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Y2 Es reicht! Restriktive Migrationspolitik nicht mit uns!

22.10.2023

Wir fordern die BayernSPD auf, sich zu ihrer Beschlusslage zu bekennen und sich kritisch zum Vorstoß von Olaf Scholz zu äußern. Auf dem letzten Landesparteitag im Mai 2023 hat die BayernSPD beschlossen: “Der Landesparteitag bekräftigt, dass die BayernSPD mit ihren sozialdemokratischen Grundwerten für internationale Solidarität und gegen

Abschottungspolitik steht. Sie tritt ein für ein Europa der Menschen und nicht der Mauern und Stacheldrähte. Abschiebungsdebatten wecken falsche Erwartungen, lösen aber keine Probleme. Solche rechten Narrative werden von der BayernSPD weiterhin abgelehnt. Die

BayernSPD steht auch solidarisch an der Seite der Seenotrettung und ihrer Organisationen.”

Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion auf, die Rhetorik des Kanzlers nicht hinzunehmen und die restriktive Politik im Parlament nicht mitzutragen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die für sich den Anspruch erheben, als Juso-Abgeordnete im Parlament zu sitzen.

Wir fordern alle Mitglieder der SPD in Bayern und Deutschland auf, sich unserem Kampf gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und eine Verschärfung der Rhetorik anzuschließen.

Für uns ist klar:

  • Die SPD steht nicht hinter der von Olaf Scholz angeschlagenen Rhetorik. Als internationalistische und sozialistische Bewegung stehen wir auch in unserem öffentlichen Auftreten an der Seite Geflüchteter und stehen klar zu Zuwanderung und Migration.
  • Abschiebungen und Bezahlkarten – die als Forderungen vor allem aus den Bundesländern kommen – sind nichts als populistische Augenwischerei. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für “Pull-Faktoren”. All die vorgeschlagenen Maßnahmen werden keinerlei Auswirkungen haben.
  • Das Aufgreifen rechter Erzählungen hilft einzig und allein den Rechten.
  • Wer die Lage der Menschen in Deutschland verbessern möchte, darf nicht Minderheiten gegeneinander ausspielen, sondern muss die Verteilungsfrage stellen.
  • Scholz begibt sich auf einen gefährlichen Pfad des Populismus, weil er weniger Migration verspricht, aber nicht erklärt, wie das erreicht werden kann. Gleichzeitig schlägt er einen Ton an, der Fremdenfeindlichkeit Tür und Tor öffnet. Am Ende profitiet davon nur die AfD.

Rote Linien sind überschritten

Die Ankündigungen von Olaf Scholz in den Medien, dass die Bundesregierung eine restriktive Migrationspolitik einschlagen und durchsetzen will, überschreiten rote Linien und gehen auch über das hinaus, was im Koalitionsvertrag aus unserer Sicht bereits als äußerst kritische Position festgehalten wurde. Inhalte, die wir über Jahre als Sozialdemokratie verteidigt und als Jusos hochgehalten haben, werden mit Füßen getreten. Rote Linien scheint es insbesondere in der Rhetorik nicht mehr zu geben. Menschlichkeit scheint kein Kriterium mehr zu sein. Gleichzeitig verwendet er eine populistischen Sprache, zum Beispiel indem er von irregulärer Migration spricht. Es bleibt aber unklar, was damit gemeint sein soll, da das Grundrecht auf Asyl sowohl im Grundgesetz als auch in den Genfer

Flüchtlingskonventionem verbrieft ist. Durch diese Sprache bereitet er Rechtspopulismus weiter das Feld.

Die Aussage, die Partei stehe hinter diesem politischen Kurswechsel, ist falsch. Überall in der SPD gibt es Menschen, denen insbesondere die Migrationspolitik wichtig ist. Viele Austrittswellen in der SPD waren bisher das Ergebnis von ausgrenzender Politik gegenüber Menschen, die zu uns kommen und bei uns leben wollen.

Seit Jahren ist es weithin bekannt, dass das Aufgreifen von Forderungen und Erzählungen von rechten und ausländerfeindlichen Gruppierungen nicht dazu beiträgt, diese Gruppierungen zu schwächen, sondern dazu, dass diese Gruppierungen gestärkt werden.

Der Zeitpunkt der Ankündigung dieses radikalen Kurswechsels in der Migrationspolitik der SPD erweckt den Anschein, dass die Stimmungsmache rechtsradikaler Parteien wirkt. Es scheint, als würden die Forderungen der gesellschaftlichen Rechten nun von einer sozialdemokratischen Regierung umgesetzt werden.

Nationale Abschottung löst kein einziges Problem

Olaf Scholz suggeriert in seinem Interview, dass wir die “Probleme” in der Migrationspolitik durch nationale Maßnahmen lösen können. Diese Idee ist genauso gefährlich wie absurd. Erst kürzlich wurde angekündigt, dass im Rahmen von GEAS der europäische Kurs verschärft wird, darin enthalten sind z.B. Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, die Verschärfung des Aufenthaltsrechts und eine weitere Abschottungspolitik. Auch dagegen hat sich die BayernSPD auf ihrem Landesparteitag klar positioniert. Nun legt die

Bundesregierung mit nationalen Maßnahmen nach, während die Probleme auf europäischer

Ebene weiterhin nicht gelöst sind – das GEAS-Verfahren befindet sich derzeit weiterhin im Trilog. Vielfach haben Studien belegt, dass es Pull-Effekte nicht gibt. Die in seinem Interview diskutierten Maßnahmen werden niemanden davon abhalten, die oftmals sehr gefährliche Flucht nach Deutschland auf sich zu nehmen. Wer die Anzahl Geflüchteter reduzieren will, muss Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete. Fluchtursachen werden sich nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise noch deutlich verschärfen.

Geflüchtete kommen oftmals traumatisiert in Deutschland oder anderen Ländern an. Ihr größter Wunsch: Normalität und ein selbstbestimmtes Leben. Stattdessen verbringen viele Geflüchtete lange Zeiten in Sammelunterkünften, dürfen nicht arbeiten und gesellschaftliche Integration wird ihnen verwehrt.

Forderungen nach Sachleistungen, Bezahlkarten und das “Angebot”, gemeinnützige Arbeit ohne richtigen Lohn bei gleichzeitigem Arbeitsverbot für reguläre Tätigkeiten zu leisten, widerspricht der Selbstbestimmung und aus unserer Sicht einem menschenwürdigen Leben in einem Land, in dem man nach traumatisierender Flucht angekommen ist.

Schon jetzt bieten wir den Geflüchteten somit nicht das, was sie benötigen. Mit den angekündigten Maßnahmen entfernen wir uns nur noch weiter von dem, was als humanitäre Hilfe notwendig wäre.

Abschiebungen stoppen!

Auch die viel proklamierten Abschiebungen sind faktisch nicht durchsetzbar: Selbst wenn

Rückführungsabkommen mit anderen Staaten geschlossen werden, gelingen Abschiebungen häufig nicht. Zwei von drei Abschiebungen scheitern. Die Gründe sind vielfältig: Neben der Weigerung von Fluggesellschaften, gesundheitlichen Problemen und der Gegenwehr von Betroffenen, liegt es häufig daran, dass sich die aufnehmenden Länder der Abschiebungen verweigern. „Konsequentes Abschieben“ oder eine „harte Politik“ lösen also keinerlei Probleme. Zusätzlich können nach deutschem Recht „nur“ ca. 50.000 Menschen (weniger als zwei Prozent der in Deutschland lebenden Geflüchteten) abgeschoben werden. Selbst wenn es gelänge, alle Menschen, die ausreisepflichtig sind, morgen abzuschieben, würde dies keine signifikante Reduzierung der Zahl Geflüchteter in Deutschland mit sich bringen. Die Rhetorik von Scholz ist also populistisch – sie suggeriert, auf komplexe Probleme eine einfache Lösung zu bieten. Fälle, in welchen die drohende Abschiebung bei Geflüchteten dazu führt, dass sie sich wegen Perspektivlosigkeit das eigene Leben nehmen, sind mehrfach dokumentiert. Rechtlich sichere Abschiebungen werden auch durch Rückführungsabkommen kaum in größerer Zahl möglich sein. Eine signifikante Reduzierung von Menschen, die sich bei uns aufhalten, wird damit nicht erreichbar sein.

Für die Betroffenen ist die Abschiebung aber hochproblematisch: Immer wieder gibt es Berichte über Selbstmorde von Menschen, denen eine konkrete Abschiebung bevorsteht.

Menschen unabhängig von ökonomischer Verwertbarkeit respektieren

„Soziale Politik für Dich“ und Respekt bedeutet für uns, Menschen nicht nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zu unterscheiden. Olaf Scholz spricht in seinem Interview davon, dass wir bestimmte Fachkräfte brauchen, während wir andere Migration ablehnen. Menschen sind mehr als ihre Qualifikation, gerade auch weil die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oft nicht angemessen funktioniert.

Auch wenn wir die ökonomische Verwertung Geflüchteter grundsätzlich ablehnen, möchten wir dennoch deutlich machen, dass die aktuelle Politik der Gewinnung von Fachkräften unterschiedlichster Qualifikationen entgegensteht:

  • Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Politik (und Stimmung in Deutschland) wird auch von Fachkräften im Ausland wahrgenommen. Für viele Menschen, die sich in Deutschland einbringen wollen, wirkt dies abschreckend. Das konterkariert das Ziel, Arbeitskräfte zu gewinnen.
  • Vielen Menschen, die hier leben und langfristig leben wollen, ist es verboten, zu arbeiten. Ihnen wird damit die Möglichkeit der Teilhabe und Integration verwehrt. Die falsche Hoffnung scheint es zu sein, dass diese Menschen dadurch schneller ausreisen. Gerade bei Menschen, die aus einem Land kommen, das sich immer noch im Bürgerkrieg befindet, ist dies absolut unrealistisch.
  • Wer Migration aus wirtschaftlicher Perspektive diskutieren will, muss anerkennen: Wir brauchen nicht nur Zuwanderung von Fachkräften. Alle Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen, sollten wir als Chance sehen und ihnen Ausbildungs- und Qualifzierungsmöglichkeiten anbieten. Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel, es werden händeringend arbeitende Hände und Köpfe in allen Qualifikationsstufen gesucht.

Schluss mit Rechtsruck, her mit sozialer Politik in großem Stil

Der Verteilungskampf findet nicht zwischen einem nigerianischen Geflüchteten und einer deutschen Friseur-Auszubildenden statt, sondern zwischen den reichen 10% und den übrigen 90%: Wohnraum ist nicht knapp, weil Geflüchtete anderen den Wohnraum wegnehmen, sondern weil sich Spekulation gegenüber Vermietung nach wie vor durchsetzt und deshalb nach wie vor enormer Leerstand in den Kommunen herrscht. Sozialer Wohnungsbau scheitert an langen Planungsprozessen und an mangelnden Investitionen durch öffentliche Hand und Investoren.

Geflüchtete und andere Gruppen in vermeintlicher Konkurrenz zueinander zu sehen und gegeneinander auszuspielen, verkennt die Realität der tatsächlichen Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft. Wer den Rechtsruck in Deutschland und Europa aufhalten will, muss dafür sorgen, dass die existenziellen Sorgen und die Abstiegsängste der ökonomischen Mitte adressiert werden und die Menschen spüren, dass ein sozialdemokratischer Kanzler Soziale Politik für sie macht.

Derart weitreichende Entscheidungen lassen wir uns nicht aus dem Kanzerlamt diktieren

Die derzeitige SPD-geführte Regierung ist nicht der Verdienst von Olaf Scholz, sondern das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit vieler Mitglieder unserer Partei. Politische Linien und politische Kommunikation sind nicht durch das Kanzleramt vorzugeben, sondern in der Partei zu entwickeln. Wir sehen sowohl in GEAS als auch in der Einführung von nationalen

Maßnahmen wie Bezahlkarten, verstärkten Grenzkontrollen, etc. einen fundamentalen

Kurswechsel und einen deutlichen Widerspruch zu unseren Grundwerten. Derartige Entscheidungen sind nicht in der Regierung oder im Kanzleramt zu diskutieren. Die Partei wird sich dem entgegenstellen und die Partei wird das nicht mittragen. Als Jusos werden wir uns dem mit allem, was wir haben, entgegenstellen.

Y1 Neustart BayernSPD - endlich konsequent umsetzen

18.10.2023

A: Unsere Analyse

Das Ergebnis der Landtagswahl ist bitter, aber nicht überraschend. Für die bayerische Sozialdemokratie ist ein noch schlechteres Abschneiden als bei den Wahlen 2018 fatal. Die BayernSPD hat es nicht geschafft, die Arbeitnehmer*innen zu erreichen. Insbesondere auf dem Land haben wir keine Rolle gespielt. Unsere Hauptzielgruppe, Arbeiter*innen, Familien, Menschen mit niedrigem und normalem Einkommen, deren Leben wir verbessern wollen durch eine gerechtere Politik, haben in zu großer Zahl die demokratiefeindliche AfD der Sozialdemokratie vorgezogen. Dem populistischen, rassistischen und sexistischen Wahlkampf der AfD, CSU und Freien Wählern wusste die BayernSPD nichts entgegenzusetzen. Wir haben keine überzeugende Geschichte erzählen können, die die Bürger*innen erreicht hätte.

Die Parteien der aktuellen Ampelkoalition haben sowohl in Hessen als auch in Bayern Prozentpunkte verloren. In Bayern verpasste die FDP sogar den Wiedereinzug in den bayerischen Landtag.

