Mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und der damit verbundenen Einführung einer Mindestausbildungsvergütung geht eines der wichtigsten sozialdemokratischen Projekte aus dem Koalitionsvertrag in den kommenden Monaten in die Umsetzungsphase. Im BBiG sind die wichtigsten Vorgaben zur dualen Ausbildung geregelt. Nachdem das Gesetz seit 2005 nicht mehr erneuert und eine Aktualisierung durch die Union bereits in der letzten Großen Koalition verhindert wurde, ist es jetzt an der Zeit mit Vehemenz unsere Positionen einzufordern.
Der dazu kurz vor Weihnachten von der CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek vorgelegte Referent*innenentwurf aus dem Bundesbildungsministerium gleicht einer Zurschaustellung, der Unionsfraktionen weder in der Lage, noch willens zu sein eine wirkliche Verbesserung für Millionen junge Menschen zu erreichen.
Darum werden wir an der Seite der Gewerkschaften ein klares Zeichen setzen und lautstark deutliche Verbesserungen für Auszubildende in diesem Land einzufordern um mehr Sicherheit für junge Menschen zu schaffen und die Ausbildung durch gute Bedingungen auch wieder attraktiver zu machen. Deswegen werden wir im Gesetzgebungsprozess auf unsere folgenden Forderungen weiterhin pochen:
Eine Mindestausbildungsvergütung
Diese muss zum Ziel haben Auszubildenden und dual Studierenden ein eigenständiges Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen Facetten zu ermöglichen. Der aktuelle Vorschlag des Bundesbildungsministeriums von 504 Euro im ersten Ausbildungsjahr und in den Folgejahren fünf, zehn und 15 Prozent mehr, also 529 Euro, 554 Euro und 580 Euro pro Monat deckt diesen Anspruch nicht ab. Dieser Vorschlag orientiert sich am BaföG-Satz für Schüler*innen. Abgesehen davon, dass dieser Satz auch für Schüler*innen, die sich ein selbstständiges Leben finanzieren müssen, zu niedrig ist, sind Auszubildende und Dual Studierende eben keine Schüler*innen. Eine angemessene Ausbildungsvergütung ist keine Sozialleistung. Sie sollte sich dementsprechend nicht an einer solchen orientieren, sondern an tariflichen Regelungen. Gemeinsam mit den Gewerkschaftsjugenden fordern wir daher eine Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 80 % der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung des jeweiligen Ausbildungsjahres. Am Beispiel des Jahres 2018 wären das
im ersten Ausbildungsjahr 660 Euro, im zweiten Ausbildungsjahr 720 Euro, im dritten Ausbildungsjahr 795 Euro und im vierten Ausbildungsjahr 826 Euro.
Damit wird eine zweite Haltelinie geschaffen. Davon profitieren insbesondere Auszubildende in Branchen ohne gute Tarifbindung. Der aktuelle Vorschlag des Bundesbildungsministeriums würde nur für etwa 30.000 Auszubildende (etwa 6% eines Jahrgangs) eine Verbesserung bringen, von unserer Forderung würden hingegen ungefähr 162.000 Auszubildende profitieren.
Ausweitung des Geltungsbereiches auf dual Studierende und schulisch-betriebliche Ausbildungen
Der Geltungsbereich im Berufsbildungsgesetz umfasst bisher nur die duale Ausbildung. Als neuere Ausbildungsart ist hier zwingend die Aufnahme – zumindest der Praxisphasen – des Dualen Studiums ins Berufsbildungsgesetz sicherzustellen. Aktuell existieren nämlich gar keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen zum Dualen Studium. Das bedeutet, dass es Gesetzeslücken gibt, die es Unternehmen ermöglichen, dual Studierende zu beschäftigen, ohne dass entsprechende Schutzbestimmungen greifen, die Ausbeutung verhindern und Ausbildungsqualität sichern sollen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Für die dual Studierenden ergeben sich aus dem Fehlen gesetzlicher Schutzbestimmungen, die für die duale Ausbildung selbstverständlich sind, zahlreiche Probleme: vertragliche Bindungsklauseln über das Studium hinaus, Rückzahlungspflichten, Probleme bei der Freistellung für Prüfungen und Seminare, Fehlen von gesetzlichen Mindeststandards für die Betreuung im Betrieb und einer gesetzlichen Festlegung, dass es eine Vergütung geben muss.
