Die Europäische Union steht vor einer richtungsweisenden Wahl. Das Europäische Parlament könnte nach der Europawahl 2019 stark nach rechts rücken. Es droht eine Mehrheit aus neoliberalen, konservativen mit Rechtsextremen, Nationalisten und anderen EU-Gegnern besetzt sein. Es geht also um eine Richtungsentscheidung.
Wir rufen dazu auf, den Kampf um Europa in der Wahl 2019 ehrlich und offensiv zu gestalten!
Die EU ist ein vergleichsweise junges Projekt, das in der Welt einzigartig ist. Für die EU gibt es keine Schablonen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die EU nicht perfekt ist. Das merken auch die Bürgerinnen und Bürger. Während die EU derzeit noch unseren Frieden und Wohlstand garantiert und uns ein Gewicht in der globalisierten Welt gibt, ertrinken Menschen im Mittelmeer, fallen wirtschaftlich schwache Menschen und Regionen in der EU immer weiter zurück. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich sowohl zwischen Mitgliedstaaten und Regionen als auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaften. In einigen Mitgliedsstaaten sind zunehmend Rechtsstaat, bürgerliche und demokratische Rechte bedroht.
Die EU hat es bisher versäumt, die Europäische Säule Sozialer Rechte umzusetzen und Sozialstandards an die höchsten Niveaus anzugleichen.
Die Menschen müssen wissen, dass eine Verbesserung der EU eine vertiefte EU sein muss. Und dass die SPD die Partei ist, die diese Verbesserungen durchsetzen möchte. Die EU darf nicht zu einer militarisierten Freihandelszone verkommen.
Die Devise muss sein: Europa wirtschaftlich erfolgreich, sozial und ökologisch zu gestalten. Im Themenfeld Arbeit und Soziales sollen die folgenden, inhaltlichen Punkte zur Positionsfindung dienen. Viele Punkte finden sich auch in der Position des DGB wieder.
Die Soziale Säule in Europa stärken
Wir brauchen armutsfeste Mindestlöhne in jedem Mitgliedsstaat, die über der Armutsschwelle der jeweiligen Länder liegen. Die Sozialpartner dürfen durch diese Mindestlöhne nicht ausgehebelt werden und müssen bei der Festsetzung einbezogen werden.
Die wirtschaftlichen Ziele der EU sollten immer gekoppelt werden mit sozialen Zielen (Renten, Sozialversicherung, Armutsbekämpfung, etc.)
Die „Work-Life Balance Direktive” muss verabschiedet werden, um Leben und Beruf besser in Einklang bringen zu können.
Die Plattformökonomie ist eine große Herausforderung. Hier brauchen wir verpflichtende Mindestschutzstandards und klare Verantwortbarkeiten bei den Auftrags-, und Arbeitgebern. Die Plattformökonomie sollte an Mitbestimmung und Tarifstrukturen gekoppelt werden.
Beschäftigte müssen über ihre Informationsrechte Bescheid wissen und ein Mindestmaß an Transparenz gewährleistet bekommen. Hierzu muss die Transparenzrichtlinie verabschiedet werden.
Die Ausbeutung von Solo-Selbstständigen muss bekämpft werden. Dazu müssen EU-weite Mindestvergütungsstandards und die Einbeziehung in sozialpartnerschaftliche Tarifverträge umgesetzt werden. Im Wettbewerbsrecht sollte der Vorschlag des DGB aufgenommen werden, Ausnahmen vom Kartellverbot für Absprachen zu formulieren, die durch einen Dialog von Sozialpartnern zu Gunsten von Solo-Selbstständigen vereinbart werden, das unmittelbare Auftragsverhältnis betreffen, und dabei das strukturelle Machtgefälle zwischen Auftraggebern und -nehmern berücksichtigt.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in der EU braucht es eine Mindest-Arbeitslosenversicherung und Mindeststandards in der Sozialen Sicherung durch ein angemessenes Mindesteinkommen auch bei Arbeitslosigkeit.
Gute Arbeit muss in der EU in den Vordergrund gestellt werden. Mitbestimmung und Gewerkschaften müssen gesichert, gestärkt und beteiligt werden. Daher braucht es eine Rahmenrichtlinie zur Mitbestimmung, um Mitbestimmung zu schützen und zu fördern. Auch grenzüberschreitende Mitbestimmung kann hier geregelt werden. Die Arbeit von europäischen Betriebsräten muss gefördert werden. Hierzu bedarf es eines Ausbaus von Sanktionen und eine Verankerung eines allgemeinen gesetzlichen Unterlassungsanspruches. EU-Vergaberichtlinien müssen daher soziale Standards einbeziehen und fördern. Öffentliche Aufträge sollten nur noch unter Einhaltung sozialer und ökologischer Standards vergeben werden (z.B. Firmen mit Tariftreue, Mitbestimmung, etc. bevorzugen). Die Tarifbindung muss auch auf europäischer Ebene gestärkt werden. Fördermittel müssen bevorzugt an tarifgebundene Firmen gezahlt werden. Die Tarifautonomie muss in allen Mitgliedsstaaten gestärkt und auf europäischer Ebene etabliert werden.
Die EU darf keinen Druck mehr in Richtung Privatisierung und Liberalisierung ausüben. Auch bereits getätigte Liberalisierungen sollten geprüft und gegebenenfalls zurückgenommen werden.
Der EuGH braucht eine Kammer für Arbeits-, und Sozialrecht, um die jetzigen und zukünftigen Standards einklagbar zu machen.
Die Arbeitnehmermobilität muss fair gestaltet werden. Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit muss bekämpft werden. Die neue Entsenderichtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. Auch für die Beschäftigten im Transport-Sektor müssen die Regelungen ab dem ersten Tag gelten. Zentrale Forderung ist eine effektive Europäische Arbeitsbehörde (ELA). Diese muss Arbeitskontrollen in Zusammenarbeit mit nationalen Stellen durchführen und koordinieren. Eine Europäische Sozialversicherungsnummer ist die Voraussetzung für eine Verbesserung von Kontrollen und um Missbrauch vorzubeugen.
Handelsabkommen müssen den Sozial- und Arbeitnehmerschutz zur Voraussetzung des Handelns machen und Schutzmaßnahmen gegen alle Prozesse von Lohn- und Sozialdumping fordern und fördern. Die domestic advisory groups unter Beteiligung der Gewerkschaften müssen hier bei Nichtachtung sanktionsbewehrte Verfahren einleiten können. Transparenz und Offenheit müssen jedes Handelsabkommen begleiten.
Just Transition – mit den Gewerkschaften!