Es braucht eine schonungslose Aufarbeitung des Wahlkampfes, die Fehler klar benennt und die Mitglieder in den Prozess einbindet.

Der Wahlkampf der BayernSPD war auf den Spitzenkandidaten Florian von Brunn zugeschnitten, der es auch als Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag über die vergangenen fünf Jahre nicht geschafft hat, Bekanntheit aufzubauen. Diese Problematik führte zu einem Wahlkampf für eine Person, die in der Fläche Bayerns gänzlich unbekannt war. Zusätzlich wurde die Kampagne und die Themen in einem kleinen Entscheidungskreis bestimmt, ohne die Mitglieder einzubinden und für die Themen und der Kampagne zu begeistern. So konnte auch das dauerhafte CSU-bashing nicht verhindert werden, dass die gesamte Kampagne über im Fokus stand und vielen Menschen negativ aufgefallen ist.

In den vergangenen fünf Jahren wurde es verpasst, in die Strukturen – gerade auf dem Land – Zeit zu investieren und diese zu festigen und zu unterstützen. Die Kandidierenden haben, gemeinsam mit den Ortsvereinen und ehrenamtlichen Helfer*innen ihr Bestes gegeben. Leider konnte dieser unermüdliche Einsatz die Strukturschwäche der Gesamtpartei auch nicht auffangen. Die Mitglieder haben den Glauben an die BayernSPD verloren und daran, dass sie eine Vision für ein gerechteres und bezahlbares Bayern mit Leben füllen kann. Die Themen der Kampagne wurden zu spät gesetzt. Es wurde verpasst, diese in das Gesamtbild und die Gesamterzählung der sozialdemokratischen Forderungen einzubetten.

Nicht zuletzt spielte auch die Politik der Ampelkoalition und die Unzufriedenheit mit eben dieser Bundesregierung im Wahlkampf eine Rolle. Die Schuldenbremse, der Sparzwang und die Tatsache, dass die Menschen mehr Zukunftsängste haben und weniger Geld in ihrem Geldbeutel trotz einer sozialdemokratisch-geführten Regierung. Der Ampelkoalition ist es nicht gelungen, diese Ängste zu adressieren und die Situation der Menschen zu verbessern.

Und anstatt die Fehler der Bundesregierung zu kritisieren, stellte sich die Spitze der Bayern-SPD groß als Kanzlerpartei dar und das, obwohl die Umfragewerte im Keller waren und die Ampel Regierung besonders in Bayern um Zustimmung ringt.

B: Wir brauchen eine radikalen Neustart BayernSPD

Die Landtagswahl, das desaströse Ergebnis, das Schlechteste in der Geschichte der bayerischen Sozialdemokratie, und die niedergeschlagene Stimmung an der Parteibasis haben gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann.

Die BayernSPD braucht einen Neustart! Die Entwicklungen der letzten Jahre, die im Wahlergebnis dieses Jahres gipfelten, zeigen, dass es ein “Weiter so!” auf keinen Fall geben darf.

Nach der Landtagswahl hat Bayern seine linke Stimme verloren – eine übergroße Mehrheit des Landtags besteht nun aus Konservativen und Rechtspopulisten und die stärkste Opposition bildet eine rechtsextreme neonazistische Partei. Im Kampf gegen eben jene Kräfte – gegen Rechts und für die Demokratie – braucht es eine starke Linke. Und im Einsatz für die richtigen Themen, für ein „bezahlbares Bayern“, für faire Löhne, bezahlbare Mieten und eine gerechte Gesellschaft, braucht es eine Partei, die sich um Menschen statt um Mandate kümmert.

Und wer, wenn nicht die Sozialdemokratie, soll diese Rolle einnehmen? Die SPD kann anders, das beweist uns die Geschichte. Wir kommen aus der Arbeiterbewegung, wir berufen uns auf linke Werte, wir wollen das Leben der Vielen verbessern.

Damit wir das wieder glaubhaft vermitteln, unsere Basis mit einem Aufbruchsgedanken motivieren und Politik für die Menschen auch mit notwendigen Mehrheiten erstreiten können, braucht es einen Neustart. Statt politischer Insolvenzverwaltung, die das Verschwinden der Sozialdemokratie und eine große Gefahr für die Demokratie in Bayern bedeuten würde, kämpfen wir für radikale Veränderungen in der BayernSPD, die ab sofort umgesetzt werden müssen!

C: Die Partei die wir wollen:

Wir fordern als Jusos Bayern einen Neustart, der die Beteiligung der Mitglieder ins Zentrum stellt. Eine vermeintliche Aufarbeitung hinter verschlossenen Türen, an der hauptsächlich Vorstandsmitglieder beteiligt sind, lehnen wir ab. Basierend auf unserer Analyse der Fehler, die in den vergangenen Jahren – und nicht nur in der Kampagne zur Landtagswahl gemacht wurden – schlagen wir eine inhaltliche Neuausrichtung vor, die sich an den fünf folgenden Punkten orientiert:

  • Mitglieder first!

Das wichtigste Kapital der BayernSPD sind ihre stolzen Mitglieder. Wir sind Teil der Bewegung, die mit ihren Mitgliedern den 8-Stunden-Tag erkämpft und im Landtag und im Reichstag den Nazis die Stirn geboten hat. Die aktuelle Spitze der BayernSPD hat es jedoch verpasst, diese Mitglieder anzusprechen und einzubinden. Statt Führung von oben wollen wir eine Bewegung von unten. Unsere mehr als 50.000 Mitglieder sollen sich wieder mit der BayernSPD identifizieren. Überzeugung entsteht durch die Erfahrung, dass die eigene Perspektive und das eigene Engagement wichtig ist und gesehen wird. Wenn wir selbst es nicht schaffen, die eigenen Mitglieder zu überzeugen, wie sollen diese dann die Wähler*innen von der SPD überzeugen?

Konkret wollen wir:

Für den SPD Landesvorstand:

  • Der Landesvorstand der BayernSPD muss regelmäßiger tagen. Dort müssen politische und strategische Fragen offen diskutiert und entschieden werden.
  • Der Landesvorstand ist nach dem Landesparteitag das höchste Beschlussfassende Gremium. Wir erwarten, dass Entscheidungen über Ausgaben und langfristige Finanzen auch in diesem Gremium getroffen werden
  • Der Landesvorstand ist ein Gremium der BayernSPD und nicht mit der

Landtagsfraktion gleichzusetzen. Wir setzen uns dafür ein, in Zukunft weniger Abgeordnete im Landesvorstand zu haben, um neben Funktionär*innen auch ehrenamtliche Mitglieder stärker einzubinden

  • Der Landesvorstand muss ein Gremium werden, in dem gearbeitet wird. Sollte dies in der aktuellen Größe unmöglich sein, setzen wir uns für die Verkleinerung des Gremiums ein
  • Das Präsidium ist für die alltägliche Arbeit der BayernSPD verantwortlich und befugt, Entscheidungen zu treffen. Aus den Treffen des Präsidiums muss in Zukunft an den gesamten Landesvorstand berichtet werden, um eine Einbindung in die

Vorstandsarbeit zu gewährleisten

Einbindung der Mitglieder und Ortsvereine:

  • Mehr durch die Bayern SPD organisierte und entwickelte Mitmachmöglichkeiten vor Ort und direkte Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder. Beispiele hierfür sind neben Kongressen auch UBKV-Schalten, Weiterbildungsmöglichkeiten, Seminare und Rethorik-Workshops
  • Einen Zukunftskongress, bei dem sich die Mitglieder direkt in die Neuausrichtung der BayernSPD einbringen können. Der Zukunftskongress soll nicht nur durch die Parteispitze, sondern gemeinsam mit dem ganzen Landesvorstand und den Arbeitsgemeinschaften ausgerichtet werden.
  • die Gremienarbeit der BayernSPD ist häufig zu kurzfristig und familienunfreundlich. Eine unserer Hauptzielgruppen sind Familien. Durch unsere aktuelle Vorgehensweise nehmen wir ihnen die Möglichkeit sich in der Partei federführend einzubringen
  • Für zukünftige Kampagnen soll es Möglichkeiten der Einbringung geben und auch die Vorstellung der Kampagne und der Inhalte muss neben den Kandidierenden auch den Mitgliedern vorab zugänglich sein
  • Mehr Wertschätzung der Mitglieder, indem ihre Stimme wirklich gehört wird. Schluss mit der Scheinbeteiligung!

Strukturen verändern:

  • wir wollen die Wahltermine innerhalb der Untergliederungen der BayernSPD vereinheitlichen, sodass Hauptamtliche entlastet werden, Bildungsprogramme entsprechend angeboten werden            können            und      Delegiertenlisten            eine     längere

Gültigkeit haben

  • Wahlen in allen Ortsvereinen in Bayern in einem Zeitraum und anschließenden Bildungsangeboten, die terminlich schon feststehen
  • Wahlen in Unterbezirken und Kreisverbänden in Bayern in einem bestimmten Zeitraum
  • Wahlen in den Bezirken in einem bestimmten Zeitraum

So schaffen wir auch eine für unsere Mitglieder nachvollziehbare Terminierung und können uns auf Delegiertenlisten und gewählte Vorstände verlassen. Zusätzlich können entsprechend auf diese Ebene abgestimmte Bildungsangebote geschaffen werden.

  • Politik für unsere Leute – radikaler Fokus auf materielle Themen

Gerade in Zeiten von immer größerer Spaltung zwischen Arm und Reich bleiben viele unserer Leute auf der Strecke. Wir wollen eine bayerische SPD, die niemanden allein lässt und diejenigen in den Mittelpunkt stellt, die darauf angewiesen sind, mit ihrer Hände und Köpfe Arbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Wir wollen das Vertrauen unserer Leute in uns und in den Sozialstaat zurückgewinnen, nicht mit zentralisierten Kampagnen von oben, sondern mit vielen kleinen Initiativen vor Ort. Arbeitnehmer*innen haben Rechte und die erkämpfen wir gemeinsam mit ihnen in der Kneipe, im Betrieb und im Parlament. Durch eine Politik, die wirtschaftlichen Abstieg verhindert, bekommen wir auch die Rechtspopulisten in Bayern wieder klein.

Konkret wollen wir:

  • Forderungen wie bezahlbaren Wohnraum oder bezahlbare Energie stärker in eine Gesamterzählung integrieren und zeigen, dass wir eine Gesamtanalyse haben, die wir mit konkreten Forderungen hinterlegen.
  • Mehr Druck auf die SPD im Bund aufbauen, sozialpolitische Themen in der Ampel konsequenter und umfangreicher durchzusetzen.
  • Neue verteilungspolitische Instrumente wie beispielsweise das Grunderbe, um zu zeigen, dass wir eigene politische Ideen entwickeln und nicht nur Forderungen wiederkauen.
  • Stadt und Land – Hand in Hand

Viele von unseren Leuten in den Städten haben das Vertrauen in uns verloren. Zugleich droht die Sozialdemokratie in ländlichen Regionen komplett zu verschwinden. Dem wollen wir durch eine klare Strategie für die Städte sowie den ländlichen Raum entgegenwirken. Wir sind keine zentralisierte Partei von oben, sondern eine starke Stimme vor Ort, die die lokalen Sorgen und Probleme auf dem Schirm hat. Gleichzeitig sind wir nicht inhaltlich beliebig, sondern arbeiten mit einem übergeordneten politischen Ziel.

Die Kommunalwahlen 2026 werden die BayernSPD auf eine harte Probe stellen. Insbesondere auf dem Land haben wir kein Mittel, um gegen die konservativen zu punkten und in den Städten verlieren wir regelmäßig gegen die Grünen. Als gesamte Partei braucht es eine frühzeitig entwickelte Strategie und Unterstützung von der Landesebene für die Kommunen, damit wir einen starken Wahlkampf vor Ort machen können und unsere Genoss*innen in Gemeinde- und Stadträte, sowie Kreistage bringen und auch unsere Bürgermeister*innen Unterstützung erfahren. Dafür braucht es einen Austausch zwischen Kommunalpolitiker*innen und inhaltliche Angebote und Abstimmungsmöglichkeiten in den Kommunen.

Konkret wollen wir:

  • lokale Initiativen und Projekte unserer Kreisverbände und Strukturen vor Ort mit Ressourcen und Reichweite der Bayern SPD unterstützen, wenn sie in unsere Gesamterzählung passen.
  • Regelmäßig stattfindende Vernetzungsformate für Großstädte sowie den ländlichen Raum, um sich über die jeweils spezifischen Herausforderungen und Erfahrungen zu Lösungswegen auszutauschen.
  • Unsere Verankerung vor Ort nutzen und unsere Bürgermeister*innen und Kommunalpolitiker*innen strukturiert einbinden, wenn wir politische Strategien entwickeln
  • eine Strategie zum Umgang mit der AfD vor Ort
  • Eine Strategie der Gesamtpartei zu den Kommunalwahlen 2026
  • Partei als gesellschaftliche Bewegung verstehen

Wir müssen wieder stärker mit gesellschaftlichen Akteur*innen zusammenarbeiten. Wir wollen nicht nur für die SPD werben, sondern vor allem inhaltliche Ziele erreichen. Wir stellen durch eine erfolgreiche Oppositionsarbeit im Land und durch konkrete Bündnisse und Initiativen vor Ort Vertrauen wieder her und etablieren langfristige Kooperationen und Zusammenarbeit. Wir entwickeln eine Strategie, um unsere Arbeit enger mit der Arbeit von Sozialverbänden, Gewerkschaften, etc. zu verzahnen. Wir setzen den Kampf gegen Rechts ganz oben auf unsere Agenda, im Parlament in unseren politischen Positionierungen aber vor allem auch deutlich sichtbar auf der Straße.

