I1 Keine Jugendlichen mehr ins Gefängnis, bevor sie rechtlich beraten wurden

Wir fordern, dass die Pflichtverteidigung in Jugendgerichtsverhandlungen ausgeweitet wird. Hierfür soll § 68 Nr. 5 JGG geändert werden, sodass eine Pflichtverteidiger*in nicht nur dann notwendig ist, wenn eine „Jugendstrafe (…) zu erwarten“ ist, sondern dann, wenn diese „nicht auszuschließen ist“.

Begründung:

Noch wichtiger als im regulären Strafprozess ist die Pflichtverteidigung im Jugendstrafprozess. Dies wird grundsätzlich auch von der bestehenden Rechtslage anerkannt. Diese ordnet die Bestellung einer Pflichtverteidiger*in generell bei einer zu erwartenden Jugendstrafe oder vergleichbaren Maßnahmen und nicht erst ab einem gewissen Strafrahmen, wie es bei Erwachsenen der Fall ist, an.

Dennoch lässt diese Regelung beträchtliche Schutzlücken offen. Im Jugendstrafverfahren wird ein erheblicher Anteil der Prozessgeschäfte den Erziehungsberechtigten angetragen. Jugendliche und Heranwachsende sind faktisch gar nicht betreut, wenn diese, etwa durch eine Sprachbarriere oder mangelndes Vertrauen in die Justizbehörden nicht in der Lage sind, dieser Rolle bestmöglich nachzukommen, oder dies gar nicht wollen.

Dies ist gerade bei den ersten Verurteilungen fatal. So können unwissentlich belastende Aussagen, die infolge einer Rechtsberatung so nicht getätigt worden wären, die Wahrscheinlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe in einem späteren Verfahren erhöhen und etwa auch die Chancen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt deutlich verschlechtern. Dies betrifft vor allem Angeklagte, die sich weder selbst, noch durch Erziehungsberechtigte anwaltliche Vertretung leisten können. Abgesehen davon ist eine tatsächliche Verurteilung zu einer Jugendstrafe in einem Verfahren, in dem das Gericht dies vorher nicht „erwartet“ und demnach keine Pflichtverteidiger*in gestellt hatte, nicht ausgeschlossen und auch in der Praxis nicht unbekannt.

Als Schlussfolgerung muss die Pflichtverteidigung ausgeweitet werden, da nicht alle Erziehungsberechtigte den Anspruch, den das JGG an sie stellt, ausfüllen können oder wollen. Somit werden Jugendliche im Gerichtsverfahren allgemein besser geschützt und Jugendhaft ohne anwaltliche Beratung illegalisiert. Dies ist möglich, indem eine Ermessensentscheidung des Gerichts unter umgekehrten Vorzeichen in das JGG integriert wird, die Pflichtverteidigung folglich nur dann entbehrlich ist, wenn eine Jugendstrafe auszuschließen ist.

Würden jugendliche Angeklagte demnach zu einer Jugendstrafe verurteilt, ohne je anwaltlich betreut worden zu sein, wäre dies ein Revisionsgrund und nicht wie derzeit „fehlerfreier“ Geschäftsgang vor deutschen Jugendgerichten.

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