Das gewerkschaftliche Konzept zur „Just Transition“ muss zu einem Wesentlichen Bestandteil der europäischen Energie-, und Klimapolitik und der Energieunion werden. Strukturwandel müssen gerecht und nachhaltig gestaltet werden, sonst werden die Menschen die Bekämpfung des Klimawandels nicht mittragen.
Hierzu braucht es eine transnationale, intelligente, sozialdemokratische Industriepolitik. Diese muss sich an sozialen, ökologischen und dann ökonomischen Standards orientieren.
Neu geschaffene Arbeitsplätze und „green jobs“ müssen auch den Standards der „guten Arbeit“ entsprechen. Tarifbindung und Mitbestimmung müssen hier umgesetzt werden.
Jeder struktureller Wandel muss begleitet werden durch Bildungsmaßnahmen, um keine Arbeitnehmerin und keinen Arbeitnehmer zurückzulassen. Diese Bildungsmaßnahmen sollten mit Eu-Förderungen unterstützt werden.
Eine sozialdemokratische Antwort an Emmanuel Macron
Zusätzlich zu den Forderungen braucht es endlich eine sozialdemokratische Antwort an Emmanuel Macron. Europa ist in Gefahr, es zu erhalten verlangt auch ein Vertiefen der Allianzen mit den übrig gebliebenen Europafreundinnen und Europafreunden. Der nachfolgende Text ist als Ergänzung und Reaktion zum Papier der Grundwerte-Kommission zu sehen und von der Parteiführung für eine Antwortformulierung zu verwenden.
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland steht viel auf dem Spiel. Wenn jetzt, in wirtschaftlich vergleichsweise günstigen Zeiten, nicht gehandelt wird, steht Europa bei künftigen Krisen vor dem Zerfall. Deshalb begrüßen wir zunächst, dass der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinen Zukunftsvisionen ein friedliches, geeintes Europa vorantreiben und Europa in den Fokus der europäischen und nationalen Aufmerksamkeit rücken will. Die deutsche Bundesregierung muss diesen Gesprächsfaden endlich aufnehmen. Das dröhnende Schweigen der Bundeskanzlerin verstößt gegen den Koalitionsvertrag und gefährdet die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, auch in Deutschland. Die SPD-Grundwertekommission hat erkannt, dass die nötige Antwort auf die Ansinnen Emmanuel Macrons nachdrücklich und sozialdemokratisch sein muss und vor allem auch, dass sie nicht mehr länger auf sich warten lassen sollte. In Zeiten starker nationalistischer Tendenzen innerhalb und außerhalb der EU kann nur eine freiheitliche, soziale und demokratische Europäische Union die Zukunft sein. Dies gilt allerdings für die nationalen Politiken ebenso wie für die europäische Ebene. Die AfA kritisiert deshalb weite Teile der französischen sogenannten Reformpolitik. Umverteilung nach oben, Privatisierung und Abbau von Arbeitnehmerrechten passen nicht in ein gemeinsames Europa. Wer Beschäftigung und Investitionen, Finanzmarkt-Stabilität und gemeinsame Institutionen weiterentwickeln will, muss in seinem Land die Spaltung der Gesellschaft beenden, anstatt sie zu vertiefen. Macron ist daher in keiner Weise ein Vorbild für die AfA, die SPD oder die Sozialdemokratie im Allgemeinen.
Reformen für ein soziales Europa
Macrons Liste für die Schlüssel zur Souveränität der EU ist in unseren Augen unvollständig. Die EU kann sich nur als eigenständig und vollständig betrachten, wenn sich die Erwartungen der dort lebenden Menschen nach einem guten, friedlichen und erfüllten Leben erfüllen können. Das ist überhaupt die ganze Rechtfertigung für das Projekt und die Idee der Europäischen Union. Dies gehört an die erste Stelle einer Antwort an Macron. Die soziale Säule der EU darf nicht weiterhin eine nachrangige Dekoration bleiben. Regelungen zum Mindestlohn, Standards für Arbeitnehmer/innen-Schutz, Elternzeit, hohe Mindeststandards für soziale Sicherung, integrative Arbeitsmarktpolitik, gerechte Besteuerung auch großer Kapitalerträge und Vermögen zur Entlastung der Arbeitseinkommen, Sicherung und Ausbau der Mitbestimmung sowie Stärkung der Tarifbindung und der Gewerkschaften gehören auf die europäische Agenda – und zwar nicht als Ersatz für nationale Regelungen, jedoch als Absicherung gegen Lohn- und Sozialdumping und gegen eine weitere Polarisierung von Regionen und Gesellschaftsschichten. Den Forderungen der Grundwertekommission nach einer Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) und einem EU-Arbeitsminister entsprechen der Beschlusslage der AfA und sind grundsätzliche Forderungen für ein stärkeres, gerechteres Europa. Wir fordern ausreichend Rechte und Personal für die ELA unter Einbeziehung der Sozialpartner. Bevor es einen Minister für Euro-Finanzen gibt, wie Macron ihn fordert, fordert die AfA eine EU-Institution, ein Ministerium für Arbeit und Soziales. Deren Aufgabe wäre zunächst vor allem, die Einhaltung der Regeln zu überwachen und durchzusetzen, sei es durch direktes behördliches Handeln, vorrangig aber durch intensive Kooperation mit nationalen Institutionen. Die EU darf nicht nur Staatshaushalte und ökonomische Rahmendaten überwachen, sondern muss ihre Schutzfunktion gegenüber den finanziell Schwächeren wahrnehmen, auch dort, wo nationale Behörden bisher versagen. Zudem brauchen wir eine beobachtende und präventiv wirkende Einrichtung, die die enormen Umbrüche in der Arbeitswelt analysiert und europäische Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigt. Den Mindestlohnrahmen an mindestens 60% des Medianlohnes EU-weit zu orientieren ist ein guter Schritt in Richtung sozialer Konvergenz, also der Angleichung zwischen den Regionen und Mitgliedsstaaten. Die AfA fordert in Übereinstimmung mit der Grundwertekommission eine Angleichung an die jeweils höheren Standards. Wir sind auch der Meinung, dass gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort gelten muss und begrüßen daher die Richtung, in die die Entsenderichtlinie soeben novelliert wird. Das Ziel ist und bleibt die gleiche Bezahlung und Behandlung der Arbeitenden am gleichen Ort, und zwar ohne jede Ausnahme. Die AfA stimmt mit Präsident Macron überein, dass die Arbeitslosigkeit innerhalb der Eurozone und in der EU abgebaut werden muss. Der neoliberale Weg ist allerdings sowohl wirtschaftlich wie politisch gescheitert. Arbeitsmarktreformen, wie sie Macron für Frankreich in seiner Rede in der Sorbonne als Beispiel von nationaler Verantwortung benannt hat, lehnen wir daher im Grundsatz ab. Sowohl seine Durchlöcherung des Kündigungsschutzes, die Begrenzung der Höhe von Abfindungen, Einschnitte in die Renten, das Streichen von Stellen im öffentlichen Dienst, die Beschneidung von Mitbestimmung als auch das weitgehende Streichen der Vermögenssteuer sind weder mit den Interessen der Arbeitnehmer/innen noch mit sozialdemokratischen Grundwerten vereinbar, geschweige denn vor dem deutschen Erfahrungshintergrund empfehlenswert.