Konkret wollen wir:

  • uns wieder lauter und fokussierter an zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Bündnissen beteiligen.
  • insbesondere den zivilgesellschaftlichen Kampf gegen Rechts in den vielfältigen Kooperationen vor Ort als Bayern SPD unterstützen.
  • offener sein für zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die mit spezifischen Expertisen und ihrem Profil das inhaltliche und personelle Angebot der Bayern SPD verbessern können.
  • die Weiterführung der Unterstützung für Endstation Rechts. Dieser Verein leistet eine starke antifaschistische Arbeit und muss auch in den kommenden Jahren unterstützt werden bei diesem Engagement
  • Ein neues Miteinander – Solidarität beginnt in der eigenen Partei

Wir wollen endlich die Polarisierung nach der engen Entscheidung und harten Auseinandersetzung um den Parteivorsitz der BayernSPD 2021 überwinden. Wir stehen vor so großen Herausforderungen, sodass wir wirklich jede Person brauchen, wir wollen alle Interessen einbeziehen. Während wir intern streiten und um Mandate kämpfen, wird die politische Rechte stärker. Schlagkraft und Erfolg für unsere politischen Ziele entwickeln wir nur gemeinsam mit einer offenen Mitmachkultur, ehrlichem und konstruktivem Feedback und einer breit getragenen inhaltlichen Grundlage.

D: Faschisten raus aus den Parlamenten mit konsequenter materialistischer Politik

Eine rechtsextreme und eine rechtspopulistische Partei sind bei der Landtagswahl als Gewinnerinnen hervorgegangen. Unsere Analyse für die steigende Abwendung von demokratischen Parteien ist die Frustration der Bevölkerung über ökonomische Ungleichheit und Abstiegsängste, verbunden mit der Anerkennung, dass nationalistisches Gedankengut in Deutschland nie weg war und in weiten Teilen der Gesellschaft anschlussfähig ist. Dahingehend lässt sich auch eine zunehmend globalisierungskritische Einstellung erkennen. Damit mobilisiert die AfD verschiedene Zielgruppen und missbraucht ökonomisch enttäuschte Wähler*innen für ihre nationalistische Hetze.

Die derzeitige Bundesregierung ist durchzogen von verkorksten Projekten. Durch die große ideologische Bandbreite, die die Ampel abdeckt, sind wirkliche Fortschritte der sogenannten „Fortschrittskoalition“ in keiner Richtung möglich. Die SPD wird zwischen dem grünen Heizungsgesetz und dem gelben Spardiktat zerrieben und bringt zu wenig ökonomische Vorschläge ein. Dies führt zu einer massiven Unzufriedenheit unserer Leute. Eine sozialdemokratische Regierung, die keine materiellen Verbesserungen erzielt, erzeugt Frustration, die noch durch mediale Berichte über den “Ampel-Streit” angeheizt wird.

Multiple Krisen haben insbesondere diejenigen mit geringem Einkommen und Vermögen in unserer Gesellschaft an den Rand der Existenz getrieben. Die AfD schafft es, in diesen Bevölkerungsgruppen durch Hetze und destruktive Kampagnen die berechtigte Wut der Menschen für sich zu nutzen. Auch als Jusos haben wir es in den letzten Jahren oftmals verpasst, die Themen zu adressieren, die ein Großteil unserer Zielgruppe als drängend erlebt. Oftmals werden wir öffentlich auf Themen reduziert, die gemeinhin als Teil eines Kulturkampfs beschrieben werden. Wir halten daran fest, dass Themen wie

Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Geschlechter wichtige Themen sind.

Unsere Antwort ist also nicht, diese Themen weniger stark zu bearbeiten. Unsere Antwort hierauf ist, die materielle Dimension dieser Fragestellungen stärker zu betonen und darüber hinaus materielle Themen wieder stärker in unsere Arbeit und vor allem unsere Kampagnen und in unsere Öffentlichkeitsarbeit aufzunehmen. Eine weitere und bisher von uns Jusos in der Analyse vernachlässigte Grundlage für den Erfolg der AfD sind die Abstiegsängste von Menschen mit mittlerem Einkommen. Unsere sozialpolitischen Maßnahmen und Forderungen adressieren vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen und in Armut. Während wir auch in dieser Gruppe kaum eine Verbesserung des Lebens erreichen, vergessen wir diejenigen zu adressieren, die zwar über mittlere Einkommen verfügen, aber sich dennoch berechtigte Sorgen um ihre ökonomische Sicherheit machen. Menschen, die AfD wählen oder es in Erwägung ziehen, befinden sich überwiegend nicht in einer finanziell prekären Situation, aber sie fühlen sich vor möglichen Krisen in der Zukunft nicht ausreichend geschützt.

Weltweiter Wettbewerb verstärkt Unsicherheiten und Abstiegsängste. Auch ist diese Gruppe stark von Steigerungen der Lebenshaltungskosten betroffen, auch sie erleben, dass der Erwerb von Wohneigentum für sie vermutlich niemals möglich sein wird. Daraus resultiert ein Erleben der Verschlechterung der eigenen ökonomischen Situation gegenüber der Elterngeneration.

Diese Unzufriedenheit wird von uns Jusos politisch bislang nicht ausreichend adressiert, unsere Sozialpolitik bezieht sich vor allem auf die untersten Einkommen. Daher müssen wir neben sozialpolitischen Maßnahmen auch deutlich verstärkt verteilungspolitische Instrumente in den Diskurs einbringen. Dabei wollen wir nicht nur von ganz oben nach ganz unten umverteilen, sondern wir wollen ganz oben wegnehmen und es allen darunter geben. Der Verteilungskonflikt verläuft zwischen den reichsten 10% und den anderen 90%, nicht nur zwischen den reichsten und ärmsten 10%.

Wir als Jusos Bayern stellen uns entschieden gegen die Entwicklungen, welche den sozialen Abstieg von Millionen bei gleichbleibenden Reichtum der Wenigen billigend in Kauf nimmt. Bereits im vergangenen Herbst haben wir auf die Gefahr von rechts in ökonomischen Krisen hingewiesen und uns in Bündnissen wie Genug ist Genug eingebracht. Die Entwicklungen haben uns Recht gegeben. Deswegen bekräftigen wir unsere Forderung, die programmatische Entwicklung der SPD auf Bundesebene sowie der Bundesregierung verstärkt an materiellen Fragen auszurichten und den Sozialstaat wieder sichtbar und spürbar zu machen. Es gilt die ökonomische Absicherung der Menschen in den Vordergrund der Politik zu stellen.

Egal ob in der Bildungspolitik, beim bezahlbaren Wohnen oder der Mobilität müssen wir Verteilungsfragen klar adressieren und materialistische Politik umsetzen.

Unabhängig von allen materiellen Fragen spricht die AfD auch einen Teil der Bevölkerung an, der offen rechtsextrem ist und eine Abschaffung unserer Demokratie will. Dem werden wir uns auch weiterhin an der Seite von Antifaschist*innen in Bayern und darüber hinaus auf der Straße und im Parlament entgegenstellen. Wir werden die Normalisierung von Rechtsextremismus nicht hinnehmen und immer laut widersprechen. Wir beteiligen uns an Demonstrationen und Blockaden gegen rechte Aufmärsche und werden in unserem Umfeld nicht müde, auf die faschistische Ausrichtung der AfD hinzuweisen.

Aus vielen Teilen der Partei hören wir Stimmen, die fordern, dass wir das Thema Migration nun stärker ins Zentrum rücken und mit einem schärferen Kurs adressieren müssen. Dem werden wir uns mit aller Kraft entgegenstellen. Die Narrative, dass Geflüchtete den “einfachen Leuten” die Wohnungen oder Arbeitsplätze wegnehmen, sind schlicht falsch. Ja, wir befinden uns in einem Verteilungskampf in unserer Gesellschaft. Und ja, diese Verteilungskämpfe müssen wir hart führen. Aber der Verteilungskampf darf aus sozialdemokratischer Sicht nicht zwischen Arbeiter*innen und Geflüchteten, sondern muss zwischen den reichsten 10% und den übrigen 90% geführt werden. Wohnraum steht immer noch leer, weil Spekulation mehr Geld bringt als Vermietung. Neue Bauprojekte werden aus Renditegründen eingestampft, den Kommunen und Ländern fehlt das Geld für neue Bauprojekte. Das Problem sind nicht die Geflüchteten, das Problem sind die Superreichen in unserem Land. Die Haltung der Sozialdemokratie muss klar sein: Say it loud, say it clear, refugees are welcome here!

E: Forderungen an uns selbst – Wo wir stärker und besser werden müssen

Die Jusos sind das linke Gewissen der SPD. Wir setzen an uns den Anspruch als Jungsozialist*innen, die Sozialdemokratie an ihre Aufgabe als Vertreterin der Arbeiter*innenschaft, der Leute mit niedrigem und mittlerem Einkommen und derer, die in unserer Gesellschaft abgehängt und vergessen werden. Zeitgleich sehen wir uns Jusos ls Stimme der Jugend in unserer Partei – als die Stimme für Schüler*innen, Azubis und Studierende und für die Belange junger Menschen und ihrer Zukunft. Wir partizipieren an der parteiinternen Demokratie, um an Debatten teilzunehmen, in die Partei hinein zu wirken und unsere Inhalte durchzusetzen.

Wir sind Teil von Bewegungen auf der Straße und nehmen an zivilgesellschaftlichen Debatten teil. Wir sind stark, weil wir viele sind und sich unsere engagierten Mitglieder vor Ort einbringen.

In den vergangenen Monaten haben wir gesehen, dass wir diese Stärke nicht mehr in dem Maße entfalten können, wie wir es einmal konnten.

In parteiinternen Debatten und auf Parteitagen sehen wir, dass wir nicht mehr so präsent innerhalb der SPD sind, wie wir es einmal waren. Personaldebatten und Auseinandersetzungen in der Vergangenheit haben unsere Stellung geschwächt. Wir wollen als Jugendverband wieder eine stärkere Rolle innerhalb der SPD einnehmen und als linkes Gewissen verstanden werden, das die progressiven Kräfte in der Partei einen und den Kurs der Partei hin zu einer Ausrichtung bewegen kann, der die Antworten auf die Fragen unserer Zeit gibt. Dazu wollen wir auf Bayern-Ebene, in den Bezirken und den Unterbezirken in der Partei arbeiten und uns in Gremien und an inhaltlichen Debatten beteiligen. Durch mehr personelle Kontinuität und geregelte Übergabeprozesse wollen wir ein besseres Wissensmanagement über Partizipation in der SPD erreichen und uns besser auf die innerparteiliche Arbeit einstellen. Zudem wollen auch wir unseren Fokus auf die Beantwortung von materialistischen Fragen legen und wirtschafts- und sozialpolitischen Ungleichheit bekämpfen, so wie wir es von der Partei erwarten.

Die U18 Wahlen haben gezeigt, dass auch bei Jugendlichen der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus immer mehr verfängt. Die Ergebnisse der Landtagswahl haben gezeigt, dass die SPD bei den jüngeren Wähler*innen die schlechtesten Ergebnisse geholt hat.

Wir müssen uns als Verband wieder darum bemühen, den jungen Menschen und ihren Interessen eine Stimme zu geben. Wir wollen Zukunftsperspektiven schaffen und Lösungen aufzeigen, für die Probleme, die junge Menschen aktuell bisweilen an Politik und an älteren Generationen verzweifeln lassen.

Zudem wollen wir unsere Verbindung zu zivilgesellschaftlichen Bewegungen und zur Klimabewegung wieder stärken. Als Jugendverband sehen wir unsere Rolle nicht nur innerhalb der Partei, in der wir Kurskorrekturen erreichen wollen, sondern auch in Bewegungen und auf der Straße, um Druck von außen auf die politischen Entscheidungsträger*innen auszuüben und den Diskurs mitzuprägen. An dieser Doppelstrategie halten wir fest.

Wir Jusos stehen Schulter an Schulter mit der Gewerkschaftsjugend. Die Interessen der arbeitenden Klasse sind die, die wir als Jusos und SPD vertreten müssen.

Gerade fällt auf, dass die SPD schon seit langer Zeit keine Arbeiter*innenpartei ist. Doch gerade diese Verantwortung ist uns historisch gewachsen, wir wollen ein besseres Leben für die Vielen!

Wir müssen es als Jusos schaffen, den Arbeitskampf der Gewerkschaftsjugend zu unterstützen und zu stärken, auf die Art und Weise, wie sie uns braucht und will.

Wir müssen als SPD wieder an den Punkt gelangen, an dem wir als verlässliche Partnerin der Gewerkschaften im Parlament angesehen werden. Wir als Jusos sind mitverantwortlich dafür, die SPD wieder an diesen Punkt zu bringen. Unter anderem müssen wir dafür die Stimmen von Menschen mit und in Ausbildung in unserer Partei und auch bei uns Jusos wieder stärker hörbar machen.

