A2 Bürgergeld – Alter Wein in neuen Schläuchen – keine Begriffskosmetik sondern echte Reform wäre erforderlich

Status:
Annahme

Die Leistungen nach SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) müssen so gestaltet werden, dass sie ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und Strategien zur Teilhabe beinhalten.

 

  • Die Regelsätze sind so anzupassen, dass sie die Existenz tatsächlich sichern und Teuerungsraten berücksichtigen.

 

Eine Erhöhung zum 01.1.2022 um lediglich 3,00 € (für Kinder 2,00 €) gleicht noch nicht einmal die Teuerungsrate bei den Lebensmitteln aus. Um den Aufgaben der Alleinerziehenden gerecht zu werden, dürfen hier nicht die Regelbedarfssätze der Grundsicherung herangezogen werden. Die Regelsätze für Alleinerziehende müssen deutlich über denen der Grundsicherung liegen. Die derzeitig gültigen Zuschläge gleichen die Zusatzbelastung nicht aus.

 

  • Die Energiekosten sind in tatsächlicher Höhe unter Berücksichtigung von Bausubstanz und üblichem Verbrauch zu übernehmen.

 

Die Regelsätze enthalten für Wohnungsinstandhaltung + Energiekosten derzeit einen Anteil von 8,8 %. Für einen Alleinstehenden sind dies gerade einmal 39,51 € für Strom und Renovierungen.

 

  • Bildungs- und Teilhabeaufwendungen müssen in tatsächlicher Höhe nach individuellem Aufwand und Bedarf bewilligt werden.

 

Der Anteil für Bildung beträgt derzeit 0,3 % des Regelsatzes. Für einen Erwachsenen sind dies 1,12 € monatlich, für Kinder und Jugendliche zwischen 0,71 € und 0,94 €. Zusätzlich gibt es noch 15,00 € pro Monat aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben scheidet somit von vorneherein aus. So dürfte es z. B. einem musikalisch veranlagten Kind kaum möglich sein, mit diesen Beträgen eine*n Musiklehrer*in bezahlen zu können.

 

  • Es ist wichtig beim System der Absetzbeträge vom Erwerbseinkommen zu bleiben. Diese müssen jedoch an individuelle Bedürfnisse angepasst werden.

 

Dies schafft den Anreiz, mehr zu arbeiten, da dann auch der vom Einkommen freibleibende Betrag höher ist. Sinnvoll wäre es, die Freibeträge für bestimmte Erwerbstätigengruppen zu erhöhen. So sollte für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Freibetrag höher sein als für einen Minijob. Auch beim Minijob bestünde die Möglichkeit, die sozialversicherungspflichtige Variante zu wählen.

Für Alleinerziehende sollte der Freibetrag deutlich höher angesetzt werden, da in diesen Familien nur eine Person einen Freibetrag erwirtschaften kann, in 2-Elternfamilien jedoch beide Elternteile durch Erwerbstätigkeit ein höheres Familieneinkommen erwirtschaften können.

Die Zuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen ist der falsche Ansatz. Dies schafft nur Anreize, sich im Niedriglohnsektor im Bereich der Minijobs zu betätigen, da dann nur so viel gearbeitet wird, um den maximalen Freibetrag zu erhalten.

 

  • Für größere Anschaffungen / langfristige Gebrauchsgüter muss eine bedarfsdeckende Einmalleistung nach individuellem Bedarf (z. B. Kühlschrank, Bett) gewährt werden.

 

Die erforderlichen Beträge sind aus der Regelleistung nicht ansparbar. Die derzeitige Praxis der Darlehensgewährung führt zu massiver Ver- und Überschuldung der Leistungsempfänger*in. Durch die Einbehaltung aus den Regelsätzen erfolgt eine langanhaltende oder sogar dauerhafte Unterdeckung. In der Regelleistung ist derzeit ein Anteil von 6,1 % für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände vorgesehen. Dies entspricht aktuell einem Betrag von 27,39 €. Wie von diesem Betrag zusätzlich zu laufendem Ausstattungsbedarf Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte in einem bedarfsgerechten Zeitraum angespart werden können, bleibt der Phantasie des Gesetzgebers überlassen, ist jedenfalls in der praktischen Wirklichkeit unmöglich.