„Schnell umsetzbare Projekte: Europäische Agentur für radikale neuartige Innovationen, Europäische Universitäten“
Der Grundgedankte einer EU-weiten Agentur für „radikale neuartige Innovationen“ birgt manche Vorteile. Das Teilen von Wissen und Forschung führt zu optimalem Output. Forschung und Wissenschaft sind wichtige Pfeiler für den Wohlstand und den Fortschritt in unserer Gesellschaft. Derartige Innovationen haben jedoch auch das Potential, traditionelle Produktionsformen zu ersetzen oder massiv zu verändern. Dies hat erhebliche Konsequenzen für Arbeitsplätze. Daher spricht sich die AfA dafür aus, in einer möglichen Agentur für „radikale neuartige Innovationen“ insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeit und den möglichen Strukturwandel in den Regionen erforschen zu lassen, um die Veränderungen vorausschauend gestalten zu können. Wir stimmen mit Macron darüber überein, dass sich die digitale Revolution um „Talente“ dreht, also um qualifizierte Menschen. Anders als Macron fordern wir allerdings, diese „Talente“ zu schaffen anstatt sie aus anderen Ländern heranzuziehen. Es gibt noch viel zu viele, auch gut gebildete Arbeitslose in der EU und Millionen junge und ältere Arbeitsuchende, die das reiche Europa selbst weiterqualifizieren muss. Brain Drain ist sowohl in Drittstaaten, als auch in EU-Ländern zu bekämpfen!
Gemeinsame Afrika- und Europäische Nachbarschafts-Strategie, Entwicklungszusammenarbeit, Asyl- und Migrationspolitik
Die AfA stimmt mit der Position der Grundwertekommission überein und unterstützt im Besonderen den geforderten Doppelbeschluss, der einen Entwicklungs- und Investitionsfonds fordert, der Kommunen unterstützt, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen wollen. Die Kombination aus Geldern für die Integration der Geflüchteten und Gelder für die Weiterentwicklung der Kommunen kann zur besseren Integration und gleichzeitig zur Entwicklung der Kommunen beitragen. Hinzufügend begrüßen wir Macrons Vorstoß für eine ausgedehnte Partnerschaft mit Afrika. Die Betonung europäischer Werte und Standards darf jedoch nicht kolonialen Charakter haben. Auch in der Handelspolitik sollte sich eine faire Entwicklungsstrategie ausdrücken. Wir betonen, dass die Summe der Entwicklungshilfe aus der EU im Gesamten nicht sinken, sondern eher steigen sollte und eine neue Qualität gewinnen muss. Die Gelder sollten kontrolliert in Projekte fließen, die eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, Frieden und die Demokratie stärken. Wir lehnen es ab, dass internationale Konzerne Land in den Entwicklungsländern aufkaufen. Bei Investitionen in diese Länder muss darauf geachtet werden, dass die Bevölkerung den großen Teil der Belegschaft stellt, die fair entlohnt wird und Möglichkeit zur Bildung und Mitbestimmung bekommt. Vor allem kommt es darauf an, die Entwicklungszusammenarbeit nicht durch Handelspraktiken, unkontrollierten und oft illegalen Kapitalabfluss, durch egoistische politische Einflussnahmen, Waffenexporte und militärische Einmischung, Fischereipolitik und andere altbekannte unfaire Praktiken aus Vergangenheit und Gegenwart zu unterlaufen.
Sozialökologischer Umbau
Klimaschutz ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit. Die Grundwertekommission hat fünf wichtige Fragen für einen Dialogprozess vorgeschlagen, die unter sozialökologischen Aspekten auf EU-Ebene diskutiert werden müssen. Die Zukunft der Städte, Energiewende, Neuordnung des Verkehrs, Agrarwende und ökologische Industriepolitik müssen ökologisch und sozial umgesetzt werden. Saubere Luft und sauberes Wasser, ausreichende Ressourcen und eine intakte Natur sind die Voraussetzung allen Lebens und müssen gewährleistet werden. Bei all diesen Themen ist es aber auch wichtig, sie in Anbetracht sozialer Auswirkungen zu behandeln. Wir fordern daher, bei Umstrukturierungen EU-weit mit den Gewerkschaften zusammen Konzepte zu erarbeiten, wie ein Strukturwandel durch Umbrüche in der Industrie, in der Stadtpolitik, im Verkehr, in der Energie- oder der Landwirtschaft möglichst sozialverträglich und zukunftsträchtig gestaltet werden kann.
Stärkung der Europäischen Währungsunion und Wirtschaftspolitik
Wir fordern Solidarität gegenüber den finanziell schlechter gestellten Teilen der Bevölkerung in Krisenländern und ein Ende der brutalen Sparpolitik, die zu massivem Abbau von Sozialleistungen, Löhnen, Sicherheit und Arbeitsplätzen geführt hat. In diesen Ländern braucht es Investitionsprogramme in Bildung und Infrastruktur, um Wirtschaftsleistung zu ermöglichen. Sparpolitik, Umverteilung und Privatisierung werden weder zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen noch der sozialen und menschlichen Lage in diesen Ländern führen. Wir werden es nicht zulassen, dass der Eindruck erweckt wird, dass durch die europäischen „Rettungsmaßnahmen“ nebst ihren unsozialen Auflagen in erster Linie den Menschen geholfen würde. Es ging und geht um die Aufrechterhaltung des Finanz- und Bankensystems. Wir fordern eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Verteilungswirkungen und strukturellen Folgen der Strategien und Maßnahmen der europäischen „Institutionen“, ehemals Troika. Macron wünscht sich einen vereinfachten europäischen Binnenmarkt. Zu klären bleibt, was Vereinfachung konkret beinhaltet. Wir werden jedem Versuch widersprechen, Schutzregeln für Beschäftigte und Verbraucher aufzuweichen. Der französische Präsident fordert außerdem, dass Handelsabkommen (wie TTIP, CETA) transparent verhandelt und umgesetzt werden sollten. Er wünscht sich, dass diese Abkommen den umweltschutzbezogenen Ansprüchen der EU genügen.