Wir müssen unsere Strukturarbeit verbessern. In ganz Bayern haben zahlreiche Jusos für Landtag und Bezirkstage kandidiert. Wir wollen diese engagierten jungen Menschen stärker in unseren Verband einbinden. Unsere Jugendwahlkampagne hat gezeigt, dass sich die Juso-Strukturen vor Ort in Bayern stark unterscheiden. Insgesamt haben wir einen Rückgang aktiver Strukturen zu verzeichnen. In manchen Gegenden haben wir besonders wenige aktive Unterbezirke. Das müssen wir ändern! Wir wollen Jusoarbeit wieder attraktiv machen und Möglichkeiten und Angebote schaffen, die junge Menschen für Politik begeistern und es ihnen ermöglichen, sich aktiv auf allen Ebenen einzubringen.

Wir wollen unsere Mitgliederstrukturen reaktivieren, unsere Funktionär*innen besser ausbilden – organisatorisch wie inhaltlich – und neue Mitglieder erreichen. Unser Ziel ist es, die Strukturen der Bezirke, Unterbezirke und Kreisverbände wieder stärker an die Jusos Bayern zu binden und untereinander zu vernetzen. Dafür werden wir mit inhaltlichen Debatten, die wir bei den Jusos Bayern führen, zu unseren Untergliederungen vor Ort gehen und in Absprache mit den Bezirken Diskussionsangebote schaffen. Wir wollen direkt mit unseren Mitgliedern ins Gespräch kommen und über inhaltliche Debatten Identifikation mit den Jusos Bayern schaffen.

S6 Psychische Gesundheit als gesellschaftliches Problem sehen

22.09.2023

Die psychische Gesundheit ist in den letzten Jahren, nicht erst seit Corona, zunehmend in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geraten. Basierend auf epidemiologischen Studien sind in Deutschland jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Dies entspricht 17,8 Millionen Menschen. Diese hohen Fallzahlen stoßen auf ein völlig unterfinanziertes psychisches Gesundheitssystem. Wir benötigen daher eine umfassende Reform im Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, die sich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen und Realitäten stellt.

Wir Jusos sehen die psychische Gesundheit jedoch nicht nur als individuelles Problem an, dass eine adäquate Behandlung benötigt, oder als ein Problem des Gesundheitssystems, sondern auch als gesellschaftliches Problem. 

Psychische Krankheit findet immer im gesellschaftlichen Kontext statt. Zum einen verändert sich, was im Laufe der Zeit von der Gesellschaft als krank angesehen wird. Dabei dient das Label der (psychischen) Krankheit auch oft dazu, Menschen zu stigmatisieren und aus der Gesellschaft auszugrenzen. Zum anderen können steigende Fallzahlen psychischer Krankheiten als Hinweis darauf gesehen werden, dass in vielen Gesellschaftsbereichen Dinge nicht gut funktionieren. Das fängt an bei einer chronisch überlasteten Jugendhilfe, einem Fachkräftemangel in vielen sozialen Berufen und oft einer Unterfinanzierung in den Bereichen, in denen Menschen geholfen werden kann. 

Wir denken auch, dass psychische Krankheiten immer noch stigmatisiert werden und so eine gesellschaftliche Hürde aufgebaut wird sich in Behandlung zu begeben. Dies fängt in unserer Sprache unseren Umgang an, die Menschen psychische Krankheiten oft als Beleidigung ansieht (“Dachschaden”, “gestört”) und hört damit auf, dass es bei Versicherungen und bei der Verbeamtung teilweise als Ausschlusskriterium aufgeführt wird. Unser Ziel ist es, diese Stigmata abzubauen. Wir finden es wichtig möglichst niedrige Hürden für die Behandlung von psychischen Problemen aufzubauen.

Unsere Analyse als Jusos geht jedoch weiter. Wir sind der Überzeugung, dass psychische Krankheit auch etwas mit dem gesellschaftlichen Klima, Kapitalismus und sozialer Ungleichheit zu tun hat. Wir leben in einer Gesellschaft in der es schwer ist sich der neoliberalen Erzählung zu entziehen, dass man selbst für sein Glück verantwortlich ist. Diese Erzählung fördert und fordert eine ständige Selbstoptimierung und Anstrengung. Der gesellschaftliche Imperativ erstreckt sich dabei auf fast alle Lebensbereiche. Wir “müssen” fit, gesund, ein anregendes Sozialleben haben und gleichzeitig beruflich Erfolg haben um uns zu distinguieren.  Diese Anstrengung führt in vielen Fällen zu einem “erschöpften Selbst” und zu Überforderung. Gleichzeitig realisieren immer mehr Menschen, dass eine sich tief in der Gesellschaft verankerte ökonomische Ungleichheit gesellschaftlichen Aufstieg unmöglich macht und gerade individuelle Verantwortung für ökonomischen Erfolg verhindert. Diese klaffende Lücke zwischen gesellschaftlicher Realität und wahrgenommenem gesellschaftlichem Anspruch ist schwer für die betroffenen Menschen auszuhalten. Er kann dazu führen, dass Menschen vereinzeln, sich als isoliert wahrnehmen und sich selbst die Schuld für ihre Situation geben, obwohl diese durch gesellschaftliche Probleme ausgelöst werden. 

Darüber hinaus erzeugt die große ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus auch eine ungleiche Gesundheit bei Menschen. Armut ist ein starker Risikofaktoren für das Erkranken an psychischen Krankheiten. Menschen die von Armut betroffen sind, haben weniger Ressourcen sich gegen Risiken abzusichern, sind im Alltag täglich Stress ausgesetzt und haben (im Durchschnitt) weniger Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe. Dieser chronische Stress hat oft eine fatale Auswirkung auf die psychische und körperliche Gesundheit, da er quasi eine ständige Überbelastung darstellt. Wir Jusos machen die extreme ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus mitverantwortlich für die Probleme im Bereich der psychischen Gesundheit.

Deshalb ist für uns Jusos die Antwort auf die Krise der psychischen Gesundheit nicht nur “mehr Psychotherapie”, sondern immer wieder auch eine Auseinandersetzung, sowohl mit der Verteilungsgerechtigkeit, den Arbeits- und Betreuungsbedingungen, der Finanzierung und Ausgestaltung des Sozialstaates,  als auch mit dem gesellschaftlichen Zeitgeist. Eine politische Arbeit, die zum Ziel hat, dass mehr Solidarität entsteht, dass Menschen sich als Teil einer solidarischen Gesellschaft wahrnehmen und für ihre politischen Forderungen nach einem würdigen Leben in einer extrem ungerechten Gesellschaft auf die Straße gehen. 

Psychiatrische Krankenhäuser personell ausstatten und neu denken

Eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung besteht aus mehr als nur einer medikamentösen Behandlung. Für alle psychischen Krankheiten empfehlen evidenzbasierte Leitlinien heute Psychotherapie. Gleichzeitig ist eine multidisziplinäre Arbeit mit allen Berufsgruppen notwendig, um eine gute Versorgung sicherzustellen. Dazu braucht es eine ausreichende Personalausstattung und eine adäquate Abrechenbarkeit aller Leistungen, aller Berufsgruppen. Die sogenannten Fallpauschalen, die im pauschalisierten Engeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik abgebildet werden (PEPP), haben auch in der Psychiatrie und Psychosomatik verheerende Folgen. Gerade in einem Umfeld in dem Patient*innen unter anderem einen anderen Umgang mit Druck, Stress und Leistungsdenken finden wollen, wirkt sich der extreme finanzielle Druck, den alle beteiligten Personen zu spüren bekommen, negativ auf die Gesundheit der Patient*innen, aber selbstverständlich auch des Personals, aus. Deshalb bedarf es hier einer umfassenden Reform, die die besondere Arbeitsweise der Psychiatrie berücksichtigt und gleichzeitig eine Übermedizierung verhindert. 

Für viele Betroffene kann die Unterbringung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung und damit verbundene Zwangsmaßnahmen eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer wieder Auflagen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festgelegt hat. Dies hat auch in den Folgejahren zu einer sprunghaften Abnahme von Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen geführt. Wir finden es bedauernswert, dass erst Gerichte entsprechende Auflagen, nach oft mühsamen Rechtsstreiten, festlegen müssen. Dementsprechend benötigt es eine umfassende Beteiligung von Betroffenen und Patient*innen, um gesetzliche Regelungen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festzulegen. Des Weiteren wollen wir systematisch offene Psychiatriekonzepte fördern, wie zum Beispiel das “Weddinger-Modell”. Bei diesem Psychiatriekonzept wird unter anderem nicht pauschal eine ganze Station “zugesperrt”, sondern individuell und situativ entschieden, ob eine Tür abgesperrt wird. Weitere Ziele sind es es die Autonomie der Patient*innen zu stärken, die bei jedem Behandlungsschritt anwesend sind und Mitspracherecht haben, Multidisziplinäres Arbeiten zu fördern und auch Anwohner*innen einzubeziehen, um möglichen Ängsten zu begegnen. Dafür benötigte es jedoch eine ausreichende Personalausstattung und eine Umsetzung der Richtlinien “Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL)” und entsprechender Sanktionsmechanismen.

Wir fordern:

  • mindestens 2x 50 Minuten psychotherapeutische Behandlung im stationären Setting (bisher 1x 50 Minuten)
  • Eine Verpflichtung von Krankenhäuser Patient*innen darüber zu informieren, wenn Personalrichtlinien nicht eingehalten werden
  • Effektive Sanktionen für Krankenhäuser die dies nicht einhalten
  • Adäquate Finanzierung der Krankenkassen
  • Beschwerdemöglichkeiten für Patient*innen wenn diese nicht eingehalten werden
  • Einen Rechtsanspruch aller Berufsgruppen auf regelmäßige Supervision
  • Ablehnung der “pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik”
  • Politische Förderung offener Psychiatrie-Konzepte
  • Eine Neuregelung der Unterbringung und Zwangsmaßnahmen unter Einbeziehung von Patient*innen und Betroffenen
  • Behandlung von psychischen Krankheiten darf kein Kriterium für die Verbeamtung sein

Ausbildung zum/zur Psychotherapeut*in weiter reformieren

Mit der Reform der Psychotherapeut*innen Ausbildung im Jahr 2019 ist ein erster positiver Schritt erfolgt die Ausbildung, zumindest theoretisch, einfacher zugänglich zu machen. Sie muss jedoch noch besser werden. Durch die Ausbildungsreform haben sich die Ausbildungskosten zumindest in der Theorie verringert. Jetzt fehlt immer noch die Ausfinanzierung.

Wir sehen es als wichtiges Anliegen den Beruf des*der Psychotherapeut*in möglichst unterschiedlichen Menschen zugänglich zu machen. Diversität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern ist uns ein generelles Anliegen. In der Psychotherapie kann durch mangelnde Diversität jedoch ein spezifischer Schaden entstehen.  Man muss nicht Freud ins Feld führen um deutlich zu machen wie die Biographie eines Therapeuten die Perspektive auf die Patient*innen prägt. Natürlich gehört es zur Berufsbeschreibung der*des Therapeut*in Empathie und Verständnis für Patient*innen zu zeigen. Psychotherapeut*innen sind aber auch Teil der Gesellschaft, die für unterschiedliche Formen der Diskriminierung unterschiedliche Maß an Verständnis hat. Wir wollen daher, dass unterschiedliche Patient*innen sich durch unterschiedliche Therapeut*innen behandeln lassen können.

Der aktuelle Weg Psychotherapeut*in zu werden sieht entweder ein Medizinstudium, oder ein Psychotherapeut*innenstudium mit anschließender 5 jähriger Weiterbildung vor. Diese Weiterbildung findet im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung statt und sieht  auch einen ambulanten Teil in Praxen und Weiterbildungsstätten vor. Dafür fehlt derzeit die Finanzierung! Dies kann zur Folge haben, dass entweder eine ganze Generation von Therapeut*innen sich verschulden muss, oder der Berufszweig nur Wenigen offensteht. 

Wir fordern daher:

  • Bezahlung des praktischen Jahres für Medizinstudent*innen
  • Eine Gesetzesinitiative die die Finanzierung der Weiterbildung von Psychotherapeut*innen sicherstellt

Ambulante Versorgung reformieren

Aktuell ist die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in einem komplexen Gebilde selbstverwaltet. Dabei handeln die Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den Verbänden der Krankenkassen die Vergütung und Versorgung der Patient*innen (im Rahmen des SGB) im Gemeinsamen Bundesausschus aus. Dort haben die Krankenkassen einen starken Einfluss. Die aktuelle Bedarfsplanung beruht, mit kleinen Veränderungen, auf der Bedarfsplanung von 1999. Dadurch entstehen durchschnittlich Wartezeiten von ca. 5 Monaten. Dies ist ein inakzeptabler Zustand.

Die Selbstverwaltung ist eine historisch gewachsene Struktur, die einerseits eine gewisse Unabhängigkeit der medizinischen Versorgung vor politischem Einfluss garantiert. Andererseits ist sie nicht ausreichend demokratisch legitimiert, sorgt für Besitzstandswahrung und eine systematische Unterfinanzierung im Bereich der psychischen Gesundheit. Die Komplexität der Selbstverwaltung garantiert auch, dass jahrelange Probleme in der Versorgung von Patient*innen ignoriert werden können und immer wieder die Forderung nach “mehr Therapieplätzen” unerhört bleiben. Es ist den meisten Menschen unklar, wer dafür verantwortlich sein soll, gleichzeitig muss sich niemand politisch dafür verantwortlich zeigen.

