dem die Interessen von Beschäftigten, Angehörigen und Pflegebedürftigen gegen Gewinnmaximierung und die freie Kraft des Marktes zu verteidigen sind, kann die SPD nicht zuletzt auch ihr eigenes Profil schärfen und verlässliche Partnerin von Bürger:innen sein.

Zur Umsetzung sind einige zentrale Weichenstellungen nötig:

  1. Gesetzliche Maßnahmen im Pflegebereich müssen umgehend und strukturiert umgesetzt werden. Die Kritik am PpSG ist vielerorts berechtigt, so bleibt fraglich woher die zusätzlichen Pflegekräfte kommen sollen und ob durch die Reform nicht eher Beschäftigte mit Mehrarbeitsstunden beladen werden, statt neue Kolleg:innen begrüßen zu können. Vor allem ist aber anzumerken, dass bei einer geplanten finanziellen Entlastung von Träger:innen und Einrichtungen die Hilfe auch umgehend erfolgen muss. Wenn tatsächlich neues Personal eingestellt und bezahlt wird, die Rückvergütung aber über mehrere Monate stockt, bringt man die Betroffenen in eine missliche Lage und lastet unnötigerweise finanzielles Risiko auf die Stützen des Systems. Wenn die Bundesregierung wirksame oder zumindest mildernde Maßnahmen erlässt, müssen diese auch die Nutznießer:innen im angekündigten Zeitrahmen erreichen. Dafür zu streiten, ist ehrenhafte Aufgabe der SPD.
  2. Solidarische Finanzierung: Die Kostensteigerung des Eigenanteils bei stationärer Pflege muss gestoppt werden und eine Deckelung des Betrags erfolgen. Nur so wird die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen und Angehörigen vermieden, Unsicherheiten beseitigt und Angespartes verteidigt. In der aktuellen Situation werden bei Einzug in eine Pflegeeinrichtung die mühsam erwirtschafteten Geldbeträge der Pflegebedürftigen abgebaut, bis die betroffenen Personen in die Sozialhilfe rutschen und somit die kommunalen Gebietskörperschaften belasten. Perspektivisch soll die Pflegeversicherung freilich zur Bürger:innenversicherung umgestaltet werden, sodass alle in denselben Topf einzahlen und alle Einkommensarten berücksichtigt werden. Im Zuge dessen ist die Pflegeversicherung zur Vollversicherung umzugestalten, um den Zugang zu adäquater Pflege schlicht für Alle zu ermöglichen.
  3. Kommunale Pflege-Infrastruktur: Die Kommunen müssen sukzessive und nachhaltig bei der Schaffung von Pflegeinfrastruktur unterstützt werden. Dazu gehört die Gewährleistung von Beratungsangeboten genauso, wie die Förderung eigener Pflegestützpunkte. Zur Finanzierung soll der Pflegevorsorgefond aufgelöst werden und die Beitragsgelder zweckgebunden an die Kommunen ausgegeben werden. Das Geld wird dann dafür eingesetzt, wofür es gedacht ist: Fu r die Sicherstellung eines flächendeckenden Pflegeangebots.
  4. Tarifvertrag für Alle: Wir brauchen dringend einen flächendeckenden Tarifvertrag für die Pflegebranche, der für alle Beschäftigten in der stationären und ambulanten Pflege gilt. Dieser Tarifvertrag muss gleichermaßen regionale Lohnunterschiede beheben, Mindeststandards sichern und Ausbeutung verhindern. Außerdem soll eine gesetzliche Personalbemessung in der Altenpflege für zusätzliche Sicherheit sorgen. Durch einen Tarifvertrag soll privaten Anbietern der „Wettbewerbsvorteil“ niedriger Löhne zur Steigerung der Rendite genommen werden und wohlfahrtsverbandliche, kommunale und staatliche Strukturen gefördert werden.
  5. Zur weiteren Stärkung der Rolle der Mitarbeiter:innen in der Pflege ist die Fortschreibung und Ausweitung der „Charta der Rechte von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen“ dringend geboten. Auch die Beschäftigten sollen hier deutlich erfasst und deren Rechtssicherung zusätzlich betont werden. Fu r die Schlagkraft dieser Maßnahme ist freilich die Erklärung der Verbindlichkeit der sog. Pflege-Charta notwendig, nur so kann die Rechtsstellung beider betroffenen Gruppen, der Pflegebedürftigen wie der Beschäftigten, abgesichert werden. Umfassende Aufklärung und Kontrolle sind dafür obligatorisch.
  6. Streichung des Vorrangs von privaten und freigemeinnützigen Trägern aus dem SGB streichen: Der Staat muss dazu berechtigt sein, selbst Pflegeeinrichtungen anzubieten und zu betreiben. Die im SGB XI formulierte Regelung, dass freigemeinnützige und private Träger:innen zu bevorzugen sind, soll gestrichen werden. In einer solidarischen Gesellschaft ist die Sicherstellung von Pflegeinfrastruktur ehrenhafte Aufgabe der Gesellschaft und damit des Staates. In der Entscheidung, dieses Angebot zu schaffen, soll er frei sein und nicht von anderen Akteuren beeinträchtigt werden. Natürlich sind gemeinnützige und wohlfahrtsverbandliche Pflegeeinrichtungen und deren Träger:innen trotzdem entscheidende Stützen unseres Sozialstaates und traditionelle Bündnispartner:innen unserer Sozialdemokratie.
  7. Letztlich braucht es für eine neue Perspektive der Pflege auch einen neuen Blick auf die Situation. Dazu müssen wir gemeinsam für eine positivere Wahrnehmung streiten. Statt anstrengender Schichtarbeit, mäßiger Vergütung und Personalengpässen sollen fortan auch Weiterbildungsmöglichkeiten, hohe Jobsicherheit und der soziale Charakter der Arbeit betont werden. Gegen die unstrittigen Probleme in dem Bereich definieren wir Sozialdemokrat:innen freilich ohne Vorbehalte Lösungsansätze, legen aber gleichermaßen Wert auf die positiven Seiten der Arbeit im Sinne unserer Gesellschaft. Abschließend geben wir den Pflegebedürftigen, den Beschäftigten und den Angehörigen mit Nachdruck das höchste Gut unserer politischen Arbeit, nämlich unsere Solidarität.

 

 

Empfehlung der Antragskommission:
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