- Als SPD werden wir das bisherige in Bayern gültige Übertrittsverfahren abschaffen.
- Wir werden anstelle des ungerechten Übertrittsverfahrens („Grundschulabitur“) eine verpflichtende Elternberatung einführen und den Elternwillen freigeben.
Begründung:
Die bayerischen Regelungen zum Übertritt nach Jahrgangsstufe 4 sind besonders streng, detailliert und misslungen. Dieser Fehltritt wird seit Jahrzehnten wiederholt, aber dadurch nicht besser. Zudem beweist ein „Rechtsgutachten zur Regelung des Übergangs von der Primar- zur Sekundarstufe nach Bayerischem Schulrecht“ durch den Rechtswissenschaftler Wolfram Cremer (Bochum), dass das bayerische Übertrittsverfahren vor allem gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aber auch gegen die Bayerische Verfassung verstößt. Sein Gesamtergebnis:
„Das bayerische Übergangsregime einer strikt notenbasierten verbindlichen Übergangsentscheidung im Sinne einer Negativkorrektur des Elternwillens verletzt Art. 3 Abs. 3, S. 1-6. Alt. GG, Art. 6 Abs. 2, S. 1 GG sowie Art. 126 Abs. 1 BV sowie Art. 118 Abs. 1, S. 1 BV.“
Gegliederte Begründung in 6 Thesen
These 1: Selektion, Verfassung und Gesetz
Die Selektionsfunktion der Schule ergibt sich weder aus der bayerischen Verfassung noch aus dem Gesetz (BayEUG). Sie ist lediglich Folge einer Schulstruktur, die politisch gewollt ist.
Begründung: Die Tatsache, dass es außerhalb und innerhalb Deutschlands auch andere Schulsysteme gibt, die keine Aufteilung der Schüler:innen nach Jahrgangsstufe 4 erzwingen und trotzdem erfolgreich sind, belegt, dass es keine natürliche, pädagogische oder entwicklungspsychologische Notwendigkeit für die Aufteilung der Kinder im Alter von zehn Jahren gibt. Sie resultiert vielmehr aus dem Zusammenspiel von politischem Willen und der Verstetigung durch Tradition.
These 2: Selektion als konkurrierende Aufgabe
Die Selektion der Schule steht in Konkurrenz zu den Aufgaben, die ihr nach Verfassung und Gesetz übertragen sind.
Begründung: Die Bildung von Herz und Charakter, wie sie die Bayerische Verfassung in Art. 131 (1) verlangt, wird in Jahrgangsstufe 4 erschwert durch den permanenten Druck, bestimmte Themen zu behandeln und eine festgelegte Anzahl von übertrittsrelevanten Noten bilden zu müssen: Die Lehrer:innen haben weder den pädagogischen Freiraum, sich ausreichend um die individuellen Besonderheiten ihrer Schüler:innen kümmern zu können (Förderbedarfe, besondere Begabungen, akute Freuden und Leiden usw.), noch können sie solchen pädagogisch fruchtbaren Momenten (F. Copeis „Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess“, 1930) und Themen den gebührenden Raum gewähren, die „Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt“ nach Art. 131 (2) befördern könnten und müssten. Zu viele Kinder leiden unter dem Zwang zur Selektion, was viele Eltern an der Sinnhaftigkeit der Aufteilung zweifeln lässt.
These 3: Selektion im Widerspruch zur Inklusion
Selektion steht in logischem Widerspruch zur Inklusion und erschwert deshalb die praktische Erfüllung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Begründung: BayEUG Art 2 (2) verlangt deutlich: „Inklusiver Unterricht ist Aufgabe aller Schulen.“ Ebenso deutlich ist die Einschätzung der UN-BRK-Monitoring-Stelle: „Während Bundesländer wie Bremen den Auftrag zur Gestaltung eines inklusiven Unterrichts bereitwillig angenommen haben, haben sich andere Bundesländer, etwa Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, das Saarland oder Sachsen-Anhalt, – vielleicht nicht rhetorisch aber der Sache nach – nicht hinreichend engagiert.“
These 4: Die inklusive Schule des längeren gemeinsamen Lernens
Eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens wird diesem Missstand abhelfen.
Begründung: Gymnasium und Realschule sind strukturell, funktional und inhaltlich selektiv konzipiert, indem sie nur „geeignete“ Schüler:innen aufnehmen (Realschulordnung RSO §2 und Gymnasiale Schulordnung GSO §2), können also keineswegs inklusiv im Sinne der UN-BRK und des BayEUG Art 2 (2) sein. Der Inklusionsauftrag dürfte sich konsequenter Weise nicht auf die Schularten erstrecken, die ihre Schüler:innen auswählen und müsste präzisiert werden. Die Alternative wäre, diese Schulen in ihrer Substanz und Verfasstheit zu verändern, was große gesellschaftliche Verwerfungen zur Folge hätte.
Als gangbarer Weg erscheint dagegen die Ermöglichung einer Schulart des längeren gemeinsamen Lernens, auch in Bayern. Dies würde die Öffnung des allgemeinen Schulsystems und die Aufhebung von Doppelstrukturen gewährleisten, wie sie die UN-BRK verlangt: „Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat 2016 in seiner Allgemeinen Bemerkung zum Recht auf inklusive Bildung erläutert, was die Verpflichtung zur Schaffung eines inklusiven Systems konkret bedeutet. Dabei hat er erneut hervorgehoben, dass Staaten, die neben dem regulären Schulsystem ein Sonderschulsystem aufrechterhalten, ihre Verpflichtung nicht erfüllen.“
These 5: Übertrittsnoten sind willkürlich
„Geeignete“ Schüler:innen im Sinne der selektierenden Aufnahmebedingungen von Realschule und Gymnasium sind ausschließlich solche, die die Übertrittsnoten erreichen. Diese Noten sind einerseits nicht konzeptionell schlüssig abgeleitet, sondern willkürlich gesetzt und unterliegen andererseits politischen Einflüssen.
Begründung: Es gibt keine wissenschaftlich schlüssige Herleitung eines Notenschnittes von 2,33 als Näherbestimmung des „geeignet“ für das Gymnasium und 2,66 für die Realschule. Dies sind willkürliche Setzungen, die sich bestenfalls aus Erfahrungswerten ergeben und mittlerweile als unabänderliche Traditionen verstetigt haben. Eine Aufweichung dieser Setzungen fand statt, als der ehemalige KM Dr. Spaenle und die CSU-Landtagsfraktion dem Druck von Elternseite dadurch nachgaben, dass sie auch nach lediglich „ausreichenden“ Leistungen ihrer Kinder im Probeunterricht (der seinerseits auch bereits eine Relativierung der Übertrittsnoten darstellt) ihren Elternwillen zum Übertritt auf die gewünschte Schulart durchsetzen konnten und können. Ob durch diese Anpassung des Übertrittsverfahrens wirklich immer „geeignete“ Schüler:innen gefunden werden, wird bezweifelt.
These 6: Die Geschichte einer Leistung
Die Übertrittsnoten spiegeln zwar Leistung wider, aber es ist immer eine „Leistung mit einer Geschichte“.
Begründung: Bei der Verwendung des Leistungsbegriffes muss man unterscheiden zwischen dem, was ein Kind von sich aus leisten kann (Begabungskomponente), wie dies durch seine familiäre und soziale Situation gefördert oder behindert wird (Herkunftskomponente), was es als Leistung in einem Test oder einer Probearbeit zeigen kann (aktuelle Einflüsse) und was die Lehrkraft als Leistung erkennt und anerkennt (subjektive Komponente).