Zugleich werden Kassensitze für viel Geld “verkauft”, es bleibt dabei unklar, wie es sein kann, dass Investoren oder einzelne Personen das Recht kaufen können, über die Krankenkassen abzurechnen. Diese Kassensitze werden dabei von den Kassenärztlichen Vereinigungen in einer Selbstverwaltung (nach gesetzlichen Richtlinien) verwaltet. Oft werden diese Sitze über Generationen vererbt, oder auch von Investoren aufgekauft die dann Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen anstellen. Dies hohen Preise müssen refinanziert werden. Dadurch werden weitere Impulse für eine vollständige Durchökonomisierung der ambulanten Patient*innenversorgung gesetzt. Dort wo es der Selbstverwaltung nicht gelingt, wie im Bereich der psychischen Gesundheit, für eine ausreichende Versorgung der Patient*innen zu sorgen, muss eingegriffen werden.

Eine besondere Not zeigt sich in der ambulanten Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Bisher war es auch Pädagog*innen möglich, diese Ausbildung abzuschließen. Dies wird nach der Reform der Psychotherapeut*innenausbildung nicht mehr möglich sein. Zu befürchten ist, dass es dann zu wenige Kinder- und Jugendtherapeut*innen gibt. Oft stellt sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch als zeitlich anspruchsvoller dar, da auch die Eltern mit einbezogen werden müssen. Um diese Arbeit besser gestalten zu können, sollten mehr Stunden für die Arbeit mit Eltern zur Verfügung stehen.

Wir fordern:

  • Eine Umfassende Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses, so dass auch Parlamentarier*innen darin vertreten sind.
  • Ein umfassendes Gesetz, das den gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt, mehr Kassensitze zur Verfügung zu stellen. Ziel muss es sein, dass niemand länger als einen Monat auf einen Kassensitz wartet.
  • Sollten Patient*innen bei fünf Therapeut*innen länger als ein Monat auf einen Therapieplatz warten müssen, sollte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden über das Kostenerstattungsverfahren, auch bei approbierten Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz in Therapie zu gehen
  • Ein Verbot von Investoren getragenen medizinische Versorgungszentren (iMVZ)
  • Kassensitze dürfen nur von den praktizierenden Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen, gemeinnützigen oder kommunalen Trägern gehalten werden
  • Verbot der Weitergabe von Kassensitze an Verwandte oder verschwägerte Personen, außer wenn es keine anderen Bewerber*innen gibt
  • Die kostenlose Vergabe von Kassensitzen
  • Wir fordern eine getrennte Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendtherapeut*innen und allgemeinen Psychotherapeut*innen
  • Mehr abrechenbare Angehörigengespräche in der Kinder- und Jugendtherapie

Umgang mit psychischen Druck in der Partei

Eine große Herausforderung für uns als Partei ist es, immer wieder unsere Grundwerte auch im Parteileben durchzusetzen. Unser Ziel ist es, dass Solidarität auch gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten gelebt wird und so allen Menschen ermöglicht wird, dauerhaft am Parteileben, und damit Demokratie, zu partizipieren. Es liegt uns am Herzen, dass psychische Gesundheit ein Wert an sich ist. Es ist uns wichtig, das Parteileben und insbesondere das Ehrenamt so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen Belastungsgrenzen teilnehmen können. Allzu oft leben auch wir in der Partei einen ungesunden Leistungsgedanken vor, der besagt, auf je mehr Veranstaltungen man ist, und je öfters man sich zu Wort meldet, desto mehr hat die Stimme Gewicht. Manchmal entsteht der Eindruck, dass durch diesen oft unausgesprochenen Leistungsgedanken ein systematischer Anreiz herrscht, über seine eigene Leistungsgrenze hinauszugehen. Dies könnte ein ungesunder Mechanismus sein, bei dem wir viele engagierte Menschen verlieren. 

Unsere Aufgabe und Anspruch als demokratische politische Jugendorganisation muss es sein, Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen politische Teilhabe zu ermöglichen.  

 

I6 Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit

22.09.2023

Antrag:

Wir setzen uns für eine Reform des §53 StPO ein. Ziel ist die Aufnahme der Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit in die geschützten Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO (sogenannte Berufsgeheimnisträger:innen). Wir fordern weiterhin die BayernSPD-Landtagsfraktion dazu auf, zu beantragen, dass der Freistaat Bayern sich der Bundesratsinitiative des Freistaats Sachsen anschließt, die ebendieses Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit fordert.

Begründung:

Soziale Arbeit ist Vertrauensarbeit! Vertrauensvolle Beziehungen zwischen Sozialarbeiter:innen und ihrer Adressat:innengruppe bilden die Grundlage für gelingende Soziale Arbeit. Nur auf dieser Grundlage lassen sich beispielsweise Präventionsangebote, Streitschlichtung und gelingende Krisenintervention durchführen. Die „aktuelle“ Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema ist bereits 50 Jahre alt. In den 70er Jahren urteilte es, die Soziale Arbeit sei kein Beruf, „für dessen Gesamtbild die Begründung höchstpersönlicher, grundsätzlich keine Offenbarung duldender Vertrauensverhältnisse kennzeichnend wäre“. Die Verfassungsrichter:innen befanden auch, das Berufsfeld sei unklar, besäße keine besondere Vorbildung, keinen gewachsenen Berufsethos. Davon kann heute nicht mehr gesprochen werden. Sozialarbeiter:innen durchlaufen ein anerkanntes Studium, sind in verschiedensten Dachverbänden zusammengeschlossen und blicken auf Jahrzehnte der Berufserfahrung zurück. Dass das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht die berufliche Handlungsfähigkeit bedroht, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Karlsruhe. Mitarbeiter:innen des dortigen Fanprojekts wurden von der Karlsruher Staatsanwaltschaft vorgeladen und sind nun gezwungen, in einem Strafprozess auszusagen – andernfalls drohen Geldstrafen oder Haft. Vorausgegangen waren Einsätze von Pyrotechnik der Karlsruher Ultras, wobei es elf Verletzte gab. Im Anschluss initiierte das Karlsruher Fanprojekt Vermittlungsgespräche zwischen Ultras und den betroffenen verletzten Personen. Als die Staatsanwaltschaft davon erfuhr, wurden die Fanprojektmitarbeiter:innen vorgeladen und mussten im Vertrauen getätigte Gesprächsinhalte mit ihrer Adressat:innengruppe offenlegen. Damit wird das oben beschriebene Fundament der Sozialen Arbeit ausradiert. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Fanprojekt und Ultras ist so nicht mehr möglich.

I4 Strafverteidigung für alle - unabhängig vom Geldbeutel

22.09.2023

Forderungen:

  •     Bereits bei Vergehen (Mindeststrafandrohung unter einem Jahr) soll ein Anspruch auf eine*n von staatlicher Seite gestellte*n Verteidiger*in bestehen
  •     Belehrung hierüber erfolgt zur Zeit der Anklageerhebung
  •     Entscheidungspflicht der angeklagten Person. Trifft sie keine Entscheidung, wird ein*e Verteidiger*in hinzugezogen
  •     Verteidiger*innen-Kosten werden vom Staat ausgelegt und bei Unfähigkeit der angeklagten Person, die Kosten zu tragen, erlassen
  •     Zur Sicherstellung der Deckung des Verteidiger*innen-Bedarfs Errichtung einer eigenen Behörde als quasi Spiegelbild zur Staatsanwaltschaft

 

Begründung: „Sie haben das Recht auf einen Anwalt“, heißt es regelmäßig in amerikanischen Crime-Serien, wenn die verdächtige Person die Handschellen angelegt bekommt. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, würde so in deutschen Krimis wohl nicht vorkommen: Zwar kann man auch in Deutschland jederzeit eine*n Anwalt*in konsultieren, eine Pflichtverteidigung stellt jedoch die Ausnahme von der Regel dar. Lediglich 10% aller Beschuldigten erhalten eine Pflichtverteidigung. Hintergrund hiervon ist, dass nur Verbrechen, also Straftaten mit einer Mindeststrafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe, von der Pflichtverteidigungsregel in § 140 StPO umfasst sind. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass 90% aller Strafverfahren nur dann unter Mitwirkung eine:r Verteidiger:in erfolgen, wenn ein:e Beschuldigte*r das Geld hierfür aufbringen kann. Wie aussichtslos eine hieraus resultierende Selbstverteidigung durch rechtliche Laien in der Praxis ist, zeigt eine Umfrage unter den Richter*innen am Amtsgericht Frankfurt: Mit Rechtsbeistand erfolgte ein Freispruch immerhin noch in 7 % aller Fälle. Ohne Rechtsbeistand sank die Freispruchquote auf nahezu 0 %. Die Erkenntnis hieraus ist somit, dass es nicht angehen kann, dass Menschen auf Basis ihres Kontostandes schlechtere Erfolgsaussichten vor einem Strafgericht haben als gut Betuchte. Folglich wollen wir jede*n dazu befähigen, einen Rechtsbeistand an die Seite gestellt zu bekommen, indem jede*r Angeklagte ein Recht auf einen staatlich gestellte*n Verteidiger*in erhalten soll. Hierzu hat die:der Richter*in die angeklagte Person auch bei Vergehen darüber zu belehren, dass ihr ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt werden kann. Die Belehrung hat außerdem zu umfassen, dass der Staat die Kosten hierfür übernimmt, sollte die:der Angeklagte nicht im Stande sein, die Kosten zu tragen. Lehnt die angeklagte Person die Geltendmachung ihres Rechts aktiv ab (beispielsweise weil sie kein Interesse an der Fortführung des Verfahrens hat), erkennen wir die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung an. Jedoch gibt es auch Verfahren gegen Personen, die intellektuell und/oder sprachlich bedingt nicht in der Lage sind, ein Recht vor Gericht geltend zu machen. In diesen Fällen sowie in den Fällen, in denen sich eine Person schlicht nicht entscheiden kann, ob sie sich verteidigen lassen möchte oder nicht, soll die Person eine:n Verteidiger*in gestellt bekommen. Hiermit stellen wir sicher, dass jede:r vor Gericht die gleichen Ausgangschancen hat. 

Nachdem hieraus ein deutlich höherer Bedarf an Verteidiger:innen resultiert, fordern wir für die genannten Fälle eine eigene Behörde, quasi ein Spiegelbild der Staatsanwaltschaft. Dies stellt keine Verdrängung der restlichen Anwält*innenschaft dar, da diese immer noch als Wahlverteidiger:innen herangezogen werden kann. Der Benefit hiervon ist, dass sichergestellt werden kann, dass die Qualität der Verteidigung stimmt und die Anwält*innen auch bei in der Regel eigentlich unlukrativen Mandaten angemessen vergütet werden.

U3 Rohstoff Plastik nachhaltig nutzen!

22.09.2023

Polymere sind faszinierend vielseitige Stoffe. Durch Anlagerung chemischer Gruppen können ihre Eigenschaften bis ins kleinste Detail angepasst werden. Für unzählige Anwendungen kann somit genau jenes Material geschaffen werden, welches benötigt wird. Diese Vielseitigkeit führte aber auch dazu, dass für unzählige Zwecke massenhaft Verwendung fand und viele Artenan Kunststoffen durch die industrielle Produktion spottbillig geworden sind. Beispielsweise kann für nahezu kein Geld jede Ware in Schichten von Verpackungsmaterial aus Kunststoffen gewickelt werden. Diese günstige Verfügbarkeit der Plastik führt jedoch dazu, dass es keine Marktanreize gibt, damit ressourcenschonend umzugehen. Die wahren Kosten des Plastikverbrauchs – die enorme Umweltverschmutzung – werden eh nicht von den industriellen Akteuren getragen

Plastikverschmutzung stellt neben der Emission von Treibhausgasen und der großflächigen Entwaldung den größten menschengemachten Eingriff in die Umwelt dar. Im Gegensatz zum Klimawandel als Konsequenz der CO2-Emission sieht die Menschheit sich aber nur mittelbar mit den Folgen der Plastikverschmutzung konfrontiert. Oft wird es auf einen ästhetischen Makel reduziert – zwar wird bedauert, dass ein Waldstück oder ein Strandabschnitt verdreckt ist, aber  die Natur scheint sich dennoch damit zu arrangieren. So generiert die Klimafrage und Schutz von Wäldern, welche eng verzahnt miteinander sind, weit mehr Momentum, als es die Plastikfrage noch tut. So stieg der Plastikmüll die letzten Jahre weiterhin – in Deutschland zuletzt  auf 227 Kilo pro Kopf und Jahr.

Es wird geschätzt, dass 2010 1,5% bis 4,5% der weltweiten Produktion an Plastik – und damit 4 bis 12 Millionen Tonnen – im Meer gelandet sind. Des Weiteren wird erwartet, dass diese  jährliche Menge noch bis auf das Doppelte ansteigen wird. Dabei sind 99% des jemals in die Meere entsorgten Plastikmülls nicht mehr aufzufinden. Einiges davon ist im arktischen Eis gefangen und dürfte dank Klimaerwärmung ein baldiges Comeback haben. Der größte Anteil davon ist vermutlich aber entweder von Fischen und anderen Meereslebewesen gefressen worden oder wurde unter Sonneneinstrahlung und Wellengang zu kleineren Stücken, sog. Mikroplastik zerrieben. Trotz der unmittelbaren Bedeutung für maritime Ökosysteme und damit auch die Ernährung der Menschheit sind dessen Auswirkungen nur unzureichend erforscht. Die lückenhaften Ergebnisse bisher geben dennoch Grund zu Besorgnis. So wird Plastikverschmutzung u.a. mit der Erkrankung von Korallen, Unfruchtbarkeit und dem Tod von Millionen Tieren jedes Jahr in Verbindung gebracht. Außerdem gibt es auch direkte Folgen auf die Gesundheit von Menschen. Manche Weichmacher in Plastikprodukten können bei Kindern Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), sogenannte Kreidezähne, hervorrufen.