Diese Abkommen müssen auch den sozialen Ansprüchen der EU gerecht werden. Die Arbeitseinkommen und Arbeitsbedingungen dürfen nicht weiter unter Druck geraten, im Gegenteil: Wir müssen Wege finden, wie über Mindeststandards hinaus Handelspolitik die Situation der arbeitenden Menschen direkt verbessern kann. Dies gilt umso mehr, als wir in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, dass vom Wachstum des Handels allein die Mehrheit der Bevölkerung auch in den Überschussländern nicht profitieren konnte. Grundsätzlich gilt: wo auch immer Ministerien oder europäische Behörden entstehen, bedarf es demokratischer Kontrolle. So darf es keinen Finanzminister der Euro-Zone ohne parlamentarische Kontrolle, keine Arbeitsbehörde ohne legitimierte Kontrolle seitens Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen geben.
Änderungsanträge
Status | Kürzel | Aktion | Seite | Zeile | AntragstellerInnen | Text | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Annahme | Ä1 zum E5 | 316 Anfügung | Klaus Barthel | 1) Anfügen von Antrag W 1, Zeile 6 bis 179 und Zeile 244 bis 254 2) W 1 damit erledigt 3) Annahme von Antrag E 5 in der ergänzten Fassung mit Adressaten Parteivorstand und Parteikonvent |
Die Europäische Union steht vor einer richtungsweisenden Wahl. Das Europäische Parlament könnte nach der Europawahl 2019 stark nach rechts rücken. Es droht eine Mehrheit aus neoliberalen, konservativen mit Rechtsextremen, Nationalisten und anderen EU-Gegnern besetzt sein. Es geht also um eine Richtungsentscheidung.
Wir rufen dazu auf, den Kampf um Europa in der Wahl 2019 ehrlich und offensiv zu gestalten!
Die EU ist ein vergleichsweise junges Projekt, das in der Welt einzigartig ist. Für die EU gibt es keine Schablonen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die EU nicht perfekt ist. Das merken auch die Bürgerinnen und Bürger. Während die EU derzeit noch unseren Frieden und Wohlstand garantiert und uns ein Gewicht in der globalisierten Welt gibt, ertrinken Menschen im Mittelmeer, fallen wirtschaftlich schwache Menschen und Regionen in der EU immer weiter zurück. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich sowohl zwischen Mitgliedstaaten und Regionen als auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaften. In einigen Mitgliedsstaaten sind zunehmend Rechtsstaat, bürgerliche und demokratische Rechte bedroht.
Die EU hat es bisher versäumt, die Europäische Säule Sozialer Rechte umzusetzen und Sozialstandards an die höchsten Niveaus anzugleichen.
Die Menschen müssen wissen, dass eine Verbesserung der EU eine vertiefte EU sein muss. Und dass die SPD die Partei ist, die diese Verbesserungen durchsetzen möchte. Die EU darf nicht zu einer militarisierten Freihandelszone verkommen.
Die Devise muss sein: Europa wirtschaftlich erfolgreich, sozial und ökologisch zu gestalten. Im Themenfeld Arbeit und Soziales sollen die folgenden, inhaltlichen Punkte zur Positionsfindung dienen. Viele Punkte finden sich auch in der Position des DGB wieder.
Die Soziale Säule in Europa stärken
Wir brauchen armutsfeste Mindestlöhne in jedem Mitgliedsstaat, die über der Armutsschwelle der jeweiligen Länder liegen. Die Sozialpartner dürfen durch diese Mindestlöhne nicht ausgehebelt werden und müssen bei der Festsetzung einbezogen werden.
Die wirtschaftlichen Ziele der EU sollten immer gekoppelt werden mit sozialen Zielen (Renten, Sozialversicherung, Armutsbekämpfung, etc.)
Die „Work-Life Balance Direktive” muss verabschiedet werden, um Leben und Beruf besser in Einklang bringen zu können.
Die Plattformökonomie ist eine große Herausforderung. Hier brauchen wir verpflichtende Mindestschutzstandards und klare Verantwortbarkeiten bei den Auftrags-, und Arbeitgebern. Die Plattformökonomie sollte an Mitbestimmung und Tarifstrukturen gekoppelt werden.
Beschäftigte müssen über ihre Informationsrechte Bescheid wissen und ein Mindestmaß an Transparenz gewährleistet bekommen. Hierzu muss die Transparenzrichtlinie verabschiedet werden.
Die Ausbeutung von Solo-Selbstständigen muss bekämpft werden. Dazu müssen EU-weite Mindestvergütungsstandards und die Einbeziehung in sozialpartnerschaftliche Tarifverträge umgesetzt werden. Im Wettbewerbsrecht sollte der Vorschlag des DGB aufgenommen werden, Ausnahmen vom Kartellverbot für Absprachen zu formulieren, die durch einen Dialog von Sozialpartnern zu Gunsten von Solo-Selbstständigen vereinbart werden, das unmittelbare Auftragsverhältnis betreffen, und dabei das strukturelle Machtgefälle zwischen Auftraggebern und -nehmern berücksichtigt.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in der EU braucht es eine Mindest-Arbeitslosenversicherung und Mindeststandards in der Sozialen Sicherung durch ein angemessenes Mindesteinkommen auch bei Arbeitslosigkeit.
Gute Arbeit muss in der EU in den Vordergrund gestellt werden. Mitbestimmung und Gewerkschaften müssen gesichert, gestärkt und beteiligt werden. Daher braucht es eine Rahmenrichtlinie zur Mitbestimmung, um Mitbestimmung zu schützen und zu fördern. Auch grenzüberschreitende Mitbestimmung kann hier geregelt werden. Die Arbeit von europäischen Betriebsräten muss gefördert werden. Hierzu bedarf es eines Ausbaus von Sanktionen und eine Verankerung eines allgemeinen gesetzlichen Unterlassungsanspruches. EU-Vergaberichtlinien müssen daher soziale Standards einbeziehen und fördern. Öffentliche Aufträge sollten nur noch unter Einhaltung sozialer und ökologischer Standards vergeben werden (z.B. Firmen mit Tariftreue, Mitbestimmung, etc. bevorzugen). Die Tarifbindung muss auch auf europäischer Ebene gestärkt werden. Fördermittel müssen bevorzugt an tarifgebundene Firmen gezahlt werden. Die Tarifautonomie muss in allen Mitgliedsstaaten gestärkt und auf europäischer Ebene etabliert werden.
Die EU darf keinen Druck mehr in Richtung Privatisierung und Liberalisierung ausüben. Auch bereits getätigte Liberalisierungen sollten geprüft und gegebenenfalls zurückgenommen werden.
Der EuGH braucht eine Kammer für Arbeits-, und Sozialrecht, um die jetzigen und zukünftigen Standards einklagbar zu machen.
