Die SPD-Bundestagsfraktion wird dazu aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass über Bundestag und Bundesrat der Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel in § 265 a StGB (Betrifft Erschleichung von Leistungen) nicht weiterhin Berücksichtigung findet.
Aus den Gründen:
1. „Schwarzfahren“ aus einer finanziellen Notlage heraus führt zwangsläufig zur Ersatzhaft
2. Grundrecht auf Mobilität
3. Veralteter Straftatbestand von 1935
4. Entlastung der Justiz und der Verkehrsunternehmen
5. Unterschied zwischen Ersatzfreiheitsstrafe und Erzwingungshaft
Zu 1.:
Menschen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Notlage kein Ticket für den Bus/Bahn/Zug leisten können, werden ausreichend mit der Vertragsstrafe durch die Verkehrsunternehmen gestraft. Alleine in Berlin mussten im Jahre 2016 47 % der Forderungen abgeschrieben werden, weil die Betroffenen zu arm waren, diese zu begleichen. Eine zusätzliche Auferlegung einer Geldstrafe nach § 265a I StGB führt dazu, dass diese nicht erbracht werden kann und in Ersatzhaft (§43 StGB) umgewandelt wird. Dies führt in einen Teufelskreis, da die finanzielle und soziale Not der Betroffenen durch die Strafandrohung des § 265a StGB nur verschlimmert wird und diese wohl gezwungen sind, ihre Tat zu wiederholen. Somit ist weder den Menschen, noch den Verkehrsunternehmen durch die Gefängnisstrafe geholfen.
Zu 2.:
Das Strafrecht stellt das äußerste Mittel staatlichen Strafens dar und ist dementsprechend als Ultima Ratio anzusehen. Es ist nicht verhältnismäßig jemandem eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr anzudrohen, wenn der*diejenige ein Ticket (z. B. Preis 1,50€) absichtlich nicht gelöst hat. Wir als Jusos stehen für ein Grundrecht auf Mobilität ein. Haft bedeutet jedoch für die meisten Betroffenen Stigmatisierung. Und das führt zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und zum möglichen Beginn einer daraus resultierenden kriminellen Laufbahn. Die finanzielle und soziale Not der Menschen soll gehört und nicht mit Gefängnis geahndet werden.
Zu 3.:
Das Problem des „Erschleichens“ tritt unter anderem dadurch auf, dass die Norm aus dem Jahre 1935 stammt. Damals gab es in jedem Fahrzeug des ÖPNV am Eingang eine*n Schaffner*in, bei dem*der das Ticket erworben werden musste. Diese*r konnte damals getäuscht werden, wodurch ein Bejahen des „Erschleichens“ durchaus plausibel erschien. Das ist heutzutage anders. Die Gesellschaft wie auch der ÖPNV haben sich gewandelt. Das Gesetz sollte dies auch tun.
Zu 4.:
Deutschlandweit sitzen momentan 7600 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Der größte Teil davon sind verurteilte Schwarzfahrer*innen. Jeder Hafttag kostet den*die Steuerzahler*in 146 Euro. Im Jahr 2016 wurden in Berlin 40000 Strafanträge wegen des Verstoßes gegen § 265a StGB durch eine*n Schwarzfahrer*in gestellt. Nach Hochrechnungen einer Neuköllner Richterin sind 25-30% aller Erwachsenenstrafsachen vor dem Amtsgericht Neukölln im Jahr 2011 Fälle von Leistungserschleichung gewesen. In Jugendstrafsachen stellen diese immer noch einen prozentualen Anteil von 15-20 %. (Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/landespolitik/ueberlastung-richter-wollen-keine-anklagen-gegen-schwarzfahrer-mehr/4258142.html; Abgerufen am: 04.12.17). Dies alles stellt einen vermeidbaren Kosten- und Zeitaufwand für die Justizbehörden, den*die deutsche*n Steuerzahler*in, als auch für die Verkehrsunternehmen dar. Sogar der deutsche Richterbund hat kürzlich die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens gefordert. Jena Gnisa, der Vorsitzende des deutschen Richterbunds formuliert das so: „Wenn die Unternehmen eine bessere Kontrolle aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht tun, dann darf nicht der Steuerzahler als Lückenbüßer herhalten.“
Zu 5.:
Eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens führt nicht zur automatischen Legalisierung und damit auch nicht zu einer gesetzlichen „Ermutigung“ zum Fahren ohne Ticket. Es könnte im Ordnungswidrigkeitengesetz (OwiG) ein Tatbestand eingefügt werden, der das Schwarzfahren bestraft. Zwar kann auch im OwiG zusätzlich zur Geldstrafe gem. § 96 OwiG Erzwingungshaft angeordnet werden, jedoch kann diese im Gegensatz zur Ersatzfreiheitsstrafe gem. § 43 StGB nicht verhängt werden, wenn Zahlungsunfähigkeit besteht und diese nachgewiesen wird. „Zahlungsunfähigkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts bedinge, dass der Betroffene selbst bei Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Geldquellen, Einschränkung seiner Lebenshaltungskosten und unter Anspannung sämtlicher finanzieller Erwerbsobliegenheiten nicht in der Lage sei, die Geldbuße ggf. unter Bewilligung von Zahlungserleichterungen zu zahlen, weil er entweder über keine ausreichenden flüssigen Mittel verfüge, er sich diesen Betrag nicht auf andere Weise zu beschaffen vermöge – etwa durch Aufnahme von überobligationsmäßiger Arbeit, den Verkauf von unpfändbaren Gegenständen oder sonstige Einschränkungen seiner Lebenshaltung – oder ihm die Zahlung aufgrund anderer Umstände nicht mehr zugemutet werden könne (vgl. Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2002, § 96, Rdnr. 13 mwN).“ (Quelle: https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/UrteilsanmerkungFDInsR201723) Die Anforderungen an eine Haftstrafe sind also deutlich höher und berücksichtigen den Aspekt der Zahlungsunfähigkeit. Die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe befreit nicht von der Zahlungspflicht.