Um die Qualität dieses Ausbildungsformats zu gewährleisten, müssen Ausbildung und Studium verzahnt und die betrieblichen Ausbildungsbedingungen mit den Erfordernissen des Studiums abgestimmt werden. Dies erfordert zusätzliche Abstimmungsinstrumente und Maßnahmen zur Sicherung der Qualität. Deshalb fordern wir, Regelungen zur Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Hochschule ins BBiG aufzunehmen, sowie Anforderungen der Eignung der Ausbildungsstätte und des Ausbildungspersonals, eine Bestimmung zur Ausbildungsvergütung sowie zur Ausgestaltung des Ausbildungsvertrages zwischen Studierendem und Betrieb. Die Freistellung für Vorlesungen, Seminare, Laborpraxis, Prüfungen sowie einen Tag zur Vorbereitung der Prüfungen und Studienzeiten muss ebenfalls im BBiG verankert werden.
Doch nicht nur das duale Studium wird vom Bundesbildungsministerium ausgeklammert. Zahlreiche berufliche Ausbildungsgänge und vergleichbare neue Ausbildungsstrukturen sollen offenbar weiterhin nicht im BBiG geregelt werden. Im Ergebnis führt das in vielen Ausbildungen oftmals zu unklaren Rechtsverhältnissen oder schlechteren Ausbildungsbedingungen. Daher fordern wir die Ausweitung des BBiG zu einem einheitlichen Ausbildungsgesetz, das gleiche Qualitätsstandards für alle Ausbildungsberufe sicherstellt. Der Geltungsbereich bzw. die Grundprinzipien des Berufsbildungsgesetzes muss auch auf betrieblich-schulische Ausbildungen (z.B. in Pflege- und Gesundheitsberufen) ausgeweitet werden.
Verbesserte Durchlässigkeit innerhalb der beruflichen Bildung
Wir begrüßen die angestrebte höhere Durchlässigkeit, allerdings wird Durchlässigkeit vorwiegend im Kontext von einer Verkürzung oder Anrechnung von Ausbildungszeiten diskutiert. Übersehen wurden häufig junge Menschen, die mehr Ausbildungszeit benötigen. Um individuelle Ausbildungsarrangements zu stärken, muss es in Zukunft auch rechtlich möglich sein, ohne große Prozeduren die Ausbildungszeit bei entsprechenden Bedarfen zu verlängern (§ 8 Abs. 2). Dazu müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Jugendliche mit Startschwierigkeiten vor Anfang der Ausbildung die Möglichkeit gegeben wird, ihre reguläre Ausbildung von Beginn an länger zu gestalten. Dabei sollten auch Modelle berücksichtigt werden, die bereits Berufsvorbereitende Maßnahmen im Betrieb enthalten (Beispiel »Start in den Beruf« oder »Anlauf zur Ausbildung«).
Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass eine gute und qualifizierte Ausbildung zur Facharbeiter*in mindestens drei Jahre dauern muss. Eine sehr spezialisierte und nur auf einige Tätigkeiten fokussierte zweijährige Berufsausbildung beeinträchtigt die Flexibilität und Durchlässigkeit des Berufsbildungssystems anstatt sie zu verbessern. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes werden weiter steigen, damit einhergeht eine deutliche Verschlechterung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte. Eine zu enge Spezialisierung bereits in der Ausbildung würde daher die Anpassung an neue Anforderungen und lebenslanges Lernen nicht fördern, sondern eher verringern.
Eine grundsätzliche Verkürzung der Ausbildungsdauer von dreieinhalb auf drei Jahre und eine vermehrte Einführung von zweijährigen Ausbildungsberufen lehnen wir daher ab. Für Auszubildende in bestehenden zweijährigen Ausbildungsberufen fehlt dagegen derzeit ein verlässlicher Durchstieg von ihrer zweijährigen in dreijährige Ausbildungsberufe. Es fehlt ein Rechtsanspruch auf eine Weiterführung der Ausbildung.