Die Arbeitnehmermobilität muss fair gestaltet werden. Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit muss bekämpft werden. Die neue Entsenderichtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. Auch für die Beschäftigten im Transport-Sektor müssen die Regelungen ab dem ersten Tag gelten. Zentrale Forderung ist eine effektive Europäische Arbeitsbehörde (ELA). Diese muss Arbeitskontrollen in Zusammenarbeit mit nationalen Stellen durchführen und koordinieren. Eine Europäische Sozialversicherungsnummer ist die Voraussetzung für eine Verbesserung von Kontrollen und um Missbrauch vorzubeugen.
Handelsabkommen müssen den Sozial- und Arbeitnehmerschutz zur Voraussetzung des Handelns machen und Schutzmaßnahmen gegen alle Prozesse von Lohn- und Sozialdumping fordern und fördern. Die domestic advisory groups unter Beteiligung der Gewerkschaften müssen hier bei Nichtachtung sanktionsbewehrte Verfahren einleiten können. Transparenz und Offenheit müssen jedes Handelsabkommen begleiten.
Just Transition – mit den Gewerkschaften!
Das gewerkschaftliche Konzept zur „Just Transition“ muss zu einem Wesentlichen Bestandteil der europäischen Energie-, und Klimapolitik und der Energieunion werden. Strukturwandel müssen gerecht und nachhaltig gestaltet werden, sonst werden die Menschen die Bekämpfung des Klimawandels nicht mittragen.
Hierzu braucht es eine transnationale, intelligente, sozialdemokratische Industriepolitik. Diese muss sich an sozialen, ökologischen und dann ökonomischen Standards orientieren.
Neu geschaffene Arbeitsplätze und „green jobs“ müssen auch den Standards der „guten Arbeit“ entsprechen. Tarifbindung und Mitbestimmung müssen hier umgesetzt werden.
Jeder struktureller Wandel muss begleitet werden durch Bildungsmaßnahmen, um keine Arbeitnehmerin und keinen Arbeitnehmer zurückzulassen. Diese Bildungsmaßnahmen sollten mit Eu-Förderungen unterstützt werden.
Eine sozialdemokratische Antwort an Emmanuel Macron
Zusätzlich zu den Forderungen braucht es endlich eine sozialdemokratische Antwort an Emmanuel Macron. Europa ist in Gefahr, es zu erhalten verlangt auch ein Vertiefen der Allianzen mit den übrig gebliebenen Europafreundinnen und Europafreunden. Der nachfolgende Text ist als Ergänzung und Reaktion zum Papier der Grundwerte-Kommission zu sehen und von der Parteiführung für eine Antwortformulierung zu verwenden.
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland steht viel auf dem Spiel. Wenn jetzt, in wirtschaftlich vergleichsweise günstigen Zeiten, nicht gehandelt wird, steht Europa bei künftigen Krisen vor dem Zerfall. Deshalb begrüßen wir zunächst, dass der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinen Zukunftsvisionen ein friedliches, geeintes Europa vorantreiben und Europa in den Fokus der europäischen und nationalen Aufmerksamkeit rücken will. Die deutsche Bundesregierung muss diesen Gesprächsfaden endlich aufnehmen. Das dröhnende Schweigen der Bundeskanzlerin verstößt gegen den Koalitionsvertrag und gefährdet die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, auch in Deutschland. Die SPD-Grundwertekommission hat erkannt, dass die nötige Antwort auf die Ansinnen Emmanuel Macrons nachdrücklich und sozialdemokratisch sein muss und vor allem auch, dass sie nicht mehr länger auf sich warten lassen sollte. In Zeiten starker nationalistischer Tendenzen innerhalb und außerhalb der EU kann nur eine freiheitliche, soziale und demokratische Europäische Union die Zukunft sein. Dies gilt allerdings für die nationalen Politiken ebenso wie für die europäische Ebene. Die AfA kritisiert deshalb weite Teile der französischen sogenannten Reformpolitik. Umverteilung nach oben, Privatisierung und Abbau von Arbeitnehmerrechten passen nicht in ein gemeinsames Europa. Wer Beschäftigung und Investitionen, Finanzmarkt-Stabilität und gemeinsame Institutionen weiterentwickeln will, muss in seinem Land die Spaltung der Gesellschaft beenden, anstatt sie zu vertiefen. Macron ist daher in keiner Weise ein Vorbild für die AfA, die SPD oder die Sozialdemokratie im Allgemeinen.
Reformen für ein soziales Europa
Macrons Liste für die Schlüssel zur Souveränität der EU ist in unseren Augen unvollständig. Die EU kann sich nur als eigenständig und vollständig betrachten, wenn sich die Erwartungen der dort lebenden Menschen nach einem guten, friedlichen und erfüllten Leben erfüllen können. Das ist überhaupt die ganze Rechtfertigung für das Projekt und die Idee der Europäischen Union. Dies gehört an die erste Stelle einer Antwort an Macron. Die soziale Säule der EU darf nicht weiterhin eine nachrangige Dekoration bleiben. Regelungen zum Mindestlohn, Standards für Arbeitnehmer/innen-Schutz, Elternzeit, hohe Mindeststandards für soziale Sicherung, integrative Arbeitsmarktpolitik, gerechte Besteuerung auch großer Kapitalerträge und Vermögen zur Entlastung der Arbeitseinkommen, Sicherung und Ausbau der Mitbestimmung sowie Stärkung der Tarifbindung und der Gewerkschaften gehören auf die europäische Agenda – und zwar nicht als Ersatz für nationale Regelungen, jedoch als Absicherung gegen Lohn- und Sozialdumping und gegen eine weitere Polarisierung von Regionen und Gesellschaftsschichten. Den Forderungen der Grundwertekommission nach einer Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) und einem EU-Arbeitsminister entsprechen der Beschlusslage der AfA und sind grundsätzliche Forderungen für ein stärkeres, gerechteres Europa. Wir fordern ausreichend Rechte und Personal für die ELA unter Einbeziehung der Sozialpartner. Bevor es einen Minister für Euro-Finanzen gibt, wie Macron ihn fordert, fordert die AfA eine EU-Institution, ein Ministerium für Arbeit und Soziales. Deren Aufgabe wäre zunächst vor allem, die Einhaltung der Regeln zu überwachen und durchzusetzen, sei es durch direktes behördliches Handeln, vorrangig aber durch intensive Kooperation mit nationalen Institutionen. Die EU darf nicht nur Staatshaushalte und ökonomische Rahmendaten überwachen, sondern muss ihre Schutzfunktion gegenüber den finanziell Schwächeren wahrnehmen, auch dort, wo nationale Behörden bisher versagen. Zudem brauchen wir eine beobachtende und präventiv wirkende Einrichtung, die die enormen Umbrüche in der Arbeitswelt analysiert und europäische Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigt. Den Mindestlohnrahmen an mindestens 60% des Medianlohnes EU-weit zu orientieren ist ein guter Schritt in Richtung sozialer Konvergenz, also der Angleichung zwischen den Regionen und Mitgliedsstaaten. Die AfA fordert in Übereinstimmung mit der Grundwertekommission eine Angleichung an die jeweils höheren Standards. Wir sind auch der Meinung, dass gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort gelten muss und begrüßen daher die Richtung, in die die Entsenderichtlinie soeben novelliert wird. Das Ziel ist und bleibt die gleiche Bezahlung und Behandlung der Arbeitenden am gleichen Ort, und zwar ohne jede Ausnahme. Die AfA stimmt mit Präsident Macron überein, dass die Arbeitslosigkeit innerhalb der Eurozone und in der EU abgebaut werden muss. Der neoliberale Weg ist allerdings sowohl wirtschaftlich wie politisch gescheitert. Arbeitsmarktreformen, wie sie Macron für Frankreich in seiner Rede in der Sorbonne als Beispiel von nationaler Verantwortung benannt hat, lehnen wir daher im Grundsatz ab. Sowohl seine Durchlöcherung des Kündigungsschutzes, die Begrenzung der Höhe von Abfindungen, Einschnitte in die Renten, das Streichen von Stellen im öffentlichen Dienst, die Beschneidung von Mitbestimmung als auch das weitgehende Streichen der Vermögenssteuer sind weder mit den Interessen der Arbeitnehmer/innen noch mit sozialdemokratischen Grundwerten vereinbar, geschweige denn vor dem deutschen Erfahrungshintergrund empfehlenswert.
„Schnell umsetzbare Projekte: Europäische Agentur für radikale neuartige Innovationen, Europäische Universitäten“
Der Grundgedankte einer EU-weiten Agentur für „radikale neuartige Innovationen“ birgt manche Vorteile. Das Teilen von Wissen und Forschung führt zu optimalem Output. Forschung und Wissenschaft sind wichtige Pfeiler für den Wohlstand und den Fortschritt in unserer Gesellschaft. Derartige Innovationen haben jedoch auch das Potential, traditionelle Produktionsformen zu ersetzen oder massiv zu verändern. Dies hat erhebliche Konsequenzen für Arbeitsplätze. Daher spricht sich die AfA dafür aus, in einer möglichen Agentur für „radikale neuartige Innovationen“ insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeit und den möglichen Strukturwandel in den Regionen erforschen zu lassen, um die Veränderungen vorausschauend gestalten zu können. Wir stimmen mit Macron darüber überein, dass sich die digitale Revolution um „Talente“ dreht, also um qualifizierte Menschen. Anders als Macron fordern wir allerdings, diese „Talente“ zu schaffen anstatt sie aus anderen Ländern heranzuziehen. Es gibt noch viel zu viele, auch gut gebildete Arbeitslose in der EU und Millionen junge und ältere Arbeitsuchende, die das reiche Europa selbst weiterqualifizieren muss. Brain Drain ist sowohl in Drittstaaten, als auch in EU-Ländern zu bekämpfen!
Gemeinsame Afrika- und Europäische Nachbarschafts-Strategie, Entwicklungszusammenarbeit, Asyl- und Migrationspolitik
Die AfA stimmt mit der Position der Grundwertekommission überein und unterstützt im Besonderen den geforderten Doppelbeschluss, der einen Entwicklungs- und Investitionsfonds fordert, der Kommunen unterstützt, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen wollen. Die Kombination aus Geldern für die Integration der Geflüchteten und Gelder für die Weiterentwicklung der Kommunen kann zur besseren Integration und gleichzeitig zur Entwicklung der Kommunen beitragen. Hinzufügend begrüßen wir Macrons Vorstoß für eine ausgedehnte Partnerschaft mit Afrika. Die Betonung europäischer Werte und Standards darf jedoch nicht kolonialen Charakter haben. Auch in der Handelspolitik sollte sich eine faire Entwicklungsstrategie ausdrücken. Wir betonen, dass die Summe der Entwicklungshilfe aus der EU im Gesamten nicht sinken, sondern eher steigen sollte und eine neue Qualität gewinnen muss. Die Gelder sollten kontrolliert in Projekte fließen, die eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, Frieden und die Demokratie stärken. Wir lehnen es ab, dass internationale Konzerne Land in den Entwicklungsländern aufkaufen. Bei Investitionen in diese Länder muss darauf geachtet werden, dass die Bevölkerung den großen Teil der Belegschaft stellt, die fair entlohnt wird und Möglichkeit zur Bildung und Mitbestimmung bekommt. Vor allem kommt es darauf an, die Entwicklungszusammenarbeit nicht durch Handelspraktiken, unkontrollierten und oft illegalen Kapitalabfluss, durch egoistische politische Einflussnahmen, Waffenexporte und militärische Einmischung, Fischereipolitik und andere altbekannte unfaire Praktiken aus Vergangenheit und Gegenwart zu unterlaufen.
Sozialökologischer Umbau
Klimaschutz ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit. Die Grundwertekommission hat fünf wichtige Fragen für einen Dialogprozess vorgeschlagen, die unter sozialökologischen Aspekten auf EU-Ebene diskutiert werden müssen. Die Zukunft der Städte, Energiewende, Neuordnung des Verkehrs, Agrarwende und ökologische Industriepolitik müssen ökologisch und sozial umgesetzt werden. Saubere Luft und sauberes Wasser, ausreichende Ressourcen und eine intakte Natur sind die Voraussetzung allen Lebens und müssen gewährleistet werden. Bei all diesen Themen ist es aber auch wichtig, sie in Anbetracht sozialer Auswirkungen zu behandeln. Wir fordern daher, bei Umstrukturierungen EU-weit mit den Gewerkschaften zusammen Konzepte zu erarbeiten, wie ein Strukturwandel durch Umbrüche in der Industrie, in der Stadtpolitik, im Verkehr, in der Energie- oder der Landwirtschaft möglichst sozialverträglich und zukunftsträchtig gestaltet werden kann.