 

1. Die Erfordernisse bildungsferner Schichten sind zu ermitteln und geeignete Strategien der Armutsvermeidung und
Eingliederung ins Erwerbsleben zu entwickeln.

 

2. Die Mittel für die Personalausstattung müssen deutlich erhöht werden.

 

Die qualitative und quantitative Personalausstattung muss insbesondere im Bereich des Fallmanagements verbessert werden. Ferner bedarf es einer intensiven Finanzausstattung, um entweder selbst geeignetes Personal für z. B. psychisch kranke Leistungsempfänger*innen zu beschäftigen oder Stellen bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden zur Unterstützung der Eingliederungsbemühungen dauerhaft zu schaffen.

Es müssen auch Kapazitäten für die Vernetzung von passgenauen Hilfen im Einzelfall geschaffen werden.

 

3. Für die Angemessenheit der Unterkunftskosten bestehen bereits geeignete Kriterien, auf die auch zurückgegriffen werden sollte.

 

So wäre es z. B. eine Möglichkeit, die Vorgaben des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge als Richtschnur zu nehmen. Hierfür bedarf es keiner Rechtsänderung, sondern vielmehr einer fachlich korrekten Ausübung des Ermessensspielraums durch fachlich qualifiziertes Personal in den Jobcentern.

 

4. Die sofortige Beschreitung des Rechtswegs (Widerspruch, Klage) muss erhalten bleiben. Es darf kein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren geben.

 

Ein Schlichtungsmechanismus ist ungeeignet, da sich in der Regel keine gleichberechtigten Partner gegenüberstehen, sondern es macht ein rechtsunkundiger Hilfeempfänger*innen gegenüber einer rechtskundigen Behörde einen gesetzlich normierten Rechtsanspruch geltend.

 

Im Übrigen:

In der Praxis spielt die Höhe des Schonvermögens keine bedeutende Rolle, daher bedarf es keiner Anhebung der Grenze für Schonvermögen. Nach Alter gestaffelt sind die Beträge schon im SGB II ausreichend. Sie sind z. B. deutlich höher, als es die Beträge früher in der Arbeitslosenhilfe waren. Ferner besteht bereits jetzt die Möglichkeit zusätzliches Vermögen gezielt für die Alterssicherung zu schützen. Auch ein selbst bewohntes Wohneigentum ist in angemessenem Umfang Schonvermögen. Bei den Leistungsempfänger*innen ist jedoch in der Regel kaum Vermögen vorhanden.

 

Die Potentiale der Menschen zu fördern war auch bei der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II als oberste Maxime ausgegeben worden. Der Slogan lautete „Fördern und Fordern“. Die Umsetzung erfolgte allerdings überwiegend im Bereich des Forderns. Die im Koalitionsvertrag für das Bürgergeld geplanten Maßnahmen entsprechen den in den §§ 14 bis 18e SGB II exakt aufgelistet Fördermaßnahmen im Wesentlichen und stellen somit keinen Fortschritt dar.

 

Die Beratung auf Augenhöhe ist im SGB I verbindlich als Rechtsanspruch normiert: § 14 SGB I Beratung, §§ 13 bis 15 SGB I Aufklärung, Beratung und Auskunft. Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger*innen, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Dass nun darauf geachtet werden soll, dass das bestehende Gesetz eingehalten und umgesetzt werden soll, ist aller Ehren wert. Hier und insbesondere auch für die Erarbeitung von Teilhabevereinbarungen bedarf es einer entsprechenden qualitativen und quantitativen Ausstattung der Jobcenter. Auch die Teilhabevereinbarung gibt es mit der Bezeichnung Eingliederungsvereinbarung bereits (§ 15 Abs. 2 SGB II).

 

Reine Begriffskosmetik ist der Sache wenig dienlich und wird nicht dazu führen, den Imageschaden, den „Hartz IV“ bewirkt hat, zu korrigieren. Hierfür bedarf es echter Reformen und die Fokussierung auf die individuellen Fähigkeiten und Bedarfe jeder*s einzelnen Arbeitslosen und Bedürftigen. Und: Ohne Bereitstellung von finanziellen Ressourcen wird diese Reform nicht zu bekommen sein.