Ausnahmeregelungen zur Verkürzung der Ausbildungszeit sollen für Auszubildende gelten, die durch einen entsprechenden Ausbildungsplatzwechsel, regelmäßiges Übertreffen der Ausbildungsziele oder die Anrechnung einer Einstiegsqualifizierung, beruflicher Vorbildung, oder eines allgemeinbildenden Schulabschlusses ihre Ausbildungszeit verkürzen oder vor Ablauf ihrer Ausbildungszeit zur Abschlussprüfung zugelassen werden.
Die angestrebte „Verbesserung der Durchlässigkeit“ birgt zudem die deutliche Gefahr einer Modularisierung der Ausbildung. Wir stehen zum Berufeprinzip und lehnen eine Aufgabe des Systems geschlossener Berufsbilder zugunsten einer Modularisierung der beruflichen Ausbildung weiterhin ab.
Teilzeitausbildung ohne Wenn und aber!
Das Bundesbildungsministerium möchte die Teilzeitausbildung „stärken“ und den „Adressat[*innen]enkreis auf alle Auszubildenden“ erweitern. Das Modell der Teilzeitausbildung ist besonders attraktiv für Alleinerziehende. Mütter und Väter müssen einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bekommen, wenn sie sich dafür entscheiden einen Berufs- oder Schulabschluss nachzuholen. Allerdings soll weiterhin Voraussetzung sein, dass sich Ausbildende und Auszubildende einig sind. Lehnt die*der Arbeitgeber*in also ab, haben Auszubildende weiterhin kein Anrecht auf eine Teilzeitausbildung. Damit verkommt die „Stärkung“ zu einer hohlen Phrase. Das wollen wir nicht.Zudem muss festgeschrieben werden, dass die Ausbildungsvergütung weiterhin in voller Höhe gezahlt werden muss. Da es hier in der Praxis häufig zu Streitigkeiten kommt, soll diese Regelung im §8BBiG mit aufgenommen werden.
Ausbildungsplatzangebot, Perspektiven und Kostenfreiheit garantieren
Weitere entscheidende Punkte, die dringend im Berufsbildungsgesetz verankert werden müssen, die aber im aktuellen Vorschlag keine Erwähnung finden, sind eine Ausbildungsgarantie, ein Übernahmeanspruch sowie eine garantierte Kostenfreiheit.
Wir fordern die Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf eine mindestens dreijährige duale Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu absolvieren. Die Betriebe müssen wieder stärker ihrer Verantwortung zur Ausbildung nachkommen und die Jugend braucht Perspektiven – dazu gehört ganz wesentlich eine qualitativ gute berufliche Ausbildung. Wir sagen deshalb: Wer nicht ausbildet, muss zahlen! Wir wir schon in unserem Grundsatzprogramm von 2007 (Hamburger Programm) festgeschrieben haben, wollen wir Unternehmen die ausbilden wollen unterstützen und Betriebe die auf die eigene Ausbildung von Fachkräften verzichten im Rahmen einer Umlagefinanzierung an den Kosten beteiligen. Diese Ausbildungsgarantie für alle ausbildungswilligen Jugendlichen die keinen Ausbildungsplatz finden konnten soll spätestens zwei Monate nach Beginn des jeweiligen Ausbildungsjahres gelten. Bei der Berufswahl sind die Berufswünsche und die Möglichkeiten der Mobilität maßgeblich.
Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben, wird eine Ausbildung an einer berufsbildenden Schule oder bei einem außerbetrieblichen Bildungsträger für die gesamte mindestens dreijährige Ausbildungsdauer garantiert. Ein Anteil von mindestens 50 % betrieblicher Praxis muss dabei gesichert sein. Außerdem ist zu jedem Zeitpunkt ein Übergang in eine betriebliche Ausbildung anzustreben. Die absolvierte Ausbildungszeit ist dabei anzurechnen. Außerbetriebliche Auszubildende müssen eine Ausbildungsvergütung entsprechend der orts- und branchenüblichen tariflichen Regelung erhalten.