Für viele der weithin verwendeten Kunststoffarten gibt es Alternativen. Durch weitere Arbeit von Forscher:innen und Umweltschützer:innen wächst der Pool an Ersatzprodukten, wie etwa Zuckerrohr, Pilze, Milchproteine, Maisstärke, Algen, Hanf und Schalentieren. Für beispielsweise Sportkleidung oder Laufschuhe wird mit künstlicher Spinnenseide experimentiert. Da die Ersatzstoffe aber stets teurer sind, scheitern sie an den bestehenden Marktmechanismen. Außerdem suchen Forscher:innen in Hafenbecken und neben Mülldeponie nach Bakterien und Enzyme zu dem Zersetzen von Plastik. Es besteht somit auch Aussicht auf Technologie zur Beseitigung der bereits geleisteten Umweltschäden. Aber es liegt nicht in der Natur der Marktwirtschaft, dass dies von den Verursacher:innen freiwillig finanziert wird. Da der Markt hier klar versagt, braucht es staatliche Akteure.

Die weltweite Plastikverschmutzung bedarf einer internationalen Lösung. Bessere nationale und supranationale Standards, wie etwa auf EU-Ebene, sind demgegenüber förderlich. Bisher ist die Regulierung von Plastik nur mäßig etabliert. Regulierung erfolgt zwar aus dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), dem Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) und der Londoner Konvention, allerdings gibt es kein Übereinkommen, welches einzig das Problem der Plastikverschmutzung adressiert und regelt.

Die EU zeigte sich in den letzten Jahren sehr aktiv und präsentiert erste Ansätze zur Plastikeindämmung. Es benötigt ein Vorgehen, das dem Beispiel des Montreal-Protokolls 1989 zum Verbot und der erfolgreichen Einschränkung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) führte. Die sozialistische und sozialdemokratische Parteienfamilie und die Europäische Union sollten dies vorantreiben.

Bestimme Plastikarten als Giftmüll klassifizieren

Wir fordern die Klassifizierung von Plastik, welche entweder sich als schädlich erweisen und/oder schlechte Recycling-Quoten aufweisen als Gefahrenstoffe. Damit geht man über die Materialien hinaus, welche z.B. durch Weichmacher direkt giftige Auswirkungen zeigen und bezieht die Gefahr für die Umwelt durch Verschmutzung mit ein.                                     Insbesondere betrifft das die vier Plastikarten PVC, Polystyrene, Polyurethane und Polycarbonate, die zusammen genommen bereits 30% der Produktion ausmachen. Diese erweisen sich als besonders schwierig zu recyceln und enthalten potenziell giftige Bestandteile

Verbot nach Anwendungsbereich

Ergänzend zur Klassifizierung spezifischer Materialien als Giftmüll soll Plastik in den Anwendungsbereichen mehr und mehr verboten werden, in denen es sich vor allem durch den geringen Preis behauptet und Ersatzstoffe für vertretbare Mehrkosten verfügbar sind. Bestehende Gesetzeslagen zum Verbot von Einwegplastik, wie bald gültig in der EU, werden begrüßt. Ambitionierter, aber durchaus realistisch ist die Zielsetzung, in den 2020er Jahren Verpackungsplastik so weit zurückzufahren, dass bis 2030 jegliche Verpackungen kunststofffrei sind. Auch in anderen Bereichen, wie etwa Bau, Kleidung, etc., müssen Anwendungen von Kunststoffmaterialien zunehmend unter Rechtfertigungsdruck kommen und Verbote ausgeweitet werden. Ausgenommen von alledem sind weiterhin hochspezialisierte Anwendungen, z.B. im medizinischen Bereich und in der Materialforschung

Recyclingsystem verbessern

Für alle Polymerstoffe, die für die großindustrielle Verwendung weiterhin zugelassen werden, wird eine entsprechend hohe Recyclingquote vorausgesetzt. Dazu bedarf es zunächst mal, dass die Berechnung der Quote auf ein ehrliches Fundament gestellt wird. In Deutschland kann man die offiziellen Zahlen als bestenfalls “schöngerechnet” bezeichnen. So sprechen die offiziellen Angaben von einer Recyclingquote von 80%, welches aber lediglich die Menge beziffert, welche Recyclinganlagen erreichen. Schätzungsweise mehr als die Hälfte kann aber in der Anlage nicht verarbeitet werden. Selbst wenn, dann kann der Stoff nur selten erneut in die ursprüngliche Anwendung zurück überführt werden. Durch bessere Sortieranlagen und Förderbandsysteme kann diese Quote tatsächlich erreicht werden, allerdings sollte der aktuelle Stand sich auch in der Statistik widerspiegeln.

Zur Wahrung der Recyclingstandards gehört auch, dass Müll nicht durch Export aus der Enthebung entfällt. Es ist leider gängige Praxis, dass Abfall, darunter auch Plastikmüll, in Entwicklungsländer exportiert wird, und dabei unter großen sozialen und ökologischen Schäden verwertet wird. Internationale Kooperationen in der Wertschöpfungskette von Plastikmüll darf es nur geben, wenn die gleichen oder höhere Standards gewahrt werden. Durch Modernisierung muss die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen stetig besser werden.                                 Insbesondere braucht es auch gesicherte Ketten für Kunststoffe abseits des Verpackungsplastiks. Bleibt die Recyclingquote einzelner Polymermaterialien zurück, so muss eine Klassifizierung als Giftmüll wie zuvor vorgeschlagen in Erwägung gezogen werden. Um auch Plastik zu erfassen, welches nicht in Verpackungen verwendet findet, zu erfassen und zu recyclen sollen bundesweit Wertstofftonnen das duale System ersetzen. Ein Bundesprogramm soll den Kommunen bei der Verbesserung ihrer Sortiersysteme helfen und neuartige, KI- gestützte Recycling-Anlagen ermöglichen

Verpflichtung der Industrie

Eine flexible Plastik-Steuer soll das “duale System” in der Abfallwirtschaft, wonach nach dem Verpackungsgesetz jeder Produzent zur Rücknahme des Verpackungsmülls verpflichtet ist, ablösen und die gesamte Plastik produzierende Industrie für den Verbleib des Materials in die Verantwortung nehmen. Wichtig ist dabei, diese nicht als Verbraucher*innensteuer zu gestalten, sondern bei den produzierenden Unternehmen anzusetzen. Die Steuer soll für jedes Unternehmen anhand von Kriterien wie Menge, Art und recycling-freundliches Design des Plastiks berechnet werden. Ein “PlastikTÜV”, welcher die Steuerhöhe festlegt, setzt somit Anreize dafür, Kunststoffe nachhaltig zu nutzen. Mit der Plastiksteuer wird die Wertstofftonne anteilig finanziert, was mindestens dem Wert der aktuellen Zahlungen zum “Gelben Sack”entspricht.

Des Weiteren schlagen wir die Gründung von Kunststoff-Fonds auf nationaler Ebene vor, welcher sich ebenfalls aus der Plastiksteuer finanziert. Die Höhe des Fonds sollte mindestens den geschätzten Schäden zur Plastikverschmutzung für die Allgemeinheit entsprechen. Dies soll von einer unabhängigen Stelle wissenschaftlich untersucht und geschätzt werden. Aus diesem Fond sollen Projekte finanziert werden, die die ökologischen und sozialen Folgen der Plastikverschmutzung eindämmen. Etwa soll dadurch die Forschung an der Zersetzung von Kunststoffverschmutzung in den Ozeanen durch Bakterien gefördert werden. Der Fond soll von einem unabhängigen Gremium aus NGO-Vertreter*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen bestehen.

Am Beispiel von Kunststoffen zeigt sich, dass der Markt allein nicht zu einem effizienten Umgang mit Rohstoffen in der Lage ist. Durch zunehmende Regulierung basierend auf dem Rat von Expert*innen und Wissenschaftler*innen wird es möglich sein, die Vorteile der Polymermaterialien weiterhin dort einzusetzen, wo sie Innovationen ermöglichen, und jene Anwendungen auszuschließen, die nur aufgrund eines Marktpreises, welcher die externen Kosten in der Umwelt nicht beachtet, Sinn ergeben.

B2 Dekolonialisierung der Bildung

15.09.2023

Um die Dekolonialisierung voranzutreiben, muss auch darauf geachtet werden den daraus entstandenen strukturellen Rassismus zu bekämpfen. Dies muss durch die Schaffung von gleichen Bildungschancen für alle und aktive Förderung von bisher strukturell benachteiligten Personengruppen passieren. Es müssen Hürden und Rassismen abgebaut werden, wie etwa die Anerkennung der Muttersprache als zweite Fremdsprache als Qualifikation zur Fachhochschulreife über die bisherigen 5 Sprachen hinaus.

Ebenfalls braucht es in allen Bildungsbereichen Anlaufstellen, a die sich Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, wenden können. Hierbei geht es vor allem darum Schüler*innen und Studierenden zu vermitteln, wie sich Koloniales Erbe noch heute in globalen Ökonomien und Abhängigkeiten verschiedenster Form widerspiegelt. Dazu braucht es eine allgemeine Weiterbildung von allen lehrenden Personen im Bereich Diskriminierung, wie sie funktioniert und welche verschiedenen Arten der Diskriminierung es gibt. Ziel dieser Weiterbildung muss eine stärkere Sensibilisierung und Ausprägung von Awarenessfähigkeiten sein. Nichts destotrotz braucht es zusätzliches pädagogisches und psychologisches Personal, welches sich dem strukturellen Rassismus in allen bildungsrelevanten Institutionen widmet.

Wir fordern darüber hinaus das eine neue Bewertung der deutschen Kolonialzeit, aber auch global, Eingang in den Schulunterricht findet. Die Kolonialzeit rutscht meist in Vergessenheit hinter dem Verbrechen der NS-Diktatur, jedoch entstehen Nürnberger Gesetze und „Säuberungs“-Ideen nicht im luftleeren Raum. Die Rolle von amerikanischem Siedlerkolonialismus, britischem und Französischem Überseekolonialismus und verspäteten deutschen Kolonialismus und deren Verbrechen, bei der Brutalisierung der westlichen Gesellschaften und der Wegbereitung für einen deutschen Rassenwahn ist aufzuarbeiten.

Auch braucht es Veränderungen bei der Stellenpolitik in allen Bildungsbereichen. Viele Menschen sind auch hier von Rassismus betroffen. Dem wollen wir durch zielgerichtete Werbe- und Empowermentkampagnen und anonymisierte Bewerbungen entgegentreten.

Wir fordern die Einsetzung einer Taskforce an Universitätsfakultäten zur Dekolonialisierung.
Diese Taskforce soll innerhalb einer Fakultät arbeiten und zum größten Teil aus Expert*innen, unter Beteiligung von demokratisch gewählten Studis und Dozent*innen, bestehen. Das Ziel dieser Taskforce muss die vollständige Dekolonialisierung der Fakultät sein. Dazu soll die Taskforce die Fakultät kritisch begleiten und die entsprechenden Prozesse zur Dekolonialisierung einleiten und gestalten.

Bisher wird in den Sozial- und Geisteswissenschaften vor allem auf die Werke alter weißer Männer aus Zentraleuropa zurückgegriffen. Dies soll um Personen aus dem Globalen Süden ergänzt werden, um eine zusätzliche theoretische Perspektive aufzuzeigen und so das Wissen zu erweitern. Dies ist längst überfällig, da es dem kontemporären Diskurs entspricht die Situation aus einer intrinsischen Perspektive einschätzen kann.

Einige mögliche Beispiele für kritische Literatur sind Edward Said, Ghazi-Walid Falah, Kimberlé Crenshaw, Anna Rutherford, Kwasi Wiredu oder Héctor-Neri Castañeda. Diese Liste ist natürlich
nicht vollständig. Aufgrund der Natur der Sache müssen die Lehrinhalte ständig angepasst und
überarbeitet werden, um den Anspruch des modernen wissenschaftlichen Diskurses gerecht zu
werden.

Wir fordern eine sofortige Anpassung der schulischen Lehrpläne auf das Thema Dekolonialisierung in Zusammenarbeit mit Expert*innen und eine zusätzliche Schulstunde
Geschichte in allen Schularten. So gibt es viele Möglichkeiten das Thema im Unterricht
einzubauen. Dies soll primär im Unterrichtsfach “Geschichte”, bzw. an Mittelschulen im Fach
“GPG” geschehen. Es werden im aktuellen Lehrplan bereits Themen rund um die
Kolonialisierung besprochen, dies jedoch viel zu verkürzt und oberflächlich, sodass eine gezielte
Auslassung zur Verharmlosung der deutschen Rolle als Kolonialstaat nahe liegt. Hierzu fordern
wir folgende Themen an das bisherige Thema “Kolonien” anzuschließen. So soll untersucht
werden welche Auswirkungen die Geschichte der Kolonialisierung noch hat. Dabei sollen sich
die Schüler*innen anhand des Begriffs “Koloniales Erbe” mit den Folgen von Kolonialisierung
auseinandersetzen und sich die Notwendigkeit von Dekolonialisierung erschließen können. Der
Geschichtsunterricht lehrt jahrgangsstufenübergreifend überwiegend chronologisch. Wir fordern dabei bei der Behandlung des Lebens in Deutschland in den Zeiten des 19. bis 21. Jahrhunderts, dass dabei auch ein Fokus auf BPoC in Deutschland gelegt wird.

Begründung 

Das Thema der Dekolonialisierung ist ein politisches Thema von gesellschaftlicher Relevanz und Diskussion und sollte sich daher laut dem Beutelsbacher Konsens auch im Unterricht
wiederfinden. So gibt es im Diskurs immer wieder Kritik an der kolonialen Amnesie und der
Vernachlässigung von BPoc Leben in Deutschland. Dies muss aufgegriffen und verändert
werden. Deutschland muss seine Verantwortung für seine Rolle in der Kolonialisierung der Welt
wahrnehmen und eine Erinnerungskultur etablieren. Dabei fängt Erinnerungskultur immer in Bildungsbereichen an und zieht sich anschließend durch alle gesellschaftlichen Bereiche.
Deshalb muss sich Deutschland auch zur Aufgabe machen Dekolonialisierung voranzutreiben.
Dies ist außerdem nötig, um das Verständnis für das anhaltende Machtgefälle auf internationaler Ebene verständlich zu machen und Bürger*innen zu erziehen, die diese im historischen Kontext kritisch betrachten können.

Auch die UN hat die Bedeutung von Bildung in der anti-rassistischen Debatte begriffen und beschlossen so in Artikel 15 der Erklärung der UN über die Rechte der indigenen Völker dazu auf, dass sich „die Würde und Vielfalt [der indigenen] Kulturen und Traditionen, ihrer Geschichte und ihrer Bestrebungen in der Bildung und in für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen angemessen widerspiegeln.“ Da Deutschland das eigene koloniale Erbe bisher unzureichend bis kaum aufgearbeitet hat und die Kulturen der teils zwangsweise zugewanderten Bevölkerung unterdrückt, obwohl sie sich mittlerweile oft mit deutscher Pop- und Jugendkultur vermischen, sehen wir es als wichtig an diese historischen Zusammenhänge in allen Bildungsebenen zu beleuchten.

W1 Wachstum, Wachstum tralala, Wirtschaft ist nicht zum Wachsen da!

12.09.2023

Adressat*innen: Unterbezirkskonferenz Jusos München, Bezirkskonferenz Jusos
 Oberbayern, Landeskonferenz Jusos Bayern, Parteitag SPD München, SPD Oberbayern und
 SPD Bayern

 

 Viele wirtschaftspolitische Debatten in der Bundesrepublik – und auch in der SPD und
 bei den Jusos – drehen sich um die Frage nach Wachstum. Gerade im Zusammenhang mit
 der sozial-ökologischen Transformation ist außerdem eine neue Position prominent
 geworden, die unter dem Begriff “Degrowth” eine Schrumpfung der Wirtschaft fordert,
 um planetare Grenzen einzuhalten und das Wirtschaften umweltverträglich zu machen.

 

 Mit diesem Antrag wollen wir die Grundlage für eine klare Haltung zum Thema Wachstum
 schaffen und damit die Debatte konstruktiv weiterbringen. Diese Position bezieht sich
 auf die aktuell stattfindende Debatte um die sozial-ökologische Transformation, die
 sich vor allem im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems abspielt.

 

 Über welches Wachstum reden wir?

 Wenn heute über Wachstum gesprochen wird – egal ob Pro- oder De-Growth – dann geht es
 meistens um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Größe. Veränderungen im
 inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukt werden bei positiver Entwicklung als
 Wachstum bezeichnet. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt aus vielerlei Hinsicht die
 falsche Metrik: Wenn beispielsweise ein Hauseigentümer sein Haus an eine andere
 Person verkauft, die das Haus wiederum an den ursprünglichen Eigentümer vermietet,
 ist zwar das Bruttoinlandsprodukt gestiegen, es hat sich aber qualitativ nichts
 verändert.

 

 Das BIP gibt außerdem keine Aussage darüber, in welchen Branchen Wachstum
 stattgefunden hat. Gerade die große Menge überwiegend von FINTA*-Personen (Frauen,
 Inter, nicht-binäre und Trans Personen)

 geleistete unbezahlte Reproduktionsarbeit würde beispielsweise ein enormes
 Wirtschaftswachstum generieren, wenn sie politisch gewollt professionalisiert werden
 würde. Die Auswirkungen auf die Erderwärmung wären dabei enorm überschaubar.

 

 Wirtschaftswachstum – we don’t care

 Unsere Forderung ist es, eine agnostische Haltung gegenüber wirtschaftlichem Wachstum
 im Sinne einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts einzunehmen. Wachstum per se ist
 kein sozialistisches oder sozialdemokratisches Ziel, da alleine mehr erfasste Güter
 und Dienstleistungen nicht automatisch zu mehr Wohlstand führen. Insbesondere in den
 letzten Jahrzehnten ist die Vermögensungleichheit bei wachsender Wirtschaft stetig
 größer geworden. Statt auf Wachstum, soll Wohlstand für alle in den Fokus rücken.
 Aktiv für oder gegen Wachstum zu arbeiten, ist jeweils für sich auf unterschiedliche
 Weise problematisch.

 

 In den letzten 200 Jahren haben wir durch Steigerung von Produktion und
 Ressourceneinsatz ein hohes Wohlstandsniveau in den Volkswirtschaften des globalen
 Nordens geschaffen. Dies ging jedoch mit einer enormen Ausbeutung von Mensch und
 Natur, insbesondere im globalen Süden einher. Eine Fortführung dieser Entwicklung –
 umso mehr in der zunehmenden Geschwindigkeit – ist nicht innerhalb der planetaren
 Grenzen darstellbar.

 

 Wirtschaftspolitik muss sich daher zukünftig an anderen Zielen und nicht mehr an
 einer Steigerung des BIP ausrichten: Viel entscheidender als zu messen und
 vorzugeben, wie hoch der Gesamtwert aller Tauschgeschäfte in einer Volkswirtschaft
 war oder sein soll, ist es, qualitative Aspekte wie die Zusammensetzung der
 Wirtschaftsleistung und andere quantitative Aspekte wie den Grad der Dekarbonisierung
 oder die ökonomische Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen und als Ziele zu verfolgen.
 Dabei spielt vor allem auch der individuell wahrnehmbare Wohlstand und seine Mehrung
 eine Rolle. Hierfür muss auf bestehende Messgrößen zurückgegriffen werden und es
 müssen zudem neue Messgrößen entwickelt werden.

 

 Wir nehmen in der wirtschaftspolitischen Debatte aktuell vor allem zwei Positionen
 wahr. Auf der einen Seite das Dogma des ständigen Wachstums und demgegenüber die
 Forderung nach einem Ende des Wachstums und sogar eine Rückentwicklung der
 Wirtschaft. Beide Positionen lehnen wir klar ab.

 

 Vom aktuellen Wachstum profitiert nur das Kapital

 Das Dogma des ständigen Wachstums argumentiert, dass sich durch ständiges
 Wirtschaftswachstum der Wohlstand einer Volkswirtschaft vergrößern würde. Während es
 zutreffend ist, dass es eine Bedingung für den Kapitalismus ist, sich auszudehnen und
 zu expandieren, um die Interessen des Kapitals zu befriedigen, ist empirisch nicht
 von der Hand zu weisen, dass sich in den vergangenen Jahren trotz kontinuierlichem
 Wirtschaftswachstum die Einkommens- und Vermögensverteilung nicht verbessert sondern
 verschlechtert hat. Kurz: Von Wachstum profitieren aktuell also nicht in erster Linie
 diejenigen, die das Wachstum erwirtschaften, sondern vor allem diejenigen, die über
 die Produktionsmittel verfügen und sich die Arbeitskraft anderer aneignen.

 

 Auch das Argument, dass sich nur durch eine wachsende Volkswirtschaft – gemessen am
 Bruttoinlandsprodukt – das System sozialer Sicherung finanzieren ließen, ist nicht zu
 halten. Die Frage des Sozialstaats ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage von
 real verfügbaren Ressourcen. Würde das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr steigen, so
 müsste man allerdings den Anteil der Ressourcen quantitativ erhöhen, der Menschen in
 sozialen Berufen und Arbeitslosen zufließt oder aber die Qualität der Ressourcen
 steigern, damit Menschen in sozialen Berufen und Arbeitslose keine Wohlstandsverluste
 erleiden, wenn dieser absolut erhöht werden soll.

 

 Weiterhin wird argumentiert, dass in einer wachsenden und expandierenden Wirtschaft
 quasi automatisch neue Arbeitsplätze entstehen würden und für das Ziel der
 Vollbeschäftigung daher kontinuierliches Wachstum nötig sei. Doch auch dieses
 Argument lässt sich widerlegen: Weil die Produktivität einzelner Arbeitskräfte pro
 Zeiteinheit z.B. durch technologischen Fortschritt aber auch durch Qualifizierung
 stetig steigt, ist ein Anstieg der Produktivität und damit Wirtschaftswachstum
 möglich, ohne dass dies zu mehr Beschäftigung führt.

 

 De-Growth schadet denen, die arbeiten!

 Die gegenteilige Perspektive ist diejenige, die zuletzt besonders durch Ulrike
 Herrmanns Buch “Vom Ende des Kapitalismus” stark gemacht wurde. Aufgrund der harten
 planetaren Grenzen sei es nicht mehr möglich, im heutigen Umfang zu produzieren.
 Daraus resultiere die Notwendigkeit einer Deindustrialisierung und einer Schrumpfung
 der Wirtschaft, da wir über unsere Verhältnisse produzierten.

 

 Während es richtig und wichtig ist, planetare Grenzen als Fragestellung in die
 wirtschaftliche Debatte einzubeziehen, wäre diese Antwort mit einem massiven Verlust
 an materiellem Wohlstand und sinnstiftender Erwerbsarbeit verbunden, zwei zentralen
 Säulen unserer Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft. Wir dürfen daher
 nichts unversucht lassen, um eine Deindustrialisierung trotz Einhaltung der
 planetaren Kapazitäten – sowohl in Bezug auf Emissionen als auch in Bezug auf
 Ressourcenverbrauch – zu verhindern. Kurzfristig politisch herbeigeführte
 Deindustrialisierung würde vor allem dazu führen, dass Arbeitnehmer*innen ihre
 Arbeitsplätze verlieren und damit nicht nur in existenzielle Not geraten, sondern
 auch die Teilhabe an der Gesellschaft verlieren. Ganze Regionen und Gebiete wären
 bedroht, das soziale Spaltungspotential ist enorm.

 

 Wohlstandsniveau halten ohne weiteres Wachstum innerhalb der planetaren Grenzen: Wie
 soll das gehen?

 

 Das Ziel unser wachstumgsagnostischen Haltung ist der größtmögliche Wohlstand bei
 bestmöglicher Verteilung unter Einhaltung der planetaren Grenzen. Dafür braucht es
 aus unserer Sicht drei konkrete Dinge:

 

 1) Demokratische Entscheidung darüber, wofür Ressourcen und Emissionskapazitäten
 verwendet werden: Schaut man sich an, welche Einkommensgruppen für welchen Anteil von
 Emissionen verantwortlich sind, dann stellen wir schnell fest, dass es eine enorme
 Ungerechtigkeit in der Verursachung der Klimakrise gibt. Wir wollen daher den
 Ressourcenverbrauch und die Zuteilung von Emissionen demokratisch und nicht
 marktwirtschaftlich entscheiden: In vielen Bereichen – Luxuskreuzfahrten, Privatjets
 und ähnliches – lassen sich ohne Wohlstandsgefährdung der Vielen massive Einsparungen
 vornehmen.

 

 2) Aktive Transformation und Dekarbonisierung: Statt De-Growth braucht es aktive
 Transformation. Durch aktives staatliches Handeln, hohe Investitionen und klare
 Regularien ist es möglich, die Wirtschaft und auch die industrielle Produktion zu
 dekarbonisieren. Die Potentiale für erneuerbare Energien sind nicht ansatzweise
 ausgeschöpft, die technologischen Entwicklungen für emissionsärmere und
 emissionsfreie Produktionstechniken stehen noch am Anfang. Ansätze aus der
 Kreislaufwirtschaft und die Forderung nach einer Veränderung von Produktionsverfahren
 hin zu einer Wiederverwendbarkeit von endlichen Rohstoffen ist nicht nur ökologisch
 sondern auch demokratisch geboten, wenn wir uns nicht von rohstoffreichen,
 autokratischen Staaten erpressbar machen wollen.

 

 

 3) Wir wollen die Kreislaufwirtschaft: Insbesondere für die Frage der Ressourcen –
 Rohstoffe etc. – ist die Kreislaufwirtschaft viel diskutiertes und auch von uns
 unterstütztes Ziel. Wir wollen diesen Weg einschlagen und die Industrie durch
 ordnungsrechtliche Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft verpflichten. Aber die
 Kreislaufwirtschaft allein wird dabei nicht der heilige Gral sein: Selbst bei enormen
 technischen Fortschritt wird es notwendig sein, dem Wirtschaftskreislauf immer auch
 neue Primärrohstoffe zuzuführen, deswegen muss die Regenerationsrate von
 Primärrohstoffen in die demokratisierte Planung von Produktion integriert werden.
 Deswegen ist es notwendig, dass dieser Aspekt gemeinsam mit den beiden vorgenannten
 umgesetzt wird.

 

 Die Verfolgung dieser Ziele kann sowohl zu einem positiven als auch zu einem
 negativen Wirtschaftswachstum führen. Dies nehmen wir desinteressiert zur Kenntnis,
 weil wir uns auf unsere anderen qualitativen Ziele konzentrieren und diese ins
 Zentrum unserer Politik stellen.

 

 

 Produktivkraftsteigerung ja – aber nicht wegen Wachstum sondern als Mittel zur
 Arbeitszeitverkürzung

 

 Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum – gerade aus der
 marxistischen Theorie heraus – diskutiert wird ist die Frage nach der Produktivkraft
 der Arbeitnehmer*innen und deren Steigerung. Dazu halten wir folgendes fest:

 

 Es gibt viele gesellschaftliche Herausforderungen und Aufgaben, die wir auch
 zukünftig nur mit menschlicher Arbeitskapazität lösen können, dies gilt
 beispielsweise in der Pflege und der Bildung. Die Steigerung der Produktivkraft der
 Arbeitnehmer*innen z.B. in der Industrie oder dem Dienstleistungssektor kann hierfür
 Kapazitäten freisetzen. Auch Ingenieurleistungen, die für die Transformation
 elementar notwendig sind, lassen sich nur mit menschlicher Arbeit erledigen. Wir
 wollen die Produktivkraftsteigerung nutzen, um gesamtgesellschaftlich in der Lage zu
 sein, diese Probleme mit mehr Aufmerksamkeit und Kapazität zu adressieren.

 

 Produktivkraftsteigerung ist also für uns grundsätzlich positiv. Aber nicht, weil sie
 zu einer Steigerung des Wirtschaftswachstums führt, sondern weil der Anstieg der
 Produktivität ein starkes Pfund in den Händen der Arbeitnehmer*innen gegenüber
 denjenigen ist, die ihre Arbeitskraft ausnutzen. Die Forderung lautet: weniger
 Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Von der Steigerung der Produktivkraft – die
 gleichzeitig mit Verdichtung und damit auch mit Belastung der Beschäftigten
 einhergeht – sollten vor allem die Arbeitnehmer*innen profitieren, dann ist sie für
 uns auch ein erstrebenswertes Ziel.

 

 

 (Nicht-)Wachstum international denken

 Der globale Norden hat in den letzten Jahrhunderten im Vergleich zum globalen Süden
 einen enormen Wohlstandszugewinn erlebt. Die globale Ungerechtigkeit ist dabei aber
 weiter enorm. Die oben bereits genannte Demokratisierung von Ressourceneinsatz und
 Emmissionsausstößen muss nicht nur national oder international innerhalb der EU
 sondern global erkämpft werden. Die Geschichte ist voll von Ausbeutung des globalen
 Südens. Daher ist es nur folgerichtig, dass Wohlstandssteigerungen in den kommenden
 Jahren mit Priorität im globalen Süden angestrebt werden.

 

 Der Anspruch der Menschen im globalen Süden auf eine Erhöhung ihres Wohlstands stellt
 für uns eine genauso harte Grenze für unseren eigenen Ressourcenverbrauch im globalen
 Norden dar, wie die planetaren Grenzen. Eine materielle Wohlstandsmehrung im globalen
 Norden darf nur dann politisch gewollt und umgesetzt werden, wenn gleichzeitig die
 planetaren Grenzen eingehalten werden und der materielle Wohlstand im globalen Süden
 wachsen kann.

 

 Doch sobald ein hohes materielles Wohlstandsniveau auch dort erreicht wurde, ist es
 folgerichtig wie für den globalen Norden auch für den globalen Süden unsere
 Sichtweise, dass andere Faktoren und Argumente in der Debatte mehr Gewicht bekommen
 müssen und besser dazu geeignet sind, den Zustand von Volkswirtschaften zu
 beschreiben.Wirtschaftswachstum sollte unserer Meinung nach generell nur angestrebt
 werden, solange diese Zielsetzung auch zu realen, qualitativen Verbesserungen führt.
 Wir erkennen an, dass diese Analyse zwar unserer sozialistischen und
 internationalistischen Analyse entstammt, wir sie aber dennoch aus der
 Sprecher*innenposition von Menschen aus einem ehemals kolonialisierenden Staat heraus
 treffen. Deshalb und ganz generell maßen wir uns nicht an, für die Länder des
 globalen Südens zu sprechen. Aufgabe unseres politischen Handelns ist es, ausreichend
 große materiell-physikalische Spielräume offen zu halten, innerhalb derer die
 Menschen im globalen Süden ihre eigenen politischen Entscheidungen treffen können.

I3 Resolution: Uneinig und trotzdem da! - Solidarität mit den Aktivist*innen der “Letzten Generation”

12.09.2023

Adressat*innen: Landeskonferenz Jusos Bayern,, Bezirksparteitag SPD Oberbayern, Landesparteitag BayernSPD, Bundesparteitag SPD

 

Die Klimabewegung erfuhr in den vergangenen Jahren einen großen Zuwachs an aktiven Mitgliedern, die in unterschiedlichen Organisations- und Aktionsformen für schnelle und weitreichende Klimaschutzmaßnahmen kämpfen. Deren Forderungen sind meist nicht radikal, sondern beziehen sich auf die Einhaltung bestehender Verträge und Rechtsnormen wie beispielsweise des Pariser Klimaschutzabkommens. Die Klimabewegung ist sehr stark von jungen Menschen geprägt, die um ihre Zukunft auf einem lebenswerten Planeten kämpfen Die Regierung und die Gesellschaft reagieren auf diesen Klimaaktivismus an vielen Stellen mit Repression und Verurteilung. Schlagzeilen machen statt den berechtigten Anliegen nur die Protestform. Wir verurteilen diese Strategie den Protest zu delegitimiert und damit die Forderungen gleich mit diskreditiert.

Dabei sind die Forderungen der letzten Generation, mit der Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen und eines günstigeren öffentlichen Personennahverkehrs sehr niedrig angesetzt. Forderungen also, denen wir uns guten Gewissens anschließen können. Eine breite Koalition, von Liberalen über die Union bis zur AfD und leider auch Teileunserer Partei, überbietet sich alledings weiterhin mit Forderungen nach einem harten und autoritären Vorgehen. Gleichzeitig ist es auch an Lächerlichkeit nicht zu überbieten, wenn friedliche Klimaaktivist*innen, die sich ohne Widerstand von der Polizei wegtragen lassen, als “Klima-RAF” zur Bedrohung des Staates stilisiert werden.

Zuletzt fand eine vollkommen unverhältnismäßige Razzia bei Mitgliedern der letzten Generation durch die bayerische Justiz statt und zahlreiche Aktivist*innen wurden in ihrere privaten Kommunikation abgehört. Die Kontinuität wird deutlich: Statt auf Dialog und Diskurs setzt der Staat auf Repression, Einschüchterung und Delegitimierung der Proteste. Die als Radikalisierung beschriebene Entwicklung der Klimabewegung ist dabei nicht selbst gewählt, sondern ein Ergebnis dieses mangelnden Dialogs: Junge Menschen werden in ihrem Protest nicht ernst genommen und greifen deshalb zu weitreichenden Protestformen, weil sie sonst mit ihren Anliegen nicht gehört werden.

 

Dabei ist die Frage, wie die Aktionen der „Letzten Generation” juristisch bewertet werden müssen, noch nicht einmal geklärt. Die bayerische Staatsregierung steckte trotzdem mehrere Aktivist*innen für Wochen in “Präventivgewahrsam”. Diese Maßnahme des PAG, ursprünglich mit dem Argument der Gefährder*innen verteidigt, war und ist verfassungsfeindlich. Darüber hinaus macht sich die Staatsregierung lächerlich, wenn sie Maßnahmen, die sie selbst für potentielle Gewalttäter*innen oder Terrorist*innen vorgesehen hat, nun auf Klimaaktivist*innen anwendet. Dieses Vorgehen zeigt, dass die CSU mit dem PAG ein Instrument geschaffen hat, um die politische Opposition mundtot zu machen – ein Vorgehen, das eher an Autokratien erinnert. Der immer wieder hervorgehobene sogenannte “Richtervorbehalt” suggeriert, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren stattgefunden hat. Stattdessen wird nur über Formales entschieden, eine juristisch-inhaltliche Prüfung gibt es nicht.

Für uns zeigt sich daraus, was uns aufgrund unserer systemischen Analyse bewusst ist: Wenn der Kapitalismus befürchten muss, dass ihn Teile der Gesellschaft anzweifeln, schlägt die Stimmung schnell um. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, Aktivist*innen werden diffamiert, Gewalt wird gerechtfertigt.

Dabei sind früher oder später alle linken Kräfte bedroht. Wenn politische Rechte eingeschränkt werden, wenn ziviler Ungehorsam kriminalisiert wird, betrifft das früher oder später alle Teile der gesellschaftlichen Linken. Wenn sich der Kapitalismus bedroht fühlt, zerschlägt er ohne Weiteres die Demokratie – und Konservative und Rechtsliberale liefern sie gerne aus. Es waren Sozialist*innen, die Freiheitsrechte durchgesetzt, umgesetzt und verteidigt haben. Die Idee eines freiheitlichen Staates, der alle Menschen gleich und mit Würde behandelt, ist eine sozialistische. In ihrer Tradition stehen wir an der Seite der letzten Generation.

Für uns als Jusos steht allerdings fest, dass sich politischer Protest gegen Staat und Kapital richten muss und systemische Kritik nicht den Personen schaden soll, die in diesem System leben müssen und Zwängen ausgesetzt sind. Es ist nach unserer Auffassung die richtige Motivation der letzten Generation, Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken und die politisch Handelnden unter Druck zu setzen, denn sie sind diejenigen, die seit Jahrzehnten die notwendigen Maßnahmen verweigern. Den Protest in Form von Straßenblockaden, der ausschließlich die Zivilbevölkerung trifft, lehnen wir hingegen ab. Statt zahlreiche Einzelpersonen sollten Wirtschaftskonzerne blockiert werden und nicht die Arbeiter*innen, sondern das Kapital für die Missstände verantwortlich gemacht werden. Die sozialökologische Wende kann nur als fundamentale Kapitalismuskritik gelingen, dafür muss ein Schulterschluss zwischen Aktivist*innen für Klimaschutz und den Arbeiter*innen vollzogen werden.

Nicht  die einzelne Person ist verantwortlich, sondern das Kapital, das dieses kapitalistische System bedingt!

 

Auch die Forderungen nach einem Gesellschaftsrat, der per Zufallsauswahl aus der Bevölkerung gebildet werden soll, lehnen wir aus demokratietheoretischen Gesichtspunkten ab und bekennen uns zur parlamentarischen Demokratie, in der die Handlungen durch gewählte Volksvertreter*innen bestimmt werden. Nichtsdestotrotz erkennen wir an, dass bei den aktuellen politischen Gegebenheiten Zweifel daran aufkommen, dass Klimapolitik in einem Land, in dem Parteien von Konzernen Spenden in Millionenhöhen bekommen, Lobbyismus allgegenwärtig ist und wissenschaftliche Erkenntnisse oft hinter den lautesten Tönen von Rechts zurück bleiben, tatsächlich umgesetzt werden kann. Wir stehen deshalb klar ein für sachorietierte Debatten über Klimaschutz, die nur darin enden können, dass Klimaschutz massiv priorisiert werden muss, radikale Maßnahmen eingeleitet werden müssen und Blockaden vielmehr in den Köpfen der Menschen als auf den Straßen.

Als Jungsozialist*innen sind wir solidarisch mit den Aktivist*innen der “Letzten Generation”, die für ihren Protest Verleumdungen, Haft und Gewalt ausgesetzt sind. Wir betonen deshalb unsere tiefe Ablehnung des Polizeiaufgabengesetzes und des Systems der Präventivhaft, in der unliebsame Protestierende, ohne in einer Straftat schuldig gesprochen zu sein, unrechtmäßig polizeilich festgehalten werden. Dieses Vorgehen ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar und wir fordern daher eine umfassende Reform des Polizeiaufgabengesetzes. Wir fordern außerdem die SPD auf, die mediale und politische Stimmungsmache gegen die Aktivist*innen nicht zu unterstützen, sondern ihr klar und deutlich zu widersprechen. Auch muss sich die SPD dem aktuellen Polizeirecht und weiteren Verschärfungen entgegenstellen, damit demokratischer Protest nicht bestraft wird. Protest ist Teil einer pluralen Demokratie und bildet die Basis unserer gesellschaftlichen Errungenschaften. Wir und auch die SPD stehen daher in Tradition von sozialistischen Bewegungen, die zuerst auf der Straße und erst später im Parlament stattfanden. Die Ausformulierung eines sozialdemokratischen Sicherheitsbegriffes für die SPD, geleitet von den Grundwerten der Freiheit, Gleichheit und Solidarität, in dem zudem ein sozialistisches, feministisches, antifaschistisches und internationalistisches Verständnis von Staat und Gesellschaft als Leitmotiv verwirklicht wird, ist eine der kommenden Aufgaben für uns als Jusos. Unsere bisherigen Beschlüsse in diesen Fragen bekräftigen wir an dieser Stelle. Wir erwarten von der SPD eine Politik, die den Ansprüchen des Klimaschutzes gerecht wird, die Forderungen nach einem Tempolimit und der Einführung des kostenlosen und fahrscheinlosen ÖPNVs  muss unterstützt werden. Die SPD muss liefern, “Klimakanzler” wird Olaf Scholz nicht durch ausufernde Sprechakte oder ein Plakat, sondern durch eine Politik, die Klimaschutzmaßnahmen umsetzt. Besonders von Jusos in Gremien und Parlamenten fordern wir dabei Unterstützung für diese Positionen.