Barrierefreies PDF:
Beschluss: Angenommen
Text des Beschlusses:

Die Leistungen nach SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) müssen so gestaltet werden, dass sie ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und Strategien zur Teilhabe beinhalten.

  • Die Regelsätze sind so anzupassen, dass sie die Existenz tatsächlich sichern und Teuerungsraten berücksichtigen.

Eine Erhöhung zum 01.1.2022 um lediglich 3,00 € (für Kinder 2,00 €) gleicht noch nicht einmal die Teuerungsrate bei den Lebensmitteln aus. Um den Aufgaben der Alleinerziehenden gerecht zu werden, dürfen hier nicht die Regelbedarfssätze der Grundsicherung herangezogen werden. Die Regelsätze für Alleinerziehende müssen deutlich über denen der Grundsicherung liegen. Die derzeitig gültigen Zuschläge gleichen die Zusatzbelastung nicht aus.

  • Die Energiekosten sind in tatsächlicher Höhe unter Berücksichtigung von Bausubstanz und üblichem Verbrauch zu übernehmen.

Die Regelsätze enthalten für Wohnungsinstandhaltung + Energiekosten derzeit einen Anteil von 8,8 %. Für einen Alleinstehenden sind dies gerade einmal 39,51 € für Strom und Renovierungen.

  • Bildungs- und Teilhabeaufwendungen müssen in tatsächlicher Höhe nach individuellem Aufwand und Bedarf bewilligt werden.

Der Anteil für Bildung beträgt derzeit 0,3 % des Regelsatzes. Für einen Erwachsenen sind dies 1,12 € monatlich, für Kinder und Jugendliche zwischen 0,71 € und 0,94 €. Zusätzlich gibt es noch 15,00 € pro Monat aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben scheidet somit von vorneherein aus. So dürfte es z. B. einem musikalisch veranlagten Kind kaum möglich sein, mit diesen Beträgen eine*n Musiklehrer*in bezahlen zu können.

  • Es ist wichtig beim System der Absetzbeträge vom Erwerbseinkommen zu bleiben. Diese müssen jedoch an individuelle Bedürfnisse angepasst werden.

Dies schafft den Anreiz, mehr zu arbeiten, da dann auch der vom Einkommen freibleibende Betrag höher ist. Sinnvoll wäre es, die Freibeträge für bestimmte Erwerbstätigengruppen zu erhöhen. So sollte für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Freibetrag höher sein als für einen Minijob. Auch beim Minijob bestünde die Möglichkeit, die sozialversicherungspflichtige Variante zu wählen.

Für Alleinerziehende sollte der Freibetrag deutlich höher angesetzt werden, da in diesen Familien nur eine Person einen Freibetrag erwirtschaften kann, in 2-Elternfamilien jedoch beide Elternteile durch Erwerbstätigkeit ein höheres Familieneinkommen erwirtschaften können.

Die Zuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen ist der falsche Ansatz. Dies schafft nur Anreize, sich im Niedriglohnsektor im Bereich der Minijobs zu betätigen, da dann nur so viel gearbeitet wird, um den maximalen Freibetrag zu erhalten.

  • Für größere Anschaffungen / langfristige Gebrauchsgüter muss eine bedarfsdeckende Einmalleistung nach individuellem Bedarf (z. B. Kühlschrank, Bett) gewährt werden.

Die erforderlichen Beträge sind aus der Regelleistung nicht ansparbar. Die derzeitige Praxis der Darlehensgewährung führt zu massiver Ver- und Überschuldung der Leistungsempfänger*in. Durch die Einbehaltung aus den Regelsätzen erfolgt eine langanhaltende oder sogar dauerhafte Unterdeckung. In der Regelleistung ist derzeit ein Anteil von 6,1 % für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände vorgesehen. Dies entspricht aktuell einem Betrag von 27,39 €. Wie von diesem Betrag zusätzlich zu laufendem Ausstattungsbedarf Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte in einem bedarfsgerechten Zeitraum angespart werden können, bleibt der Phantasie des Gesetzgebers überlassen, ist jedenfalls in der praktischen Wirklichkeit unmöglich.