Eine sichere Perspektive ist gerade für junge Menschen sowohl beim Übergang von Schule in Ausbildung als auch beim Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben wichtig. Wir fordern daher eine unbefristete Übernahmegarantie für alle Auszubildende. Nicht nur für die Unternehmensbindung, sondern insbesondere auch für den Erwerb von praktischer Berufserfahrung für den ehemaligen Auszubildenden ist dies entscheidend.
Umfragen zeigen, dass nicht einmal die Hälfte der Auszubildenden und dual Studierenden im Jahr vor ihrem Berufsabschluss eine feste Übernahmezusage und Perspektive in ihrem Ausbildungsbetrieb hat. Ein Drittel der Auszubildenden und dual Studierenden hat kurz vor Ihrem Berufsabschluss noch schlicht keine Informationen darüber ob sie übernommen werden oder nicht. Diese Unsicherheit darf jungen Menschen nicht weiter zugemutet werden. Deshalb muss § 24 BBiG erweitert werden und die dreimonatige Ankündigungsfrist bei beabsichtigter Nicht-Übernahme auf alle Auszubildenden ausgeweitet werden.
Wir fordern eine eindeutige Verankerung der Schulgeld- und Lernmittelfreiheit im BBiG. Um klarzustellen, dass die Berufsausbildung für die Auszubildenden und dual Studierenden kostenfrei stattfindet, erfordert es eine Ergänzung in § 14 BBiG. Alle im Zusammenhang mit der Ausbildung entstehenden Kosten müssen vom Ausbildungsbetrieb bzw. vom Ausbildungsträger getragen werden. Dazu gehören Ausbildungsmittel, Dienstkleidungsstücke, Schutzausrüstung, Fachliteratur, Unterkunftskosten beim Blockunterricht, eventuell anfallende Schulgelder ebenso wie die anfallenden Fahrtkosten für den Weg vom Wohnort zu den Ausbildungsstätten und der Berufs- bzw. (Fach-)Hochschule.
Zeit zum Lernen!
Bei der Frage der Anrechnung von Berufsschulzeiten bei Auszubildenden auf die Arbeitszeit wird bisher zwischen volljährigen und minderjährigen Auszubildenden unterschieden.
Wir fordern eine einheitliche Regelung für alle Auszubildenden unabhängig von ihrem Alter.
Analog dem JarbSchG müssen zukünftig bei allen Auszubildenden die Berufsschulzeiten auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Dies ist eine Grauzone im aktuellen BBiG, die dazu führen kann, dass Auszubildende vor oder nach dem Berufsschulunterricht in den Betrieb müssen. Wir fordern explizit, dies zu unterbinden, so dass sich die Auszubildenden auf die theoretischen Ausbildungsinhalte konzentrieren können und nicht doppelt belastet werden. Die Berufsschulzeit muss für alle Auszubildenden inklusive der Wege- und Pausenzeit vollständig auf die betriebliche Arbeitszeit angerechnet werden.
Dabei soll ein Berufsschultag, unabhängig von seinem Umfang, grundsätzlich als voller Arbeitstag berücksichtigt werden, um eine Benachteiligung der Auszubildenden zu verhindern, deren Berufsschulzeit sich nicht mit der Ausbildungszeit überschneidet bzw. um einen Missbrauch vor gezielter Vermeidung der Überschneidungszeiten durch Schichtdienste abzuwenden. Es kann nicht sein, dass Auszubildende durch Berufsschulzeit plus Ausbildungszeit über die Begrenzung im Arbeitszeitgesetz hinaus beschäftigt werden dürfen. Berufsschulwochen sollen wie die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit berücksichtigt werden. Vor den Zwischen- und Abschlussprüfungen wollen wir den Auszubildenden gesetzlich drei freie Arbeitstage zur Vorbereitung ermöglichen.