Stärkung der Europäischen Währungsunion und Wirtschaftspolitik
Wir fordern Solidarität gegenüber den finanziell schlechter gestellten Teilen der Bevölkerung in Krisenländern und ein Ende der brutalen Sparpolitik, die zu massivem Abbau von Sozialleistungen, Löhnen, Sicherheit und Arbeitsplätzen geführt hat. In diesen Ländern braucht es Investitionsprogramme in Bildung und Infrastruktur, um Wirtschaftsleistung zu ermöglichen. Sparpolitik, Umverteilung und Privatisierung werden weder zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen noch der sozialen und menschlichen Lage in diesen Ländern führen. Wir werden es nicht zulassen, dass der Eindruck erweckt wird, dass durch die europäischen „Rettungsmaßnahmen“ nebst ihren unsozialen Auflagen in erster Linie den Menschen geholfen würde. Es ging und geht um die Aufrechterhaltung des Finanz- und Bankensystems. Wir fordern eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Verteilungswirkungen und strukturellen Folgen der Strategien und Maßnahmen der europäischen „Institutionen“, ehemals Troika. Macron wünscht sich einen vereinfachten europäischen Binnenmarkt. Zu klären bleibt, was Vereinfachung konkret beinhaltet. Wir werden jedem Versuch widersprechen, Schutzregeln für Beschäftigte und Verbraucher aufzuweichen. Der französische Präsident fordert außerdem, dass Handelsabkommen (wie TTIP, CETA) transparent verhandelt und umgesetzt werden sollten. Er wünscht sich, dass diese Abkommen den umweltschutzbezogenen Ansprüchen der EU genügen.
Diese Abkommen müssen auch den sozialen Ansprüchen der EU gerecht werden. Die Arbeitseinkommen und Arbeitsbedingungen dürfen nicht weiter unter Druck geraten, im Gegenteil: Wir müssen Wege finden, wie über Mindeststandards hinaus Handelspolitik die Situation der arbeitenden Menschen direkt verbessern kann. Dies gilt umso mehr, als wir in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, dass vom Wachstum des Handels allein die Mehrheit der Bevölkerung auch in den Überschussländern nicht profitieren konnte. Grundsätzlich gilt: wo auch immer Ministerien oder europäische Behörden entstehen, bedarf es demokratischer Kontrolle. So darf es keinen Finanzminister der Euro-Zone ohne parlamentarische Kontrolle, keine Arbeitsbehörde ohne legitimierte Kontrolle seitens Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen geben.
Wachstum stärken – Ungleichgewichte abbauen – Wirtschaftspolitik europaweit koordinieren
Die Ursachen der Euro-Krise beseitigen: Für eine tragfähige und soziale Architektur der Eurozone
Die bisherigen Lösungsansätze zur Überwindung der Eurokrise verfehlen die eigentlichen Ursachen, gehen zu Lasten der Lebens- und Arbeitsperspektiven vieler Millionen Menschen, schaffen kein ausreichendes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum und bedrohen auf diese Weise den Bestand der Währungsunion und der EU als Ganzes. Ein Auseinanderbrechen der Eurozone würde unvorhersehbare wirtschaftliche Risiken für Europa und die Weltwirtschaft bedeuten. Von der damit verbundenen politischen Dimension eines gespaltenen Europa ganz zu schweigen. Als Europapartei der ersten Stunde werden Sozialdemokraten eine Spaltung Europas niemals akzeptieren. Es ist die historische Aufgabe der SPD, neu aufkeimenden, rückwärtsgewandten Nationalismus entschlossen in die Schranken zu weisen.
Doch dazu muss Europa endlich einen sozialverträglichen Pfad aus der Eurokrise einschlagen und die gravierenden Konstruktionsfehler der Währungsunion konsequent beseitigen:
– Die Kritik an einer einseitig auf Kürzungen der Lohn- und Sozialeinkommen abzielenden Politik reicht quer durch sämtliche ökonomische Schulen, wie die Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger im Juli 2014 in Lindau eindrucksvoll dokumentiert hat. Europa braucht vordringlich eine gemeinsame Wachstums- und Investitionsstrategie, eine Rückkehr zum Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten, mehr Koordinierung und Harmonisierung sowie institutionelle Reformen. Notwendige Strukturreformen zur Überwindung von je besonderen nationalen Entwicklungsblockaden (z.B. Immobiliensektor in Spanien, effektive Verwaltungen in Italien oder Griechenland, Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung u.a.) können ihre Wirksamkeit am besten entfalten, wenn sie in eine Wachstumsstrategie eingebettet sind.
– Die Webfehler der Währungsunion bestehen in der mangelnden politischen Koordination der makroökonomischen Größen und in der Institutionalisierung einer neoliberalen Wirtschaftsdoktrin. Mit Blick auf die Leistungsbilanzen, die Lohn- und Inflationsentwicklung sowie auch auf die Steuerharmonisierung muss der sukzessiven Abbau der bestehenden Ungleichgewichte konsequent ins Visier genommen werden. Die wirtschafts- und steuerpolitische Integration muss entscheidend vertieft, Europa mithin zu einer echten Wirtschafts- und Sozialunion weiterentwickelt werden. Eine regelgebundene Finanzpolitik und Schuldenabbau sind in diesem Rahmen unverzichtbar. Doch genau deshalb müssen sich Sozialdemokraten in ganz Europa auf den Weg machen, eine zum Dogma geronnene und im Kern neoliberale Austeritätspolitik zu überwinden. Denn die neoliberale Wirtschaftsdoktrin generiert aufgrund ihrer einseitigen Sparfixierung viel zu wenig Investitionsdynamik und Wirtschaftswachstum. Sie versperrt damit vor allem den Krisenstaaten die Möglichkeit, sukzessive aus der Verschuldung herauswachsen zu können. Zudem geht die Austeritätspolitik immer nur zu Lasten der Lohn- und Sozialeinkommen der breiten Schichten und führt zum drastischen Abbau von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten. Europa braucht deshalb einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel für mehr Wachstum und Investitionen und eine dauerhaft tragfähige Architektur der Eurozone.
Ein sozialverträglicher Wachstumspfad aus der Eurokrise ist möglich
Ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Europa
Es kommt entscheidend darauf an, europaweit abgestimmt für mehr realwirtschaftliches Wachstum zu sorgen, damit die Staaten sukzessive aus der Verschuldung herauswachsen können. Europa braucht dringend eine europaweit koordinierte Wachstumsstrategie – etwa in Anlehnung und Fortschreibung der alten Pläne zum Ausbau der europäischen Infrastruktur von Jaques Delors. Der Juncker-Plan ist dafür kein Ersatz: Er zeigt zwar die richtige Einsicht, dass mehr Investitionen nötig sind, beschränkt sich dazu aber auf Umdeklarierung von Haushaltsmitteln und setzt auf die Hebelwirkung von Kreditmärkten, die gerade ihre Unfähigkeit erweisen, produktive Investitionen in Gang zu setzen.
Insbesondere für die Krisenländer gilt: ohne Wachstum keine Steuereinnahmen, ohne Steuereinnahmen keine erfolgreiche Konsolidierung. Diese Länder müssen deshalb wieder auf einen Wachstumspfad zurückkehren können. Dieser Weg muss durch ein europäisches Programm für öffentliche Zukunftsinvestitionen unterstützt werden. Damit ein solches Investitionsprogramm tatsächlich eine spürbare Wirkung auf die europäische Wirtschaft hätte, müsste es ausreichend groß dimensioniert sein. Das Ausgabevolumen sollte dabei mindestens ein Prozent des Euro-Zonen-BIP, also rund 100 Milliarden Euro jährlich ausmachen. Gefordert ist in diesem Zusammenhang eine investitionsfördernde Reform des Fiskalpaktes. Denn die geltenden Fiskalregeln der EU ebenso wie die
Vorgaben zur Haushaltssanierung durch die ESM-Programme und den IWF haben dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren öffentliche Ausgaben in einer Art und Weise gekürzt wurden, die das Wirtschaftswachstum in Europa sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite stark belastet. So wurden unter anderem Ausgaben für öffentliche Investitionen in Infrastruktur ebenso massiv gekürzt wie Bildungsausgaben und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Sowohl in Deutschland als auch in der Eurozone insgesamt liegen die öffentlichen Nettoinvestitionen (also Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen für Abnutzung) nun im negativen Bereich. Sprich: die öffentliche Infrastruktur verfällt zusehends. Nach allen Erkenntnissen der neueren Wachstumstheorie sind allerdings gerade diese Ausgaben besonders wichtig für die Effizienz einer Volkswirtschaft, ihren technologischen Fortschritt und das mittelfristige Wachstumspotential. Ein europäisches Wachstumsprogramm muss deshalb entschieden daraufsetzen, diese öffentlichen, produktivitätssteigernden Ausgaben wieder zu erhöhen.
Ausgleich von Leistungsbilanzungleichgewichten durch mehr Binnennachfrage
Entscheidende Wachstumsimpulse für die Eurozone müssen von den Überschussländern ausgehen. Diese müssen ihre eigene Binnennachfrage und ihre Inlandsinvestitionen substanziell erhöhen, weil die Leistungsbilanzdefizitländer kaum eigene expansive Impulse setzen können. Vor allem Deutschland ist hier gefordert es muss seinen Niedriglohnsektor zurückdrängen, die öffentlichen Investitionen ausweiten und zudem über ein höheres Lohnniveau einen wesentlichen Beitrag zur dauerhaften Erhöhung der Binnennachfrage leisten. Der Ausgleich der Ungleichgewichte kann nur beidseitig gelingen. Denn zum einen kann eine reine Abwärtsanpassung des Preis- und Lohnniveaus in den Krisenländern der Euro-Zone nicht gewünscht sein. Preis- und Lohnsenkungen machen nämlich tendenziell die Bedienung der Schulden von Haushalten, Unternehmen und der öffentlichen Hand noch schwieriger, weil die reale Schuldenlast steigt. Dies führt zu weiteren Problemen im Bankensektor und zu einer dauerhaft gedämpften gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Zum anderen wäre eine einseitige Anpassung der Krisenländer auch alles andere als nachhaltig: Denn die Eurozone insgesamt – deren Leistungsbilanz einigermaßen ausgeglichen ist – würde dann hohe Überschüsse im Handel mit anderen Wirtschaftsregionen ausweisen und den Euro in eine massive Aufwertungstendenz bringen. Alle Bemühungen der Krisenländer, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, würden durch eine Aufwertung konterkariert. Deshalb ist die makroökonomische Koordinierung von zentraler Bedeutung.
Steuer-, Lohn- und Sozialdumping verhindern
Die Eurozone muss eine gezielte Steuer-, Sozial- und Inflationskonvergenz anstreben. Es braucht auf hohem Niveau harmonisierte Körperschaftssteuern mit vergleichbaren steuerlichen Bemessungsgrundlagen sowie Mindestlohnkorridore und Lohnleitlinien nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Es geht darum, ein Steuer- und Lohndumping sowie die damit verbundenen unkoordinierten realen Abwertungen im Euroraum besser unterbinden zu können. Eine gemeinsame Währungsunion kann nur dann funktionieren, wenn das vereinbarte Inflationsziel von allen Mitgliedsstaaten verfolgt wird. Demnach muss gewährleistet werden, dass jedes Land seine Löhne jährlich in angemessenem Umfang steigert. Das bedeutet insbesondere, dass Krisenstaaten, welche ein zu hohes Lohnwachstum in der letzten Dekade generiert haben, nun Lohnzurückhaltung üben müssen, während in Überschussländern, insbesondere in Deutschland, Lohnzuwächse von deutlich über zwei Prozent über den Produktivitätszuwächsen realisiert werden müssen.
Europäische Regulierung des Finanz- und Bankensektors
Der Finanz- und Bankensektor muss einer strikten und europaweit wirksamen Regulierung unterzogen und die Verursacher der Finanzkrise über eine europaweite Finanztransaktionssteuer zur Tilgung der Staatsdefizite herangezogen werden. Ohne Wirtschaftswachstum kann die Konsolidierung dauerhaft nicht gelingen. Eine weitere wichtige Bedingung für erfolgreiche Konsolidierung besteht aber darin, ausreichende Steuereinnahmen zu generieren. Deshalb müssen die Krisenverursacher – die Finanzmärkte – an der Finanzierung der Krisenfolgen durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer beteiligt werden – konzipiert mit breiter Bemessungsgrundlage und wenigen Ausnahmen. Der Steuersenkungswettbewerb bei Unternehmenssteuern ist zu beenden, auch Großkonzerne und Vermögensmillionäre müssen sich angemessen an der Finanzierung ihrer Gemeinwesen beteiligen.
Schuldentilgung nicht zu Lasten des Wachstums
Die Refinanzierung der Krisenländer muss im Tausch gegen glaubwürdige Verpflichtungen zum Schuldenabbau nachhaltig abgesichert werden wie dies etwa der Sachverständigenrat mit dem sog. Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen hat. Die übermäßige Verschuldung der Euro-Länder jenseits einer Verschuldungsmarke von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung kann realistisch nur in einem Zeitraum von 20 bis 25 Jahren auf Basis einer gemeinsamen Teilhaftung abgebaut werden. Mit der Gründung eines sog. Schuldentilgungsfonds nach dem Vorschlag des deutschen Sachverständigenrats kann die Haftung – anders als bei Eurobonds – zeitlich wie volumenmäßig begrenzt und mit einer „klaren, langfristigen und glaubwürdigen Verpflichtung aller teilnehmenden Länder für den Schuldenabbau“ verbunden werden. Zudem muss die unabweisbar notwendige Umschuldung Griechenlands in Angriff genommen und die Rückzahlung der Kredite an das Wirtschaftswachstum gekoppelt werden, damit Anreize für wachstumsfördernde Maßnahmen geschaffen werden.