1. Die Erfordernisse bildungsferner Schichten sind zu ermitteln und geeignete Strategien der Armutsvermeidung und
Eingliederung ins Erwerbsleben zu entwickeln.

2. Die Mittel für die Personalausstattung müssen deutlich erhöht werden.

Die qualitative und quantitative Personalausstattung muss insbesondere im Bereich des Fallmanagements verbessert werden. Ferner bedarf es einer intensiven Finanzausstattung, um entweder selbst geeignetes Personal für z. B. psychisch kranke Leistungsempfänger*innen zu beschäftigen oder Stellen bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden zur Unterstützung der Eingliederungsbemühungen dauerhaft zu schaffen.

Es müssen auch Kapazitäten für die Vernetzung von passgenauen Hilfen im Einzelfall geschaffen werden.

3. Für die Angemessenheit der Unterkunftskosten bestehen bereits geeignete Kriterien, auf die auch zurückgegriffen werden sollte.

So wäre es z. B. eine Möglichkeit, die Vorgaben des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge als Richtschnur zu nehmen. Hierfür bedarf es keiner Rechtsänderung, sondern vielmehr einer fachlich korrekten Ausübung des Ermessensspielraums durch fachlich qualifiziertes Personal in den Jobcentern.

4. Die sofortige Beschreitung des Rechtswegs (Widerspruch, Klage) muss erhalten bleiben. Es darf kein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren geben.

Ein Schlichtungsmechanismus ist ungeeignet, da sich in der Regel keine gleichberechtigten Partner gegenüberstehen, sondern es macht ein rechtsunkundiger Hilfeempfänger*innen gegenüber einer rechtskundigen Behörde einen gesetzlich normierten Rechtsanspruch geltend.

Im Übrigen:

In der Praxis spielt die Höhe des Schonvermögens keine bedeutende Rolle, daher bedarf es keiner Anhebung der Grenze für Schonvermögen. Nach Alter gestaffelt sind die Beträge schon im SGB II ausreichend. Sie sind z. B. deutlich höher, als es die Beträge früher in der Arbeitslosenhilfe waren. Ferner besteht bereits jetzt die Möglichkeit zusätzliches Vermögen gezielt für die Alterssicherung zu schützen. Auch ein selbst bewohntes Wohneigentum ist in angemessenem Umfang Schonvermögen. Bei den Leistungsempfänger*innen ist jedoch in der Regel kaum Vermögen vorhanden.

Die Potentiale der Menschen zu fördern war auch bei der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II als oberste Maxime ausgegeben worden. Der Slogan lautete „Fördern und Fordern“. Die Umsetzung erfolgte allerdings überwiegend im Bereich des Forderns. Die im Koalitionsvertrag für das Bürgergeld geplanten Maßnahmen entsprechen den in den §§ 14 bis 18e SGB II exakt aufgelistet Fördermaßnahmen im Wesentlichen und stellen somit keinen Fortschritt dar.

Die Beratung auf Augenhöhe ist im SGB I verbindlich als Rechtsanspruch normiert: § 14 SGB I Beratung, §§ 13 bis 15 SGB I Aufklärung, Beratung und Auskunft. Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger*innen, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Dass nun darauf geachtet werden soll, dass das bestehende Gesetz eingehalten und umgesetzt werden soll, ist aller Ehren wert. Hier und insbesondere auch für die Erarbeitung von Teilhabevereinbarungen bedarf es einer entsprechenden qualitativen und quantitativen Ausstattung der Jobcenter. Auch die Teilhabevereinbarung gibt es mit der Bezeichnung Eingliederungsvereinbarung bereits (§ 15 Abs. 2 SGB II).

Reine Begriffskosmetik ist der Sache wenig dienlich und wird nicht dazu führen, den Imageschaden, den „Hartz IV“ bewirkt hat, zu korrigieren. Hierfür bedarf es echter Reformen und die Fokussierung auf die individuellen Fähigkeiten und Bedarfe jeder*s einzelnen Arbeitslosen und Bedürftigen. Und: Ohne Bereitstellung von finanziellen Ressourcen wird diese Reform nicht zu bekommen sein.

Beschluss-PDF: