V3 Automobilindustrie transformieren - Mobilitätswende, Eigentumswende, Industriewende

Status:
Nicht abgestimmt

Mitglieder der Jusos München, der IG Metall Jugend München und von Fridays for Future München haben auf einem gemeinsamen Seminar über die Transformation der Automobilindustrie diskutiert. Dabei haben wir gelernt, dass es sowohl bereichernd als auch anstrengend ist, den eigenen Organisationshintergrund zu verlassen. Gleichzeitig Verbindendes zu bestärken und Trennendes zu überwinden ist eine notwendige Voraussetzung für eine demokratische Veränderung unserer Gesellschaft.

Gemeinsame Ausgangsanalyse: Die Klimakrise und die Notwendigkeit zu Handeln
Die Klimakrise bedroht unsere Welt existenziell. Wir sind uns darüber einig, dass die aktuellen Zustände radikale Antworten erfordern. Wir sind uns auch darüber einig, dass die Antworten Politische sein müssen. Die Verhaltensänderung von Individuen ist nicht ausreichend und deshalb nicht geeignet, um die Klimakrise aufzuhalten.
Unterschiedliche Interessen resultieren aus unterschiedlichen Lebenswelten und Lebensrealitäten. Es ist die Aufgabe der demokratischen Gesellschaft, diese Interessenkonflikte zu akzeptieren und zu moderieren. Durch inhaltlichen Austausch – wie zum Beispiel das oben erwähnte Seminar – ist es möglich, andere Interessen besser zu verstehen und zu erkennen, dass Interessenkonflikte nicht immer ein “Entweder- Oder” bedeuten müssen. Vielmehr sind unterschiedliche Interessen oft ein Ausdruck von verschiedenen Blickwinkeln auf dasselbe Problem.
In der aktuellen Demokratie haben verschiedene Interessenvertreter*innen unterschiedliche Stellungen. Dabei kommen gerade junge Menschen zu wenig zu Wort und Wirtschaftslobbyist*innen sorgen dafür, dass die Interessen großer Konzerne viel stärker gewichtet werden als die Interessen der Vielen in unserer Gesellschaft.
Das verbleibende CO2-Budget, das uns noch zur Verfügung steht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wird, wenn wir dem aktuellen kapitalistischen Kurs folgen, um ein Vielfaches überschritten werden. Nur, wenn wir es schaffen, Emissionen drastisch zu reduzieren, ist der Erhalt der Welt, wie wir sie kennen, möglich. Nur durch radikale Veränderung ist eine Sicherung guten Lebens auf diesem Planeten möglich.

Unser gemeinsames Ziel: Klimagerechtigkeit

Bei der Transformation der Automobilindustrie ist aus Klimaschutz-Perspektive Geschwindigkeit ausschlaggebend. Dekarbonisierung muss schnell passieren und anders als in der Vergangenheit in der Industrie als eine Herausforderung der Gegenwart und nicht der Zukunft verstanden werden. Eine Orientierung am CO2-Budget gemäß dem Pariser Abkommen macht den kurzfristigen Handlungsdruck sichtbar. Klimagerechtigkeit bedeutet für uns, den nationalen Ausstoß von Klimagasen vor 2035 auf null zu reduzieren. Darüber hinaus sollte auch die globale Verantwortung Deutschlands – als reiches Land des globalen Nordens mit hohen historischen Emissionen – gegenüber Ländern des globalen Südens, die schon heute viel stärker von den Folgen der Erderhitzung betroffen sind, bedacht werden.
Unter einer Transformation verstehen wir einen grundlegenden Wandel. Es ist ein Prozess der wesentlichen Veränderung vom aktuellen IST-Zustand hin zu einem angestrebten Ziel. Zur Bewältigung einer Transformation bedarf es einer oder mehreren Strategien. Transformation passiert auch, wenn wir sie nicht gestalten – wir müssen sie nach unseren Vorstellungen beeinflussen.
Die Transformation der Automobilindustrie umfasst für uns vor allem drei Diskussionsstränge: Zuerst wollen wir klären, wie wir mit Autos und ihrer Rolle im Verkehr umgehen wollen. Dann beschreiben wir, wie die aktuellen Eigentumsverhältnisse der Transformation der Automobilindustrie hin zu einer CO2-sparenden Produktion entgegenstehen. Abschließend zeichnen wir unsere Vision der Industrie der Zukunft.

Unsere Diskussionen verliefen oft entlang der Feststellung, dass einerseits ein kurzfristiges klimapolitisches Handeln notwendig ist, andererseits in der kapitalistischen Produktionsweise Klimagerechtigkeit nie erreicht werden kann. Wir wünschen uns Veränderungen, die grundlegend sind. Deshalb wollen wir kurzfristig und solidarisch für Klimaschutz in der kapitalistischen Welt, in der wir leben, kämpfen. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Gesellschaftsutopie, die solidarisch und mit Verantwortung gegenüber künftigen Generationen am Erhalt unserer Lebensgrundlage arbeitet, gute Arbeits- und Lebensbedingungen sichert und Kapitalinteressen, die dem entgegenstehen, überwindet. Wir wissen aber, dass diese grundlegenden Veränderungen nur demokratisch gelingen können.

MOBILITÄTSWENDE: MOBILITÄT FÜR UNS MENSCHEN – NICHT DIE AUTOS

Unsere Analyse: Das aktuelle Verkehrssystem ist klimaschädlich und sozial ungerecht

Aktuell ist unser Mobilitätssystem auf das Verkehrsmittel Auto ausgerichtet. Dies wird bspw. an der Gestaltung von Städten sichtbar. So werden zum Beispiel in München 45% der Wege mit dem Auto zurückgelegt.
Ein Auto in Deutschland kostet unsere Gesellschaft rund 5000 € im Jahr.  Diese Kosten beinhalten vor allem gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen. Sie entstehen durch gesundheitliche Schäden für die Bevölkerung, z.B. Lärmbelastung und Schadstoffbelastung, aber auch die langfristigen Auswirkungen der Klimakrise. Diese Kosten tragen auch Menschen, die kein Auto fahren. Der ÖPNV hingegen wird Nutzer*innenorientiert finanziert. Mobilitätskonzepte, deren Hauptfokus der motorisierte Individualverkehr ist, können nicht sozial gerecht sein. Diese Ungerechtigkeiten werden sichtbar in den Aspekten Sicherheit, finanzielle Exklusivität durch hohe Haltungs- und Betriebskosten und mangelnde Barrierefreiheit.
Das autozentrierte Mobilitätskonzept beinhaltet auch eine starke Komponente der Geschlechterungerechtigkeit: Das soziale Geschlecht hat nämlich in Kombination mit anderen ökonomischen und sozialen Faktoren aufgrund von Rollenzuschreibung und -erwartungen Auswirkungen darauf, wie wir uns fortbewegen (wollen). Wer viel Care-Arbeit übernimmt, hat oft kleinteiligere Wege zu bewältigen die einfacher zu Fuß, mit dem Fahrrad oder ÖPNV zurückgelegt werden können. Die autozentrierte Verkehrsplanung ist in einer Gesellschaft, in der das Auto Männlichkeit rekonstruiert, Ausdruck der tief in der Gesellschaft verankerten patriarchalen Strukturen.
Doch auch der ÖPNV und öffentliche Räume wie Parks oder Grünflächen entsprechen momentan nicht ausreichend unseren Ansprüchen an barrierearme und geschlechtergerechte Planung.
Viele FINTA* (Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender) Personen meiden, besonders am Abend oder in der Nacht, bestimmte Wege aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Wer es sich leisten kann, weicht deshalb notgedrungen auf die Nutzung eines Autos aus.
Der öffentliche Personennahverkehr, Fußgänger*innenwege und Fahrradwege sind voller Barrieren und schließen Personen mit Mobilitätseinschränkungen genauso wie Familien mit Kinderwagen systematisch aus. Die meisten Menschen sind auf die Nutzung eines Autos geprägt und der Besitz gilt immer noch als Statussymbol. Es gibt Personengruppen, die auf das Auto angewiesen sind. Insgesamt entsteht durch die aktuell stark erhöhten Sprit-Preise infolge des Ukraine-Kriegs und des Gewinnstrebens der Mineralölkonzerne eine hohe finanzielle Belastung ohne Ausweg für einen Großteil der Bevölkerung. Unsere Gesellschaft braucht also eine umfassende und rasche Mobilitätswende.
Wir fordern die Umgestaltung vom autogerechten Mobilitätssystem hin zu einem menschengerechten. Jeder Mensch soll sich unabhängig von ökonomischen, sozialen, demografischen und körperlichen Voraussetzungen frei im Verkehrssystem bewegen können.

Weniger Individualverkehr und mehr ÖPNV

Im Mobilitätsverhalten muss es eine Verlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr (MIV) hin zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geben. Damit dies gelingt, muss der ÖPNV massiv ausgebaut werden und der MIV auf das Mindestmaß begrenzt werden.

Ausbau des ÖPNVs (bedürfnisorientiert, barrierearm) 
Dabei ist es elementar, dass der Aus- und Umbau des ÖPNVs bedürfnisorientiert geschieht. So sollen Barrieren überwunden werden, zum Beispiel durch verständliche Stationsansagen und Beschilderungen und gut zugängliche Aufzüge. Außerdem sollen feministische Perspektiven in die Planung des Umbau des ÖPNVs einfließen. Das heißt bessere Ausleuchtung von Bahnhöfen und eine höhere Taktung der öffentlichen Verkehrsmittel. Ein klimaneutraler ÖPNV muss mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Kosten des ÖPNVs sollen außerdem solidarisch durch einen einkommensabhängigen Beitrag auf die gesamte Gesellschaft verteilt werden.

Autofreie Zonen in Städten
Die Reduzierung des MIV soll durch Pilotprojekte, wie z.B. das autofreie Tal in München, vorangetrieben werden. Unser Ziel ist es, den MIV aus den Innenstädten zu verbannen. Für einen barrierearmen und gerechten Zugang (nicht alle Menschen können zu Fuß gehen oder Fahrrad bzw. ÖPNV nutzen) sind Mobilitätsmöglichkeiten wie Shared Taxis notwendig. Push-Maßnahmen, wie die alternative Nutzung und die gezielte Bepreisung von Parkplätzen, können dabei die Bevölkerung zur umwelt- und sozialverträglichen Mobilität bewegen.

Umverteilung des öffentlichen Raums
Durch die Begrenzung des MIVs werden v.a. in der Stadt neue Flächen frei. Diese neuen Freiräume können beispielsweise für kulturelle und soziale Projekte verwendet werden.
Außerdem entsteht mehr Platz für die Mobilitätsformen des Umweltverbundes, z.B. für Fußgehende und Fahrradfahrende. Besonders Synergien mit der Klimaanpassung durch neue Grünflächen müssen genutzt werden. Langfristig kann eine Neuverteilung der Fläche stattfinden, die unbedingt zugunsten der Menschen und der Umwelt passieren muss.

Wir brauchen auch eine Antriebswende

Wenn MIV, dann klimaneutral
Wie zuvor gezeigt, braucht es vordergründig eine Verlagerung des Verkehrs vom MIV hin zum Umweltverbund. Allerdings ist auch klar, dass ein gewisser Restbedarf an MIV bleiben wird. Dies betrifft beispielsweise mobilitätseingeschränkte Personen, Lieferverkehr und Handwerker*innen. Die essentielle Herausforderung in der Transformation der Automobilindustrie ist es somit, Produkte anzubieten, die hohen sozialen und ökologischen Standards folgen. Dafür braucht es eine Antriebswende – das bedeutet eine Abkehr von Antrieben, die mit fossiler Energie betrieben werden – sowie den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen bzw. den Einsatz recyclingfähiger Materialien im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.

Batterie Elektrische Antriebe sind die Nachhaltigsten für MIV
Die aktuell effizienteste und nachhaltigste Antriebstechnologie ist die von Batterie- Elektrofahrzeugen (Abkürzung: BEV). Daher soll von sowohl staatlicher als auch unternehmerischer Seite diese Technologie und ihre weitere Erforschung und Verbesserung gefördert werden.
Wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge (Abkürzung: FCEV) lehnen wir als Lösung für die Antriebswende der Privat-PKWs ab. Allgemein haben Brennstoffzellen einen sehr ineffizienten Wirkungsgrad und Grüner Wasserstoff wird in naher Zukunft in anderen Bereichen (Luftfahrt, Schwerlasttransport, Chemieindustrie) benötigt. Deshalb sollte auch für genau diese Bereiche die Forschung für mit Grünem Wasserstoff betriebene Technologien durchaus weiter gefördert werden. Jedoch muss unbedingt verhindert werden, dass die Hoffnung auf technologischen Fortschritt die sofort nötigen Veränderungen in Verhalten und den Einsatz bereits zur Verfügung stehender Technologien ausbremst.

Die Vorteile der Sektorkopplung nutzen  
Im Kontext von Elektroautos sehen wir auch Chancen in der sogenannten Sektorkopplung. Beispielsweise können Elektroautos mit Solarzellen auf dem Dach gebaut werden, sodass die Batterie mit selbst erzeugtem Solarstrom geladen, also der Mobilitäts- mit dem Energie-Sektor gekoppelt wird.

Hybrid-Fahrzeuge sind nicht Teil der Lösung
Die bestehenden Förderungen von Hybrid-Fahrzeugen bewerten wir angesichts der darin verbauten und überwiegend genutzten, auf fossilen Kraftstoffen basierenden Verbrennungsmotoren als absolut kontraproduktiv. Aus einer Vielzahl von Gründen sind diese kein sinnvoller Beitrag zur Mobilitätswende, sondern lediglich ein fossiler Lock-In.

Bedarfsorientierte Anreize für E-Mobilität 
Angesichts der heutigen Preise neuer Elektrofahrzeuge wird deutlich, dass der Zugang zu solchen als eine Frage sozialer Gerechtigkeit betrachtet werden muss. Denn Menschen, die auf motorisierten Individualverkehr angewiesen sind, müssen auch bezahlbaren Zugang zu nachhaltigen Formen des motorisierten Individualverkehrs haben. Dies gilt nicht nur für das E-Auto selbst, sondern auch für eine angemessene Ladeinfrastruktur. Daher fordern wir bedarfsorientierte Anreize und Subventionen im Bereich der Elektromobilität und staatlich gesicherte Ladeinfrastruktur. Wir sind davon überzeugt, dass nicht jede*r ein eigenes Auto besitzen muss. Car-Sharing und Mobilitätsstationen können einen wichtigen Beitrag leisten, Hürden zur gemeinschaftlichen Nutzung von Elektromobilität abzubauen.

Stadt und Land unterschiedlich betrachten

Ländliche Regionen bei der Mobilitätswende nicht abhängen!
Wir erkennen an, dass unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse in städtisch und ländlich geprägten Regionen vorherrschen. Deshalb müssen für Stadt und Land unterschiedliche Mobilitätskonzepte entwickelt werden. Dabei muss besonders darauf geachtet werden, dass strukturschwache Regionen nicht weiter abgehängt werden. Der Ausbau des ÖPNV und der Fahrradinfrastruktur ist auch in ländlichen Regionen unabdingbar. Viele Menschen dort sind auf ihr Auto angewiesen, das ÖPNV-Netz ist nicht ausreichend ausgebaut. ÖPNV, der nur wenig ausgelastet ist, bringt keine Einsparung von Emissionen gegenüber dem MIV. Deshalb müssen insbesondere in ländlichen Regionen Mobilitätskonzepte anders gedacht werden. Nichtsdestotrotz sind wir der Auffassung, dass auch in ländlichen Gebieten die Nutzung des MIV reduziert werden muss. Die Mobilität auf dem Land muss in Zukunft multimodal (aus verschiedenen Verkehrsmitteln bestehend) sein, um Emissionen zu reduzieren.

Park&Ride als Schnittstellenlösung zwischen Stadt & Land
Der Ausbau von Park&Ride-Angeboten und deren kostenlose Nutzung für alle Bürger*innen ermutigt zur Nutzung des ÖPNV für Teilstrecken. Gerade für Pendler*innen kann dies in Verbindung mit einer niedrigpreisigen Tarifgestaltung im ÖPNV eine zugängliche Mobilitätslösung für die Verbindung zwischen Stadt und Land bieten.

Lieferverkehr

Effizientere Organisation der Lieferketten 
Beim Umbau unseres Mobilitätssystem muss besonders in der Stadt der Lieferverkehr mitgedacht werden. Die Lieferung von Päckchen, Lebensmitteln oder Post wird momentan von vielen unterschiedlichen Logistikdienstleister*innen mit großen Transportern geliefert. Durch zentrale Logistikstellen in Quartieren können Lieferketten effizienter gestaltet werden. Diese Logistikstellen können als Teil der Daseinsvorsorge von Kommunen aufgebaut werden. Der Transport vom Logistikzentrum zu den Empfänger*innen soll mit Lastenfahrrädern durchgeführt werden.
Wir fordern einen deutlichen Ausbau der Schieneninfrastruktur zum Warentransport, um insbesondere auf langen Strecken eine emissionsarme Alternative zu interregionalen und internationalen Transportwegen mit LKW zu schaffen.

AKTUELLE EIGENTUMSVERHÄLTNISSE STEHEN DER TRANSFORMATION DER AUTOMOBILINDUSTRIE ENTGEGEN
Die Ausbeutung von Mensch und Natur gehen in der kapitalistischen Produktionsweise  miteinander Hand in Hand, finden aber auf unterschiedliche Art und Weise statt. Wenige Menschen haben die ökonomische Macht, über die Ressourcen und Produktionsweise zu entscheiden, deren Verbrauch jedoch Auswirkungen auf uns alle hat. Solange fossile Energieträger vorhanden sind, gibt es ein ökonomisches Interesse, diese zu verkaufen, die Nachfrage danach aufrechtzuerhalten und damit auf Kosten nachfolgender Generationen zu wirtschaften sowie die Entscheidungsgewalt darüber außerhalb demokratischen Zugriffs zu halten.
Solange die Eigentumsverhältnisse so sind und solange Entscheidungen über beispielsweise Energieträger von einigen wenigen getroffen werden, ist echter Klimaschutz, der das 1,5 Grad Ziel erreicht, nicht realisierbar.
Entscheidungen werden so getroffen werden, dass sie kurzfristig den Gewinn erhöhen, ohne die Folgen für die aktuelle und nachfolgende Generationen zu berücksichtigen.
Unser Ziel ist die Abkehr von der Gewinnmaximierung hin zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden, demokratischen Gesellschaft. Denn solange Arbeiter*innen auf ihre Arbeit angewiesen und gleichzeitig nicht im Besitz von Produktionsmitteln sind, wird die Ausbeutung von Mensch und Natur weitergehen.

Deshalb müssen die Produktionsmittel vergesellschaftet werden. Dadurch werden Kapital, Unternehmen und Gesellschaft umstrukturiert und gesellschaftliche Teilhabe gestärkt. So werden entscheidende Fragen der Ressourcenverwendung zum Erhalt einer lebenswerten Welt und guten Arbeits- und Lebensbedingungen gemeinschaftlich getroffen.

Fragen, auf die wir Antworten finden müssen, sind: Wer entscheidet letztendlich, wenn eben nicht top-down entschieden wird? Welche Institutionen sind sinnvoll? Wer darf z.B. entscheiden, welche und wie viele Ressourcen verbraucht werden dürfen? Wie gehen wir mit dem Interessenkonflikt um, dass Arbeiter*innen in erster Linie den Erhalt ihres Arbeitsplatzes zum Ziel haben, während das Erreichen einer klimaneutralen Produktion dem vermeintlich entgegensteht obwohl auch die Zukunft von Industriearbeiter*innen vom Erhalt unserer Lebensgrundlage abhängt? Wie machen wir es begreifbar, dass es einen fundamentalen Widerspruch zwischen Kapital und Klimaschutz gibt?

Die Demokratisierung aller Lebensbereiche
Wir erkennen an, dass wir die Eigentumsfrage nicht kurzfristig lösen werden. Auch ein Mehr an demokratischer Mitbestimmung löst die kapitalistischen Realitäten nicht auf. Dennoch braucht es im ersten Schritt eine Weiterentwicklung der demokratischen Strukturen in den Unternehmen und der Zivilgesellschaft.
Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Entscheidungen nicht zwangsläufig zur Mehrung von Kapital getroffen werden müssen. Vielmehr soll es um das Wohl der Gesellschaft gehen. Egoismus und Konkurenz unter den Beschäftigten sind keine naturgegebene Zwangsläufigkeit, sondern eine konstruierte Erzählung, die Solidarität ebenso verhindert wie Gemeinwohl und Klimaschutz.
Wir trauen den Menschen zu, demokratische Entscheidungen zu treffen und damit gemeinsam Verantwortung zu übernehmen für eine gerechtere, sozialere und ökologischere Gesellschaft. Langfristig macht die Demokratisierung die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln nicht überflüssig, sondern bereitet ihr den Weg. Den Privatbesitz von Produktionsmitteln wollen wir überwinden. Dies bedeutet, dass in Unternehmen ab einer bestimmten Größe alle Mitarbeiter*innen am Eigentum beteiligt sein müssen.
Die Grundlage für demokratische Mitbestimmung ist die Stärkung politischer Bildung, die für alle zugänglich ist.

Mitbestimmung im Betrieb
Wo sich Arbeitsplätze stark verändern oder ersetzt werden, muss die Qualität des Arbeitsplatzes erhalten bleiben. Das kann nur mit einer starken Mitbestimmung sowie planbaren, staatlichen Vorgaben und betrieblichen Investitionen funktionieren. Das bisherige Vorschlagsrecht der Betriebsräte zur Sicherung von Arbeitsplätzen muss zu einem Mitbestimmungsrecht aufgewertet werden. Planung, Gestaltung und Änderung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation einschließlich der Arbeitsverfahren und der Arbeitsabläufe müssen mitbestimmungspflichtig sein.
Bei Betriebsänderungen muss der Interessenausgleich über die Einigungsstelle durchsetzbar sein. Die Einigungsstelle hat dabei auch die überbetrieblichenAuswirkungen zu berücksichtigen. Um die Position der Beschäftigten weiter zu schützen, brauchen wir einen besonderen Rechtsanspruch auf Umschulung, Fort- und Weiterbildung für von der Transformation betroffene Branchen und staatliche Strukturhilfen. Darüber hinaus müssen Betriebsräte insgesamt ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht für die Berufsbildung erhalten.
Mitbestimmungsstrukturen schaffen die Voraussetzung dafür, den Wandel sozial gerecht zu gestalten. Dennoch sehen wir bei diesen aktuell ein großes Verbesserungspotenzial im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen.
Konkret fordern wir ebenfalls die Aufhebung der maximalen Gremiengröße der Jugend- und Auszubildendenvertretung und des Betriebsrates, die deutliche Verbesserung der Prävention und Bekämpfung von Union Busting (die systematische Unterdrückung und Sabotage von Gewerkschaften) sowie die Schaffung unabhängiger Beratungs- und Unterstützungsstellen. Gewerkschaften müssen ein digitales Zugangsrecht zu Betrieben erhalten.

Transformationsprozesse demokratisieren
Die Entscheidung, wie staatliche Strukturhilfen und finanzielle Mittel zur Gestaltung der Transformation eingesetzt werden, darf nicht den Unternehmer*innen und ihrem Kapitalinteresse überlassen werden. Wir wollen regionale Transformationsräte einrichten, in denen Delegierte des Betriebsrates und der JHV der Betroffenen Industriebetriebe gemeinsam mit Delegierten der lokalen Klimaräte und Vertreter*innen der Kommunalpolitik darüber beraten, wie die Mittel eingesetzt werden, um einerseits industrielle Produktion zu erhalten und zu transformieren, sowie andererseits eine Reduktion der CO2 Emissionen zu erreichen und Arbeitsplätze zu sichern.
Die Beschäftigten in der Industrie sehen sich nicht nur der Angst eines Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt. Gleichzeitig kämpft die Industrie mit einem enormen, hausgemachten Fachkräftemangel. Ein Grund für diesen Fachkräftemangel ist der Mangel an Ausbildungsplätzen. Während einzelne Unternehmen gar keine Ausbildungsplätze anbieten, bilden andere Unternehmen über Bedarf aus oder ihre ausgelernten Fachkräfte werden abgeworben. Dieses Ungleichgewicht wollen wir mit einer umlagefinanzierten Ausbildungsplatzgarantie, ähnlich bestehender Umlagen wie z.B. für Unternehmensinsolvenzen, beseitigen.

Ausschuss für Klimawirtschaft in den Industriebetrieben
Wir wollen einen Ausschuss für Transformation und Klimawirtschaft in den Industriebetrieben, der im Betriebsverfassungsgesetz als Pflichtausschuss verankert ist und in jedem Betrieb mit Betriebsrat eingerichtet werden muss. Dieser setzt sich aus Betriebsrät*innen (BR); Jugend- und Auszubildenden-Vertreter*innen (JAV), Expert*innen aus einem lokalen Klimarat und Arbeitgeber*innen zusammen. Um die Aufgaben zu bewältigen, soll der BR-Schlüssel im Verhältnis zur Belegschaft ausgeweitet werden. Der Transformations- und Klimaauschuss ist ein Ausschuss mit tatsächlichen Entscheidungskompetenzen. Unter diese Entscheidungen fallen einerseits die Ausrichtung der Produkte nach Kriterien der Nachhaltigkeit, zur Einsparung von CO2-Emissionen sowie die Reduktion des Ressourcenbedarfs und andererseits Entscheidungen über Produktionsformen und Produktionsbedingungen.

Produktion global denken
In einer globalisierten Wirtschaft ist es notwendig, nicht nur die lokale Produktion zu betrachten. Es gilt die gesamte Lieferkette zu betrachten. Ohne konkrete Ansätze detailliert diskutiert zu haben, erscheint uns ein verbessertes Lieferkettengesetz, das sowohl ökologische Aspekte als auch Mindeststandards für Arbeits- und Produktionsbedingungen berücksichtigt, in diesem Zusammenhang sinnvoll.
Unsere Ansätze müssen stets nicht nur national, sondern über die EU hinaus global umgesetzt werden.CO2-Ausstoß in Lieferkette und Produktion, der nicht auf null reduziert werden kann, muss durch negative Emissionen ausgeglichen werden, um Klimaneutralität sicherzustellen. Entsprechende Technologien, etwa Carbon Capture and Storage, oder Ausgleichszertifikate dürfen nicht für Greenwashing missbraucht werden und können Reduktionsmaßnahmen nicht ersetzen.

UNSERE VISION DER INDUSTRIE DER ZUKUNFT
Die Bekämpfung der Klimakrise erfordert umfangreiche Veränderungen in allen Bereichen der Industrie. Die notwendigen Transformationsprozesse lösen bei vielen Menschen Vorbehalte und Ängste aus.
Der Verlust des Arbeitsplatzes kann für die Beschäftigten in Industrieberufen als eine konkretere Bedrohung als die Vernichtung unserer Lebensgrundlage durch das Artensterben und die Folgen der Klimakrise wahrgenommen werden. Diese subjektive Wahrnehmung der Bedrohung der Lebensgrundlage nehmen wir ernst. Die Transformation der Produktion kann nur gelingen, wenn die Mitarbeitenden in die Transformationsprozesse miteinbezogen werden. Die Mitarbeitenden selbst haben das größte Interesse, dass ihre Arbeitskraft und Expertise langfristig gebraucht wird. Deswegen sind wir davon überzeugt, dass die Mitarbeitenden selbst ein Interesse daran haben, die industrielle Produktion so zu gestalten, dass sie nicht unsere Lebensgrundlage zerstört und Ressourcen künftiger Generationen verwendet.
Die Industrie ist verpflichtet, Sorge dafür zu tragen, den Mitarbeitenden zukunftsfähige Arbeit zu geben. Genauso darf die Industrie der Welt nur noch so viele Ressourcen entnehmen, wie es nötig ist, um ein Gleichgewicht zwischen Verbrauch und natürlicher Regeneration zu schaffen. Alles andere wäre eine nicht wieder gut zu machende Ungerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen.

Entwicklung
Eine zentrale Eigenschaft, der bei der Entwicklung von neuen Produkten Rechnung getragen werden muss, ist die Möglichkeit des Recyclings. Deshalb fordern wir weniger verschiedene Bauteile. Das ermöglicht eine einfachere Produktion und Reparatur – der Recycling-Prozess wird also erleichtert. Bei Produkten sollten in Zukunft immer auch Pläne mit ausgearbeitet werden, die beschreiben, wie einem Produkt ein zweites Leben gegeben werden kann und wie es wieder in seine Bestandteile zerlegt werden kann.

Produktion
Bei der Produktion entsteht der wesentliche Teil der Schadstofffreisetzung: Begonnen beim Abbau der Materialien über den Transport und Verarbeitung bis hin zur Montage und Vertrieb. Überall müssen die Belastungen der Umwelt daher erfasst, erheblich reduziert und gegebenenfalls ausgeglichen werden. Prozesse sollen so gestaltet werden, dass “Abfälle” wie z.B. Abwärme auch unternehmensübergreifend noch anders genutzt werden können. Produkte sollen aus recycelten Rohstoffen hergestellt werden und so wenig neue Rohstoffe wie möglich beanspruchen. Herstellungsanlagen und -prozesse müssen klimaneutral sein. Verpackungen sollen wiederverwendet oder recycelt werden. Transportwege müssen kurz gehalten werden.

Gebrauch
Verbraucher sollen in nachhaltigem Konsum unterstützt werden, indem Produkte in Gebrauchs- und Verbrauchsgüter aufgeteilt werden, sodass Verbrauchsgüter einfach nachproduziert und ausgetauscht werden können. Gebrauchsgüter müssen auf lange Zeit produziert werden können, um den langfristigen Gebrauch des Produkts zu ermöglichen. Komponenten des Produkts sollen bei Weiterentwicklung ausgetauscht werden können. Der sogenannten „geplanten Obsoleszenz“ sagen wir den Kampf an. Geplante Obsoleszenz bedeutet, dass Produkte frühzeitig, meist kurz nach Ablauf der Garantie und vom Hersteller gewollt kaputt gehen und durch ein neu produziertes Produkt ersetzt werden müssen.

Reparatur
Produkte müssen reparierbar sein. Sowohl Ersatzteile als auch Pläne zur Reparatur müssen einer möglichst breiten Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Genauso muss es eine Möglichkeit geben, produktspezifische Reparaturwerkzeuge zu beschaffen oder herzustellen, damit auch unabhängige kleine Betriebe Reparaturen durchführen können. Durch unabhängige Angebote und einer verhinderten Monopolisierung von Reparaturdienstleister*innen werden die Verbraucher*innen geschützt. Eine aktive Sharing Economy soll auch bei Werkzeugen gelebt werden.

Recycling
Einsparung von Ressourcen und deren Wiederverwertung sind nicht nur kostengünstiger, sondern auch in Hinblick auf den Einsatz von Arbeitskraft, Zeitaufwand und Produktionsmittel einiges effizienter.
In ihre Bestandteile zerlegbare Produkte sind das Ziel. So können noch zu gebrauchende und reparierbare Bestandteile wiederverwendet werden. Ist dies nicht mehr möglich, müssen die Produkte recycelt werden. Darüber wie die Produkte recycelt werden können, muss der*die Kund*in beim Kauf ebenso informiert werden wie über die Recyclingraten der verbauten Materialien. Der Staat muss die Reparatur als Dienstleistung fördern. Dadurch entstehen neue Arbeitsbereiche, besonders für kleine Handwerksbetriebe, mit neuen Arbeitsplätzen. Zusätzlich werden bestehende gestärkt.

Digitalisierung in Unternehmen
Unternehmen müssen ihre bestehenden, teilweise nicht zukunftsfähigen Geschäftsfelder transformieren. Diese können durch konsequente Digitalisierung erschlossen werden. Dazu darf Digitalisierung nicht länger lediglich als eine Form der Automatisierung oder Möglichkeit neuer Verwaltung wahrgenommen werden. Stattdessen müssen die Potenziale von digitalen Geschäftsmodellen und Plattformen erkannt werden. Schafft man diese Digitalkompetenz im eigenen Unternehmen, ist man nicht auf Tech-Konzerne angewiesen, die immer weiter in das Geschäftsfeld der Automobilindustrie vorrücken. Viele Firmen nutzen zur Zeit Nachhaltigkeitskonzepte zum Entwickeln von Prototypen für Ausstellungen und Veranstaltungen. Dabei wird versucht, Greenwashing zu betreiben, da diese Prototypen in den wenigsten Fällen wirklich umgesetzt werden und in die Produktion gehen. Dies zeigt, dass die Konzepte bereits in der Automobilindustrie angekommen sind, jedoch mehr in die Tat umgesetzt werden müssen.

CO2-Bepreisung und Umverteilung
Die Folgen der Erderwärmung erzeugen schon heute hohe Kosten. Ein Beispiel sind die häufigeren Waldbrände und Überschwemmungen. Diese Kosten werden in absehbarer Zeit steigen. Ebenso wird auch die nötige Transformation viel Geld kosten und Anreize benötigen.
Die Gefahr besteht, dass diese Kosten nicht gerecht verteilt werden. Um dem entgegenzuwirken, ist das Ziel, klimaschädigende Konzerne nach dem Verursacher*innen- Prinzip auf eine sozial gerechte Weise in die Verantwortung zu nehmen.
Wo Ordnungspolitik, etwa Produktstandards, an ihre Grenzen kommt, kann die CO2-Bepreisung in ausreichender Höhe zusätzliche Anreize für klimaschonendes Wirtschaften setzen. Unterschiedliche Modelle der CO2-Bepreisung berücksichtigen soziale Aspekte unterschiedlich stark. Konzepte wie das Klimageld, also eine pauschale Rückverteilung pro Kopf mit progressiver Wirkung (Menschen aus der unteren Einkommenshälfte haben durchschnittlich einen wesentlich geringeren CO2-Ausstoß und erhalten mehr Geld, als sie abgeben), können darauf eine Antwort liefern.

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